Jusos fordern: Abschaffung von Frontex und Bürgergeld für Asylbewerber

Angesichts der prekären Lage von Bundeskanzler Scholz und der SPD in der Wählergunst versuchen auch innerparteiliche Kritiker, Eklats auf dem Bundesparteitag in Berlin zu verhindern. Mit einigen Anträgen wollen jedoch vor allem die Jusos ihren Unmut zum Ausdruck bringen.
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Philipp Türmer, Chef der Jusos, beim SPD-Parteitag am 8. Dezember 2023.Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 10. Dezember 2023

Trotz der herben Rückschläge bei jüngsten Wahlen, katastrophaler Umfragewerte und einer akuten Haushaltskrise bemüht sich die SPD um einen harmonischen Bundesparteitag. Für seine Rede hat Bundeskanzler Olaf Scholz am Samstag, 9. Dezember, von den etwa 600 Delegierten in Berlin standesgemäßen Applaus erhalten.

Im Bundesvorstand sind bislang loyale Mitstreiter gelandet. Innerparteiliche Kritiker wie die Jusos wollen jedoch mit einigen Anträgen Flagge zeigen – und die Führung unter Druck setzen.

Neben Jusos äußert auch der „Weedmob“ Unmut über SPD-Kurs

Bislang beschränkt sich die sichtbare Präsenz Unzufriedener in den eigenen Reihen auf den sogenannten „Weedmob“. Dieser tritt vorwiegend auf X in Erscheinung, um seinen Unmut über die Verzögerung der geplanten Legalisierung von Cannabis durch die Ampelkoalition zum Ausdruck zu bringen. Diese war auf Druck der SPD-Fraktionsspitze im Bundestag von der Tagesordnung genommen worden.

Das Cannabisgesetz ist jedoch nicht der einzige Bereich, der in erheblichen Teilen der Partei für Irritationen sorgt. Bereits im Vorfeld des Parteitages hatten die Jusos, die Jugendorganisation der SPD, deutliche Kritik an der sogenannten Migrationswende geübt.

Am Sonntag, 10. Dezember, wollen sie den Kanzler mit einem Antrag unter Druck setzen, der in die exakte Gegenrichtung des von Scholz angekündigten „Abschiebeturbos“ geht. Wie die „BZ“ berichtet, soll es unter anderem um die Abschaffung der EU-Grenzschutzagentur Frontex gehen.

Diese soll nach dem Willen führender Politiker der EU und ihrer Mitgliedstaaten sogar aufgewertet werden – insbesondere seit den Szenen von Lampedusa im Spätsommer.

SPD-Jugend will „Sichere Häfen“ wiederbeleben

Die Jugendorganisation will auch gegen andere Teile des 2023 ausgehandelten EU-Maßnahmenplans zur Verringerung der Asylzahlen auf Konfrontationskurs gehen. Dort war von Flüchtlingslagern in den Grenzstaaten die Rede. Die Jusos wollen diese hingegen auflösen – durch die „Aufnahme der Geflüchteten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union“.

Die Aufnahmeverfahren sollen nach dem Willen der Jungsozialisten dafür beschleunigt werden. Zudem treten sie für eine „freie Wahl des Standorts für Geflüchtete in Europa“ ein.

Statt „Abschiebepatenschaften“ fordert der Berliner Landesverband eine „Koalition der Willigen“. Diese soll die Vorreiterrolle bei der Aufnahme und Verteilung Geflüchteter übernehmen.

Kommunen, die von sich aus mehr Geflüchtete aufnehmen wollen, sollen dafür Unterstützung aus einem EU-Fonds erhalten. Offenbar nimmt die SPD-Jugendorganisation auf das Städtebündnis „Sichere Häfen“ Bezug, dem ursprünglich 120 Kommunen beigetreten waren. In Zeichen zunehmender Belastungen der kommunalen Haushalte ist es um dieses zuletzt eher ruhig geworden.

Jusos preschen mit Antrag „Bürgergeld für Asylbewerber“ vor

Chancen auf eine Mehrheit dürfte der Antrag jedoch nicht haben. Zum einen hatte Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Rede am Samstag verdeutlicht, dass Deutschland „offen für Migration“ bleibe und am Asylrecht festhalten werde.

Zum anderen hat die Bundesspitze unter Federführung von Generalsekretär Kevin Kühnert einen Kompromissantrag vorbereitet. In diesem wird das von Kanzler Scholz jüngst vermehrt gebrauchte Wort „Abschiebungen“ umschifft. Stattdessen tritt man für eine Unterstützung der sogenannten Seenotrettung durch NGOs im Mittelmeer ein. Außerdem will man Geflüchteten den Familiennachzug erleichtern.

Die Jusos wollen jedoch auch das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen und den Betroffenen von Beginn an Zugang zum Bürgergeld verschaffen. Die jüngsten Vereinbarungen zwischen Kanzler Scholz und den Ländern zielen hingegen darauf, diesen weiter nach hinten zu verlagern. Künftig soll die Wartezeit drei Jahre statt wie bislang 18 Monate betragen.

Ukraine-Einpeitscher fällt bei Wahl zum Bundesvorstand durch

Bezüglich des Bürgergelds liegt aus Bremerhaven ein Antrag vor, der darauf abzielt, jegliche Sanktionsmöglichkeiten für Bezieher abzuschaffen. Menschen ohne Lohnarbeit dürfe man, so die Begründung, „nicht aus dem gesellschaftlichen Leben ausschließen“.

Die Jusos wollen zudem erreichen, dass Bezugszeiten von Bürgergeld oder dem früheren ALG II („Hartz IV“) bei der Begründung von Rentenanwartschaften Berücksichtigung finden. Die Jobcenter sollen dafür Rentenbeiträge für die Bezieher entrichten. So will man der Altersarmut gegensteuern. Einen konkreten Finanzierungsvorschlag für das Vorhaben in Zeiten der Haushaltskrise gibt es jedoch nicht.

Für Entspannungspolitik statt der Verfolgung des Zwei-Prozent-Ziels der NATO wirbt ein Antrag aus Bremen. In der „Zeitenwende“-SPD dürfte er kaum Chancen auf Annahme haben. Eine Schlappe musste jedoch der Außenpolitiker Michael Roth hinnehmen.

Der für einen besonders aggressiven Unterstützungskurs gegenüber der Ukraine bekannte Politiker fiel bei der Wahl in den Bundesvorstand durch. Seine Anhängergemeinde wertete dies auf X als vermeintlichen späten Erfolg der Schröder-SPD.

Mehr Führung durch Scholz

Was die Jusos noch fordern: Scholz soll mehr führen. „In der aktuellen Situation trauen die Ampelparteien einander nicht mehr über den Weg, und Olaf moderiert nur zwischen den beiden Streithälsen Grüne und FDP“, sagte Türmer dem Portal „Watson“.

Wenn sich die FDP nicht durchringen könne, die Schuldenbremse 2024 auszusetzen, müsse er sie eben daran erinnern, dass sie der kleinste Partner sei.



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