Kanzlerin Merkel im Bundestag: Rede zur Situation in Deutschland

Am 5. September 2017 hielt Bundeskanzlerin Merkel eine Rede zur Situation in Deutschland vor dem Deutschen Bundestag. Hier der Text zum nachlesen.
Titelbild
Das Plenum des Bundestags während einer Debatte im vergangenen Sommer.Foto: Michael Kappeler/dpa
Epoch Times7. September 2017

Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Gestatten Sie, lieber Herr Präsident, dass ich Ihnen zu Beginn im Namen der Bundesregierung meinen herzlichen Dank übermittle; das ist mit dem Vizekanzler abgestimmt. Wir haben Ihre Arbeit immer geschätzt. Wenn nötig, haben Sie uns den im Grundgesetz festgelegten Platz zugewiesen, und wir haben nach bestem Wissen und Gewissen versucht, uns daran zu halten.

Ich erinnere mich in den letzten drei Legislaturperioden an dramatische Situationen, etwa in der weltweiten Finanzkrise, in der Euro-Krise und in der Flüchtlingskrise, als viele Flüchtlinge zu uns kamen. In diesen Krisen ist es Regierung und Parlament trotz großer Zeitnot und trotz drängendster Entscheidungen immer gelungen, in einem guten Einvernehmen und bei einer schrittweisen Stärkung der Rolle des Parlaments Lösungen zu finden, die, glaube ich, für uns als Bundesrepublik Deutschland richtig und gut waren, aber auch Lösungen zu finden, die uns als verlässlichen Partner in Europa und in der Welt dargestellt haben. Dafür möchte ich von Herzen danken.

Für mich war eine der emotionalsten Situationen, als wir vor kurzem über den Bund-Länder-Finanzausgleich abgestimmt haben; im Gegensatz zum heutigen Tag war auch die Bundesratsbank gut besetzt. Das waren wirklich schwierigste Verhandlungen, in denen es um die Fragen ging: Welche Rolle spielt der Bund? Welche Rolle spielen die Länder? Dass dies trotz aller Kontroversen in einer so guten Atmosphäre verhandelt werden konnte, spricht für unser Land. Daran haben Sie, lieber Herr Lammert, lieber Norbert, einen ganz entscheidenden Anteil. Danke dafür!

Wir haben in den letzten vier Jahren vieles erreicht. Unbestritten geht es Deutschland in vielen Bereichen gut. Aber wir dürfen uns auf diesen Erfolgen keinesfalls ausruhen. Ich bin der tiefen Überzeugung, dass wir an der Schwelle zu einer neuen Entwicklungsetappe stehen. Wir müssen jetzt die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Deutschland auch in zehn oder 15 Jahren wirtschaftlich erfolgreich und sozial gerecht ist und noch mehr Menschen eine gute und sichere Arbeit haben.

Wir haben eben den Blick auf die Zeit der deutschen Einheit zurückschweifen lassen. Seitdem sind 27 Jahre vergangen. Deutschland hatte Anfang der 90er Jahre die Kraft, die deutsche Einheit gut zu bewältigen. Ein Jahrzehnt später waren wir der kranke Mann Europas. Es ist uns dann gelungen – ganz wesentlich mit der Agenda 2010, die wir von CDU/CSU immer unterstützt haben –, wieder die Kraft zu finden, aufzuholen. Wir sind heute Wachstumsmotor. Wir sind heute ein Land mit der höchsten Beschäftigungsquote, die wir jemals hatten, und in Europa erfahren wir dafür sehr viel Anerkennung.

Aber ich habe das Gefühl, dass wir wieder an einer Schwelle zu einer neuen Etappe stehen. Diese hat ganz wesentlich mit dem Treiber unserer heutigen Entwicklung zu tun: mit dem digitalen Fortschritt.

Das, was wir zurzeit in der Automobilindustrie erleben, zeigt – wie in einem Brennglas – die Summe der neuen Herausforderungen. Die Automobilindustrie ist eine der Säulen des deutschen wirtschaftlichen Erfolgs. Die deutsche Automobilindustrie ist weltweit anerkannt. Die Produkte der deutschen Automobilindustrie verkörpern das, was weltweit unter „Made in Germany“ verstanden wird. In der Automobilindustrie haben im Übrigen 800.000 Menschen und mehr ihren Arbeitsplatz. Diese Menschen haben sich nichts zuschulden kommen lassen; sie haben gut, sehr gut oder gar hervorragend gearbeitet. Aber sie sind jetzt in der Gefahr, dass das, was an Vertrauensverlust durch die Führung von Automobilkonzernen entstanden ist, auf sie zurückschlägt.

Wir haben hier eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Fehler beim Namen zu nennen, aber auch gleichzeitig die Zukunft der deutschen Automobilindustrie sichern zu helfen. Deshalb müssen wir dafür Sorge tragen – durch vernünftige Rahmenbedingungen, wie wir das auch mit der Industrie 4.0 in unserer Digitalen Agenda getan haben –, dass die Voraussetzungen für den Übergang der Produktion in ein digitales Zeitalter geschaffen werden, in dem nicht nur die Menschen durch Smartphones vernetzt sind, sondern in dem alle Gegenstände miteinander vernetzt werden – das ist das Internet der Dinge –, damit die Produktion auch weiter erfolgreich erfolgen kann.

Wir werden noch auf Jahre und Jahrzehnte Verbrennungsmotoren brauchen, und trotzdem werden wir gleichzeitig den Weg in eine neue Mobilität mit neuen Antrieben gehen müssen. Wir von der Christlich-Demokratischen Union und von der CSU sagen: Wir arbeiten nicht mit Verboten, sondern wir wollen solche Übergänge vernünftig ermöglichen, mit Blick auf die Beschäftigten und auf den technologischen Wandel. Ich bin überzeugt, dass dies auch der Ansatz der gesamten Bundesregierung ist.

Wir haben gestern seitens der Bundesregierung ein Gespräch mit den Kommunen gehabt, die unter Grenzwertüberschreitungen leiden und die von Fahrverboten bedroht sind. Ich sage ausdrücklich für die ganze Regierung: Wir werden alle Kraft darauf lenken, dass es zu solchen Verboten nicht kommt.

Wir müssen den Menschen, die sich im Übrigen im guten Glauben und von uns auch ermuntert Dieselautos gekauft haben, die Möglichkeit geben, dass sie diese Autos auch nutzen können. Im Übrigen ist es so, dass wir den Kauf von Dieselautos – davon gibt es etwa 15 Millionen in Deutschland – deshalb empfohlen haben, weil dadurch CO2-Emissionen eingespart wurden. Gegen den Diesel vorzugehen, bedeutet gleichermaßen auch, gegen die CO2-Ziele, die wir uns gesetzt haben, vorzugehen. Und das darf nicht passieren. Deshalb brauchen wir saubere Dieselautos, und wir brauchen den Übergang zu einer modernen Mobilität.

Das macht nicht wieder gut, dass in der Automobilindustrie unverzeihliche Fehler vorgefallen sind. Deshalb können wir auch nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Aber das berechtigt uns nicht, sozusagen die gesamte Branche ihrer Zukunft zu berauben. Jetzt geht es darum, mit Maß und Mitte die richtigen Wege zu finden. Und dafür steht diese Bundesregierung mit Blick auf die Beschäftigten und die Wirtschaftskraft Deutschlands.

Beim Thema Auto zeigen sich die großen Herausforderungen, denen wir entgegensehen. Ich nenne stichwortartig nur die Bereiche „autonomes Fahren“ und „neue Antriebe“, die wir technologieoffen fördern sollten. Gleichzeitig gibt es große Herausforderungen hinsichtlich des Klimaschutzes.

Wir werden dies alles natürlich auch mit Blick auf das Pariser Klimaschutzabkommen vom Dezember 2015 umzusetzen haben. Deshalb hat die Bundesregierung einen Klimaschutzplan vorgelegt. Es ist schon absehbar, dass in der nächsten Legislaturperiode, gleich im Jahre 2018, dieser Klimaschutzplan spezifiziert werden muss. Wieder wollen wir das nicht gegen die Betroffenen machen, sondern im Gespräch mit den Betroffenen. Wenn wir zum Beispiel über Braunkohlegebiete sprechen und den Ausstieg fordern, ohne den Menschen in irgendeiner Weise eine Perspektive zu geben, dann fördert das nicht die Bereitschaft, sich für den Klimaschutz einzusetzen, sondern verhindert sie. Deshalb sind wir dafür, mit den Betroffenen Alternativen zu erarbeiten und erst dann Entscheidungen zu treffen. Ich finde, das sind wir den Menschen schuldig. So haben wir es im Übrigen auch bei der Steinkohle gemacht, um es einmal ganz klar zu sagen.

Wir haben mit der Digitalen Agenda vieles vorangebracht. Wir werden in der nächsten Legislaturperiode da ansetzen müssen und manches noch beschleunigen und straffen müssen. Wir sind nicht in allen Bereichen Spitze weltweit, was den digitalen Fortschritt und die Einführung entsprechender Maßnahmen anbelangt. Wir haben im Bereich der Wirtschaft vieles erreicht, insbesondere bei den großen Unternehmen. Die Bundesregierung hat mittelständischen Unternehmen viel Hilfestellung gegeben. Sie hat in dieser Legislaturperiode die Start-ups gefördert, sodass wir sagen können: Wir stehen deutlich besser da als vor vier Jahren. Aber die Welt schläft nicht. Die Welt entwickelt sich in rasantem Tempo. Deshalb wird es notwendig sein, hier weiterzuarbeiten. Wir haben früher das MP3-Format erfunden. Wir haben den ersten Computer gebaut. Aber wir wollen als Deutschland nicht im Technikmuseum enden, sondern wir wollen vorne dabei sein, wenn es um die Entwicklung neuer Güter und neuer Produktionsmöglichkeiten geht. Da haben wir viel zu tun.

Das bedeutet auch, dass wir seitens des Staates und seitens der Verwaltung vorangehen müssen. Ich bin sehr dankbar, dass es im Rahmen der Verhandlungen zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen möglich war, sich zu einigen und das Grundgesetz so zu ändern, dass Bund, Länder und Kommunen ein gemeinsames Bürgerportal erarbeiten werden. Die gesetzlichen Voraussetzungen, um das umzusetzen, sind von der Bundesregierung geschaffen worden. Wir haben uns einen Zeitraum von fünf Jahren vorgenommen, in dem wir das erreichen wollen. Wenn es zum Ende der nächsten Legislaturperiode geschafft ist, wäre es noch besser. Die Bürgerinnen und Bürger müssen spüren, dass auch ihre Beziehung zum Staat endlich dem digitalen Fortschritt entspricht. Da haben wir gemeinsam noch sehr viel vor uns.

Wenn wir Hochtechnologieland bleiben wollen, haben wir die Aufgabe, Forschung und Entwicklung weiter zu fördern. Die europäischen Staaten haben sich noch in der Zeit von Bundeskanzler Schröder im Jahr 2000 vorgenommen, dass jedes europäische Land drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgibt. Das heißt nicht, dass man für Bildung nichts ausgibt. Das heißt einfach, dass man für Forschung und Entwicklung drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausgibt, und das ist auch richtig so. Wir freuen uns, dass wir 17 Jahre später dies erreicht haben und eines der wenigen Länder in der Europäischen Union sind, die das geschafft haben. Allerdings müssen wir auch zur Kenntnis nehmen, dass es skandinavische Länder gibt, die bereits 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung ausgeben, genauso wie Südkorea und Israel. Deshalb dürfen wir uns auch hier nicht ausruhen, sondern müssen das weiterentwickeln.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass der Bund – die Bundesregierung und das Parlament haben dem zugestimmt – die BAföG-Zahlungen voll übernimmt. Insofern ist es ein guter, gemeinsamer Erfolg von uns allen.

Hier haben wir viel Wert darauf gelegt, dass möglichst alle Länder die freiwerdenden Mittel anschließend wieder für Bildung in den Hochschulen eingesetzt haben. Da waren wir nicht vollständig erfolgreich. Aber für die unionsregierten Länder kann ich sagen: Da hat es so stattgefunden, und darauf sind wir stolz.

Wir haben durch gute Wirtschaftspolitik, auch durch die Tatsache, dass wir vier Jahre lang keine Schulden gemacht haben, zeigen können, dass solide Haushaltspolitik und Wirtschaftswachstum Hand in Hand gehen können, dass dadurch nachhaltiges Wirtschaftswachstum entstehen kann. Die letzten vier Jahre sind dadurch gekennzeichnet, dass der Wachstumsmotor in Deutschland nicht mehr der Export ist, sondern der Binnenkonsum. Das sieht man auch an den Lohnsteigerungen.

Wir haben gemeinsam eine Regierung gestellt. Wir haben uns im letzten Wahlkampf eine Lohnuntergrenze vorgenommen. Sie haben den einheitlichen Mindestlohn angestrebt. Wir haben uns zum Schluss darauf geeinigt, dass wir den einheitlichen Mindestlohn einführen. Millionen von Menschen haben heute mehr in der Tasche, und darüber können wir uns alle freuen. Auch die Facharbeiterinnen und Facharbeiter haben mehr. Die Reallöhne sind gestiegen; das drückt sich auch in der Steigerung der Renten aus. Ich glaube, darüber freuen sich viele Menschen in unserem Land.

Die vernetzte Welt, die sich im digitalen Fortschritt zeigt, spiegelt sich natürlich auch in der Außenpolitik wider. Die Grenzen von Wirtschafts-, Finanz-, Handels- und Sicherheitspolitik verschwimmen immer mehr; das sehen wir an vielen Krisenherden dieser Welt. Deshalb beschäftigt uns im Augenblick leider natürlich in ganz besonderer Weise die Situation im asiatischen Raum, wo die Nukleartests Nordkoreas eine flagrante Verletzung aller internationalen Gegebenheiten sind. Es ist richtig, dass der UN-Sicherheitsrat klare Positionen bezieht. Ich sage ausdrücklich, auch im Namen der ganzen Bundesregierung: Hier kann es nur eine friedliche diplomatische Lösung geben, für die wir allerdings mit allen Kräften eintreten müssen.

Deshalb habe ich am Sonntag mit dem französischen Präsidenten telefoniert. Der Bundesaußenminister ist im Kontakt mit seinem Kollegen. Es wird am Wochenende ein Außenministertreffen in Gymnich geben, wo wir über weitere Sanktionen von europäischer Seite gegenüber Nordkorea beraten werden; das ist auch dringend erforderlich. Ich habe darüber gestern mit dem südkoreanischen Präsidenten und auch mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump gesprochen. Beide unterstützen diese europäischen Bemühungen außerordentlich. Die Tatsache, dass Nordkorea eine gewisse Entfernung zu uns hat, sollte uns nicht davon abhalten, mit aller Entschiedenheit hier für eine diplomatische Lösung einzutreten. Europa hat eine wichtige Stimme in der Welt und muss diese Stimme in dieser Situation nutzen.

Uns beschäftigt aus traurigem Anlass – zwölf deutsche Staatsbürger befinden sich aus politischen Gründen in der Türkei in Haft – die Entwicklung in der Türkei in ganz besonderer Weise. Diese Entwicklung ist mehr als besorgniserregend. Die Türkei verlässt immer mehr den Weg der Rechtsstaatlichkeit, und das zum Teil in einem sehr schnellen Tempo. Wir haben die Aufgabe – das Auswärtige Amt und wir alle tun alles dafür –, die deutschen Staatsbürger freizubekommen.

Ich will exemplarisch Frau Tolu nennen, die mit einem zweijährigen Kind im Gefängnis sitzt; auch ihr Mann befindet sich in Untersuchungshaft. Ich kann genauso Deniz Yücel und Herrn Steudtner und andere nennen. Erstens sollten wir niemanden von ihnen vergessen. Zweitens sollten wir allen die bestmögliche Betreuung zukommen lassen. Drittens sollten wir auf allen Ebenen alles in unserer Macht Stehende versuchen – und zwar Tag für Tag –, um diese Menschen, die nach unserer Überzeugung unschuldig in Untersuchungshaft sitzen, freizubekommen. Ich glaube, das ist unser aller Anliegen.

Dieser Umgang mit deutschen Staatsbürgern, aber auch die Gesamtsituation in der Türkei veranlasst uns natürlich, darüber nachzudenken, wie wir die Beziehungen zur Türkei neu ordnen. Die Bundesregierung hat erste Schritte unternommen; das hat der Bundesaußenminister anlässlich der Verhaftung von Herrn Steudtner ausführlich dargelegt. Wir haben die estnische Präsidentschaft gebeten, in den nächsten Monaten, solange die Situation so ist, keinerlei Verhandlungen über eine

Erweiterung der Zollunion auf die Tagesordnung zu setzen; das schließt sich aus. Wir werden auch über die zukünftigen Beziehungen zur Türkei beraten – ich werde dazu vorschlagen, dass das im Oktober auf dem Europäischen Rat stattfindet –, eingeschlossen auch die Frage, die Verhandlungen zu suspendieren oder zu beenden. Hierzu braucht man Mehrheiten in Europa. Dies ist ein Vorgang, der natürlich entschieden, aber auch wohlbedacht durchgeführt werden sollte.

Die Beziehungen zur Türkei sind strategischer Natur. Wenige Tage bevor ich Bundeskanzlerin wurde, am 3./4. Oktober 2005, sind durch meinen Vorgänger Gerhard Schröder die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufgenommen worden. Dem ging ein langer Diskussionsprozess voraus; die Grundentscheidung war schon Ende 2004 gefallen. Wir von der Unionsfraktion waren immer skeptisch oder dagegen, diese Beitrittsverhandlungen aufzunehmen. Ich habe dennoch im Sinne einer großen außenpolitischen Kontinuität – pacta sunt servanda – immer diese Verhandlungen geführt. Wir haben Kapitel eröffnet. Wir haben seit langem keine Kapitel mehr geschlossen. Die Beziehungen zur Türkei sind von großer Bedeutung.

Deshalb werde ich mich dafür einsetzen, dass wir entschieden vorgehen, dass wir aber mit unseren europäischen Partnern vorgehen und darüber sprechen; denn nichts wäre erstaunlicher, als wenn wir uns in Europa über die Frage des zukünftigen Umgangs mit der Türkei vor den Augen des Präsidenten Erdogan öffentlich zerstreiten. Das würde Europas Position dramatisch schwächen. Davon kann ich uns nur abraten.

Die gleiche Entschiedenheit, die wir im Umgang mit der türkischen Regierung, mit dem Präsidenten haben, müssen wir auch haben, wenn es darum geht, den Blick auf die vielen zu haben, die in der Türkei mit der augenblicklichen politischen Entwicklung nicht zufrieden sind. Wir müssen den Blick auch auf die vielen türkischstämmigen Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland haben, weil es unsere Bürgerinnen und Bürger sind, auch auf diejenigen, die mit türkischer Staatsbürgerschaft seit langem hier leben. Sie tragen zum Wohlstand unseres Landes bei. Wir dürfen sie nicht vor den Kopf stoßen. Wir müssen auch mit ihnen das Gespräch über die weiteren Entwicklungen führen, denn sie sind Teil unseres Landes, und das sollten wir ihnen auch deutlich machen. Insofern ist es eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe, die vor uns liegt und der wir uns natürlich stellen werden.

Ein Weiteres, in dem sich auch wieder symbolhaft die Situation, die globalen Herausforderungen spiegeln, das ist die Lage der Flüchtlinge weltweit. Hier haben wir vieles unternommen. Ich will darauf heute im Einzelfall nicht eingehen, will allerdings sagen, dass mir die Partnerschaft mit Afrika besonders wichtig ist. Wir haben jüngst mit dem italienischen und dem spanischen Premierminister sowie dem französischen Präsidenten über die Partnerschaft mit der Einheitsregierung in Libyen, über die Partnerschaft mit Niger, über die Zusammenarbeit mit Tschad und anderen afrikanischen Ländern gesprochen. Ich habe nicht behauptet, dass es sich um eine Demokratie nach unserem Vorbild handelt. Trotzdem müssen wir mit diesen Ländern reden. Es hat keinen Sinn, zu glauben, dass durch simple Verurteilung im Deutschen Bundestag die Welt sich zum Besseren ändert, sondern wir müssen Menschen im Blick haben: Menschen, die durch die Sahara fliehen, Menschen, die durch Niger gehen, Menschen, die nach Libyen kommen. All diese Länder sind sicherlich nicht Demokratien, wie wir sie uns vorstellen, und trotzdem müssen wir mit diesen Ländern reden und Partnerschaft mit ihnen aufbauen.

Wir werden am Jahresende einen EU-Afrika-Gipfel haben, und auf diesem EU-Afrika-Gipfel werden die Weichen für mehr fairen Handel mit Afrika und für mehr wirtschaftliche Entwicklung in Afrika gestellt werden müssen, so wie Wolfgang Schäuble das mit seinem Compact with Africa im Rahmen der G20-Präsidentschaft vorgeschlagen hat; darauf zielen auch viele Initiativen der Wirtschaftsministerin und anderer Minister, die von uns eingeleitet wurden. Insofern gibt es in der gesamten Bundesregierung eine sehr vernetzte Zusammenarbeit, um diesen afrikanischen Ländern zu helfen.

Wenn es um Sicherheit in der Welt geht, dann spielt natürlich auch das Thema Verteidigung eine Rolle. Wir hatten hierzu heute Morgen ja schon eine bemerkenswerte Diskussion. Deshalb möchte ich dazu auch etwas sagen.

Im Jahre 2002 hat die Nato beschlossen, dass neue Mitgliedstaaten nur dann in die Nato aufgenommen werden, wenn sie sich vorher verpflichten, bereits im Zuge des Membership Action Plans, also vor dem eigentlichen Beitritt, zwei Prozent ihres Budgets für die Verteidigung auszugeben. Dies blieb natürlich nicht ohne Folgen für die Diskussion über die Höhe der Verteidigungsausgaben der bereits langjährig der Nato angehörenden Mitgliedstaaten. Deshalb haben die Verteidigungsminister 2006 diesen Beschluss wiederholt, deshalb spielt es seitdem eine zentrale Rolle. Und in der gesamten Amtszeit des amerikanischen Präsidenten Barack Obama gab es ein immer wiederkehrendes Thema, und das hieß: Ihr Deutsche könnt nicht davon ausgehen, dass auf Dauer andere für euch ein Stück Sicherheit schaffen, ohne dass ihr den Anstrengungen, zu denen wir uns gemeinsam verpflichtet haben, folgt.

Daraufhin hat man sich dann in Wales – auch sehr stark unter dem Eindruck des Ukraine-Konflikts – entschieden, zu sagen – und diese Position hat die Bundesregierung gemeinsam getragen –: Auch die Länder, die das Zwei-Prozent-Ziel heute noch nicht einhalten – die neuen Mitgliedstaaten tun das ja weitestgehend –, sollen den Richtwert zwei Prozent in Betracht ziehen und sollen sich deshalb bis 2024 in Richtung von Verteidigungsausgaben in Höhe von zwei Prozent des Budgets entwickeln. Dieses wiederum spiegelt sich wider in dem Weißbuch, das von der gesamten Bundesregierung verabschiedet wurde, und zwar im Juli 2016. Das sind alles Beschlüsse, die vor der Wahl in den USA gefasst wurden, in der Donald Trump zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt wurde.

Wir haben dann moderate Erhöhungen des Verteidigungsetats vorgenommen, regelmäßig begleitet von Kommentaren unserer Verteidigungsexperten sowohl aus der Fraktion der CDU/CSU als auch aus der Fraktion der SPD, dass dies dringendst notwendige Erhöhungen seien, allerdings immer noch nicht ausreichende Erhöhungen, weil uns alleine schon die Ausrüstung der Bundeswehr in vielerlei Hinsicht fordert. Da rede ich noch gar nicht über Blauhelmeinsätze und Hilfe für andere Länder, zum Beispiel bei der Ausrüstung und beim Training von Soldatinnen und Soldaten.

Dann habe ich zu meiner Nicht-Freude gehört, dass dieses Ziel nicht mehr akzeptiert wird. Dann habe ich, diesmal zu meiner Freude, gehört, dass der Kanzlerkandidat der Sozialdemokratischen Partei sich bei seinen Experten für Verteidigung Rat gesucht hat, zum Beispiel bei Rainer Arnold, und dass der ihm empfohlen hat, dass man pro Jahr drei bis fünf Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr einsetzen sollte. Da habe ich meine mathematischen Fähigkeiten zusammengenommen und habe mir gedacht: Wenn es drei Milliarden sind, bewegen wir uns schnell in Richtung Zwei-Prozent-Ziel. Wenn es fünf Milliarden sind, haben wir das Zwei-Prozent-Ziel wahrscheinlich 2024 erreicht. Also: kein Problem, kein Dissens. Ich bin froh und hoffe, dass das Wort des Kanzlerkandidaten Martin Schulz gilt. Um die Quelle zu nennen: Es war beim Forum von Deutschlandfunk und Phoenix. Da wurde darüber hinaus noch behauptet, ich wolle 30 Milliarden Euro mehr einsetzen, was von einem Jahr aufs andere ergeben hätte, dass wir das Zwei-Prozent-Ziel erfüllt hätten. Nur, damit alles klar ist.

Jetzt möchte ich nur noch kurz darauf hinweisen, weil meine Zeit nämlich so gut wie vorbei ist: Lassen Sie uns diese erfolgreiche Regierungsarbeit wenigstens am heutigen Tage einigermaßen gelten lassen! Wir haben nämlich wirklich eine Menge miteinander erreicht. Wir haben eine Menge Unterschiede; das ist überhaupt keine Frage. Diese zeigen sich auch in den Regierungsprogrammen; das ist auch keine Frage. Aber das, was wir geschafft haben, sollten wir den Menschen schon sagen. Und damit schließe ich.

Quelle: Bundesregierung.de



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