Kanzler Scholz: „Vertrauensfrage richtet sich an die Wähler“ – Bundestag macht Weg für Neuwahlen frei
Bundeskanzler Olaf Scholz hat durch seine Vertrauensfrage am Montag, 16.12., den Weg zu vorzeitigen Bundestagswahlen am 23.2. frei gemacht. Die Abgeordneten verweigerten ihm mit 394 zu 207 Stimmen bei 116 Enthaltungen das Vertrauen. Scholz wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch am selben Tag die Auflösung des Bundestages vorschlagen, über welche dieser bis zum 6.1.2025 zu entscheiden hat. Er könnte die Auflösung verweigern – wird dies angesichts der Mehrheitsverhältnisse jedoch voraussichtlich nicht tun.
Entschließt sich der Präsident zur Auflösung des Parlaments, muss er einen Termin für Neuwahlen vorschlagen. Diese müssen innerhalb von 60 Tagen ab Verkündung der Entscheidung Steinmeiers stattfinden. Dieser hat sich jedoch mit den Spitzen der größeren Parteien bereits auf den 23.2. geeinigt. Um einen rechtzeitigen Druck der Stimmzettel und die Durchführung der Briefwahl zu gewährleisten, müssen alle Wahlvorschläge bis 30.1. eingereicht sein.
Scholz wirft Lindner „fehlende sittliche Reife“ für Regierung vor
In einer 25-minütigen Rede begründete der Kanzler, warum er sich zu diesem Schritt entschlossen hatte. Scholz erklärte, die Vertrauensfrage sei an die Wähler gerichtet. Diese seien es, die grundlegende Entscheidungen über die Investitionen und die Zukunftsorientierung des Landes treffen müssten.
Der Bundeskanzler verteidigte seine Entscheidung, durch die Entlassung von Bundesfinanzminister Christian Lindner die Ampel vorzeitig beendet zu haben. Die Uneinigkeit sei nicht länger tragbar gewesen, erklärte Scholz. Dabei erneuerte er seine Kritik an der FDP.
Politik sei „kein Spiel“, äußerte der Kanzler. Es sei eine „sittliche Reife nötig“, um in eine Regierung einzutreten. Die FDP habe jedoch „die Regierung sabotiert“, das „Schauspiel“ des Koalitionspartners habe „der Demokratie insgesamt geschadet“.
Kanzler will „Respekt“ zum Leitthema seines Wahlkampfs machen
Es gehe nun darum, so Scholz, „entschlossen“ statt „kleinkrämerisch und verzagt“ notwendige Investitionen in die Infrastruktur anzugehen. Es sei ein „klares Signal der Wählerinnen und Wähler“ notwendig, um den Rückhalt für diese Veranlassungen zu erhalten. Dabei soll eine Reform der Schuldenregel offenbar kein Tabu mehr sein.
Der Kanzler verwies darauf, dass in der G7 alle Länder Schuldenquoten von mehr als 100 Prozent hätten, Deutschland hingegen bald unter 60. Scholz äußerte dazu:
„Wenn es ein Land gibt, das sich das leisten kann, dann sind wir das.“
Der Kanzler wolle mit Bürokratie und Berichtspflichten „aufräumen“, den Standort gegenüber der Konkurrenz aus den USA und China stärken und für „gute Löhne und sichere Renten“ sorgen.
Scholz kündigte an, den Mindestlohn auf 15 Euro pro Stunde erhöhen zu wollen. Zudem bekannte er sich zu einem Einwanderungsrecht, das akzeptiere, dass „Heimat“ im Plural existieren könne. Dies alles sei auch eine Frage des „Respekts“. Deutschland solle „stärkster Unterstützer der Ukraine“ bleiben, es werde dort jedoch keine „Taurus“-Marschflugkörper und keine deutschen Soldaten geben. In der Frage von Krieg und Frieden werde man „standhaft und besonnen“ bleiben.
CDU-Chef: Umgang von Scholz mit Lindner „nicht nur respektlos, sondern unverschämt“
Unions-Fraktionschef Friedrich Merz reagierte mit deutlicher Kritik an Scholz, aber auch an Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Der Kanzler hätte die Vertrauensfrage „sofort nach dem Bruch der Ampel stellen“ müssen. Zudem sei die Adressierung der FDP und von Ex-Minister Lindner durch den Kanzler „nicht nur respektlos, sondern unverschämt“ gewesen.
Die Sozialdemokraten hätten 22 der vergangenen 26 Jahre in Regierungsverantwortung verbracht. In dieser Zeit wäre ausreichend Raum gewesen, um die Ziele, die Scholz nun ankündige, umzusetzen.
Die „Zeitenwende“-Rede und das Schuldenbremse-Urteil des Bundesverfassungsgerichts wären Gelegenheiten gewesen, um neue Prioritäten zu setzen. Dies sei nicht geschehen, am Ende sei das Sondervermögen für die Bundeswehr zur Finanzierung des laufenden Betriebs herangezogen worden. In der Rede des Kanzlers sei auch das Wort „Wettbewerbsfähigkeit“ nicht vorgekommen.
Merz: Habeck ist „das Gesicht der Wirtschaftskrise“
An die Adresse von Minister Habeck erklärte Merz, dieser sei „das Gesicht der Wirtschaftskrise“. Die Menschen bekämen „Ihre Energiepolitik zu spüren“, die eigene Nachfrage könne nicht mehr bedient werden, andere Länder in Europa seien „stinksauer“ auf Deutschland.
Merz kritisierte den von SPD und Grünen ins Treffen geführten Vorschlag, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben auf fünf Prozent zu reduzieren. Dies würde, so Merz „sechs Cent auf ein Pfund Butter“ ausmachen.
In Anbetracht der jüngsten Debatten über eine mögliche schwarz-grüne Koalition betonte Merz, die Union stehe für „Leistungsbereitschaft statt Umverteilung und Steuererhöhungen“. Auch sei „die Arbeitszeit im Land zu niedrig“. Direkt an Habeck gewandt äußerte Merz:
„Diese Wirtschaftspolitik machen Sie mit uns nicht.“
Der CDU-Chef erklärte zudem, in der Rentenpolitik werde es mit ihm keine Rentenkürzungen, aber „Anreize zur Weiterarbeit“ geben. Er würde auch „alle Möglichkeiten der Energieerzeugung ausschöpfen“. Dem Ansinnen der Bundesregierung, der Netzentgeltdeckelung zuzustimmen, werde die Union nicht nachkommen. Man werde „nicht 1,3 Milliarden Euro mehr für gescheiterte Energiepolitik“ ausgeben, die Deckelung hätte mit zusätzlichen Kapazitäten entfallen können. Bezüglich der Militärpolitik wolle man auch ein Ende des Ukrainekrieges, aber auch mehr Mittel für die Bundeswehr:
„Wir wollen uns verteidigen können, damit wir uns nicht verteidigen müssen.“
Habeck: Grüne haben „alles gemacht, um die Regierung zu erhalten“
Minister Habeck äußerte in seinem Redebeitrag, die Ampel hätte „vielerlei Hinsicht zurecht einen schlechten Ruf gehabt“. Deutschland sei jedoch nicht das einzige Land mit Schwierigkeiten im Bereich der Regierung. „Erleichterung“ über Ende der Ampel zu äußern, wie dies mehrfach geschehen sei, sei unangebracht.
Die Grünen hätten, so Habeck, „alles gemacht, um die Regierung zu erhalten“ – auch, wenn dies in Umfragen geschadet hätte. Dies unterscheide sie von der FDP. Die nächste Regierung, so Habeck, werde es nicht leichter haben. In einer so schwierigen Konstellation müsse „jeder über seinen Schatten springen“.
Habeck kritisierte die Union für deren Weigerung, in „nicht parteipolitischen Fragen“ mit der Koalition zu stimmen. Der Minister warnte zudem vor „Rückschritten“ und einer Verklärung der Ära vor der Ampelkoalition. Die „vermeintliche Normalität der Merkel-Jahre“ sei „durch Verdrängung der Wirklichkeit erkauft“ worden.
Der Minister warb auch dafür, das Image eines weltoffenen Deutschlands nicht infrage zu stellen. Fachkräfte blieben erforderlich, so Habeck, der seinen jüngsten Kenia-Besuch erwähnte. An die AfD gerichtet erklärte er, diese sei „die größte Gefahr für Wirtschaft und Wohlstand in Deutschland, ihr Rassismus schadet dem Land“.
Lindner warnt vor französischen Verhältnissen – Weidel wirft Scholz „Schaden für Deutschland“ vor
FDP-Chef Christian Lindner äußerte, Deutschland befinde sich „in einer sich zuspitzenden Wirtschaftskrise“. Es seien zehntausende Arbeitsplätze in Gefahr, deshalb habe die Ampel ihre Akzeptanz verloren. Wachstumsorientierte Politik sei die sozialste Politik, die man machen könne.
Lindner warf Scholz vor, von ihm „ultimativ 15 Milliarden Euro außerhalb der Schuldenbremse gefordert“ zu haben. Als er sich verweigert habe, habe der Kanzler ihn entlassen. Der Ex-Minister warf der SPD vor, eine „Gefälligkeitspolitik auf Pump“ zu betreiben. Vor allem mit Blick auf die Schuldenkrise in Frankreich sei das untragbar. Sollte auch Deutschland in eine Lage kommen, in der das Rating seiner Kreditwürdigkeit gesenkt würde, sei die Stabilität der Währung in Gefahr.
AfD-Vorsitzende Alice Weidel erklärte, das Erbe der Ampel seien Zusammenbrüche in Autoindustrie, Maschinenbau und chemischer Industrie. Dazu kämen Dunkelflaute, eine nicht mehr tragbare Steuerbelastung, „Internetspitzel und Meldestellen einer NGO-Stasi“ sowie die Anwendung eines neuen Tatbestands der „Majestätsbeleidigung“. Die Regierung Scholz habe Deutschland noch stärker geschadet als ihre Vorgänger.
Die Vertrauensfrage hätte umgehend erfolgen müssen, die Krisen werde bleiben. Die Entwicklung in Syrien müsse genutzt werden, um einen Aufnahmestopp für Asylsuchende aus dem Land zu verfügen. Zudem müssten Einbürgerung und Familienzusammenführung beendet werden. Der Union warf Weidel vor, das Parlament lahmzulegen, statt wichtige Entscheidungen möglich zu machen. Dazu komme ein Kandidat Friedrich Merz, der „den Dritten Weltkrieg riskiert“.
Mützenich lobte den Kanzler für vorausschauende Diplomatie
SPD-Fraktionschef Ralf Mützenich übte wie zuvor auch Kanzler Scholz scharfe Kritik an der FDP. Diese habe das Gedenken an die Befreiung vom Faschismus missbraucht, um mit Begriffen wie „D-Day“ oder „offene Feldschlacht“ von langer Hand einen Regierungsbruch vorzubereiten. Mützenich würdigte die Politik des Kanzlers, der realisiert habe, dass es notwendig sei, den Gesprächsfaden mit Ländern des globalen Südens aufrechtzuerhalten. Deren Wahrnehmung des Ukrainekrieges sei eine andere. Gleichzeitig sei deren Einfluss auf Moskau vielfach größer. Diplomatisch bringe dies mehr als „markige Sprüche“ wie von Merz.
Namens der Linksgruppe äußerte MdB Sören Pellmann, Kanzler Scholz habe sich „von einer kleinen Partei der Besserverdienenden mit dem Nasenring durch die Manege ziehen lassen“. Seine Politik habe die „heftigste Aufrüstungsspirale in der Geschichte der Bundesrepublik“ in Gang gesetzt. Deutschland müsse sich „aus der Wirtschaftskrise hinausinvestieren“, die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gänzlich abschaffen und dürfe keine „Rentenspekulation“ zulassen.
BSW-Chefin Sahra Wagenknecht warf der Regierung Scholz vor, diese habe „das Leben der Menschen stetig und nachhaltig verschlechtert“. Sie habe 95 Prozent der Bürger über Jahre hinweg immer stärker belastet und auch noch das größte Aufrüstungsprogramm ermöglicht. Scholz sei „zu oft umgefallen, um Vertrauen zu verhindern“. Die CDU wolle das Land aus der Krise führen, aber Minister Habeck in der Regierung belassen. Das BSW stehe „für eine starke Wirtschaft, sinkende Energiepreise und eine friedliche Außenpolitik“.
Grüne wollten durch Enthaltung AfD als Zünglein an der Waage verhindern
Parteienforscher Karl-Rudolf Korte sprach mit Blick auf die Vertrauensfrage gegenüber ZDF-„heute“ von einem „Antrag, der das Scheitern der Koalitionsregierung unter Kanzler Scholz parlamentarisch besiegelt“. Um das Vertrauen ausgesprochen zu bekommen, hätte der Kanzler die Stimmen von 367 Abgeordneten auf sich vereinigen müssen.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hatte im Vorfeld eine Enthaltung angekündigt. Auf diese Weise wollte der verbliebene Regierungspartner der SPD verhindern, dass die AfD mit ihren Stimmen das von Scholz selbst angestrebte Scheitern der Vertrauensfrage vereitelt. Am Ende sprachen 207 Abgeordnete dem Kanzler das Vertrauen aus. So viele Sitze hat die SPD im Bundestag. Allerdings hatten einige AfD-Abgeordnete und mehrere Fraktionslose angekündigt, für Scholz zu stimmen.
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