Israel: Netanjahu für Verschiebung der Justizreform – Linke hofft auf Koalitionsbruch
In Israel steht die erst seit Ende Dezember des Vorjahres bestehende Regierung in Israel vor einer ersten Zerreißprobe. Zankapfel ist die geplante Justizreform der aus rechtsgerichteten und religiösen Parteien bestehenden Koalition. Wie die Zeitung „Arutz Sheva“ berichtet, hat Premier Benjamin Netanjahu nun eine Aufschiebung des Vorhabens gefordert.
Die Linksopposition hatte in den vergangenen Wochen wiederholt Proteste gegen das Vorhaben initiiert. An den Kundgebungen, die teilweise von gewalttätigen Ausschreitungen überschattet waren, beteiligten sich Tausende Menschen.
Schwerpunkte der Proteste waren Oppositionshochburgen wie Tel Aviv-Jaffa oder Haifa. Allerdings gab es auch Kundgebungen in mehrheitlich dem Likud zugeneigten Städten wie Be’er Scheva und vor der Residenz des Premierministers in Jerusalem.
USA „tief besorgt“ über Lage in Israel
In der Nacht zum Montag, 27. März, war die Entlassung von Verteidigungsminister Yoav Galant der Auslöser für Demonstrationen. Der Likud-Politiker hatte sich gegen die Justizreform ausgesprochen und erklärt, diese spalte die Bevölkerung. Der Konflikt, so Galant, könne zu einer „wirklichen Bedrohung für die Sicherheit Israels“ werden.
Auch der israelische Generalkonsul in New York, Asaf Zamir, legte sein Amt nieder – als Reaktion auf die Entlassung Galants. Diese sei eine „gefährliche Entscheidung“. Er könne aus diesem Grund „diese Regierung nicht länger repräsentieren“. Zuvor hatte sich die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Adrienne Watson, „zutiefst besorgt“ über die Lage in Israel geäußert.
Auf internationaler Ebene gelten die USA als die wichtigsten Partner des jüdischen Staates. Je nach politischer Ausrichtung der jeweiligen Regierungen sind die Beziehungen jedoch enger oder gespannter. Demokratische Administrationen in Washington waren zuletzt wiederholt auf Distanz zu rechtsgerichteten Kabinetten in Jerusalem gegangen.
Staatspräsident Herzog schaltet sich in Debatte ein
Netanjahu dürfte mit der Entlassung Galants unterdessen einen Versuch unternommen haben, seinen kleineren Koalitionspartnern Zugeständnisse zu machen. Diese drängen auf eine zeitnahe Durchsetzung der Justizreform. Der Nationale Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir von der Rechtspartei Otzma Jehudit stellte sogar einen möglichen Bruch der Koalition in Aussicht.
Der Premier beharrte hingegen darauf, die Reform zu verschieben. In Anbetracht der Intensität der derzeitigen Proteste sei ein schnelles Durchregieren in diesem Bereich nicht tunlich. Netanjahus Strategie besteht offenbar darin, die Proteste auszusitzen, gleichzeitig aber eine Gesprächsbasis mit Reformgegnern zu suchen.
Entgegen der üblichen Praxis, sich aus tagespolitischen Debatten herauszuhalten, hatte Präsident Isaac Herzog vor zwei Wochen einen eigenen Vorschlag präsentiert. Dieser sah zwar weniger weitreichende Kontrollen für das Gebaren der Justiz vor – allerdings signalisierte Herzog damit auch, dass er Reformbedarf grundsätzlich für gegeben hält. Zudem hatte sogar der Chef der größten Oppositionspartei Jesch Atid, Jair Lapid, eine Justizreform für erforderlich erachtet. Er hatte allerdings in seinem Kabinett keinen ausreichenden Rückhalt dafür gefunden.
Warnung vor Neuauflage des Szenarios unter Schamir
Netanjahu warnte seine Koalitionspartner vor einem Szenario wie Anfang der 1990er. Damals zerbrach die Rechtsregierung unter Likud-Premier Jitzchak Schamir nach dem Ausstieg mehrerer Kleinparteien. Die Folge waren Neuwahlen, aus denen eine Linkskoalition unter Jitzchak Rabin als Sieger hervorging. Am Ende, so Netanjahu, stand „das Desaster der Verträge von Oslo“.
Immerhin soll der im Kabinett einflussreiche Finanzminister Bezalel Smotrich vom religiös-zionistischen Bündnis „Wiedergeburt“ Kompromissbereitschaft signalisiert haben. Er würde demnach eine Verschiebung der Reform billigen, allerdings eine Verwässerung nicht unterstützen.
Kern der Reform ist es, das Recht auf Ernennung und Entlassung von Richtern des Obersten Gerichtshofs dem Parlament zu übertragen. Eine solche Regelung ist beispielsweise in Deutschland in Kraft – dennoch hat auch die deutsche Regierung Kritik an der geplanten Reform in Israel geübt. Bisher ist ein gemischtes Gremium aus Richtern, Knesset-Abgeordneten und Rechtsexperten dafür zuständig.
Glick: „Begin hatte Chance zur Objektivierung der Institutionen in Israel verpasst“
Israels Linke, die Regierung in Berlin und die Administration Biden sehen ein „Ende der Unabhängigkeit der Justiz“ als mögliches Resultat der Reform. Konservative Kommentatoren wie die Publizistin Caroline Glick hingegen verweisen darauf, dass die Linke in Israel die Justiz als politisches Machtinstrument nutze.
Nach Staatsgründung habe die dominante Arbeiterpartei durch gezielte Personalpolitik ihre Macht in den Institutionen aufgebaut. Menachem Begin habe es als erster rechter Regierungschef ab 1977 verabsäumt, eine Objektivierung durchzusetzen.
Neben der Wahl von Höchstrichtern durch das Parlament sollen dem Reformpaket zufolge die Richter auch stärker an das Gesetz gebunden sein. Bis dato können Höchstrichter Vorhaben der Regierung oder Gesetze auf der Grundlage unklarer Rechtsbegriffe wie „Vernünftigkeit“ vereiteln.
Stimmen für eine Justizreform gibt es auch in der Mitte
Zudem soll es dem Obersten Gerichtshof untersagt sein, fundamentale Verfassungsgrundsätze des Landes außer Kraft zu setzen. Die Knesset soll zudem mehr Möglichkeiten bekommen, Entscheidungen des Gerichtshofs aufzuheben. Auch das ist in manchen EU-Staaten nicht unüblich: In Österreich kann der Gesetzgeber beispielsweise durch Verabschiedung eines Gesetzes als Bestimmung im Verfassungsrang dieser der inhaltlichen Kontrolle durch den VfGH entziehen.
Die letzte Klausel des Reformpakets der Regierung sieht vor, dass die Stellungnahmen des Generalstaatsanwalts die Regierung, der er angeblich dient, nicht binden. Caroline Glick geht davon aus, dass die Justizreform kommen wird. Es gebe auch in der zionistischen Mitte einen Konsens, dass es mehr an verbindlichen Regeln für das Verhältnis zwischen Parlament und Justiz bedürfe.
Die derzeitigen Proteste seien demgegenüber ein Versuch der radikalen Linken, ihre Niederlage an der Wahlurne nachträglich in einen Sieg umzuwandeln. Der Rückhalt dafür in der Gesamtgesellschaft sei jedoch nicht höher als jener für die Proteste zu Beginn der Ära Trump in den USA.
(Mit Material von AFP)
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion