Internes Strategiepapier löst Erdbeben aus – FDP steht vor personeller Neuaufstellung

Politisches Erdbeben bei der FDP: FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai hat am Freitag seinen Rücktritt erklärt, nachdem ein internes Strategiepapier zum Ausstieg aus der Ampelkoalition öffentlich wurde. Auch FDP-Bundesgeschäftsführer Carsten Reymann tritt zurück, um eine personelle Neuaufstellung der Partei zu ermöglichen. Erste Namen kursieren schon.
Ein Strategiepapier für den Ausstieg aus der Ampel bringt die FDP in Turbulenzen.
Die FDP unter Christian Lindner steckt vor dem anstehenden Bundestagswahlkampf in einer schweren Krise.Foto: via dts Nachrichtenagentur
Von 29. November 2024

Der 48-jährige Djir-Sarai sagte in einer kurzen Erklärung im Hans-Dietrich-Genscher-Haus: „Ich habe unwissentlich falsch über ein internes Dokument informiert. Dies war nicht meine Absicht, da ich selbst keine Kenntnis von diesem Papier hatte“, sagte Djir-Sarai. „Dafür entschuldige ich mich.“ Für einen solchen Vorgang sei der Generalsekretär verantwortlich – „daher übernehme ich die politische Verantwortung, um Schaden von meiner Glaubwürdigkeit und der FDP abzuwenden.“

Beide FDP-Politiker reagierten damit auf das sogenannte „D-Day“-Papier der Partei, das am Vortag bekannt geworden war. Es enthält ein detailliertes Szenario für den Ausstieg der FDP aus der Ampel mit SPD und Grünen.

Djir-Sarai hatte noch am 18. November mit Blick auf damalige Medienberichte über die „D-Day“-Formulierung betont: „Das stimmt nicht. Dieser Begriff ist nicht benutzt worden.“ Offenbar hatte er bei seiner Rücktrittserklärung diesen Widerspruch im Blick.

In einer schriftlichen Erklärung von Reymann hieß es, er habe Lindner den Verzicht auf sein Amt angeboten. Lindner habe dieses Angebot angenommen. „Ich tue dies, weil ich eine personelle Neuaufstellung der Partei im Hans-Dietrich-Genscher-Haus ermöglichen möchte.“ Die FDP stehe vor einer wichtigen Bundestagswahl, die eine Richtungswahl für Deutschland sei. „In diesen Wahlkampf sollte die FDP mit voller Kraft und ohne belastende Personaldebatten gehen.“

Das interne Strategiepapier mit dem Titel „D-Day Ablaufszenarien und Maßnahmen“ hatte den Erdrutsch bei den Freien Demokraten ausgelöst. In diesem Papier wurde ein Ausstieg aus der Koalition mit der SPD und den Grünen detailliert durchgespielt .

Eine rein interne Vorbereitung

Der „ideale Zeitpunkt“ für einen „avisierten Ausstieg“ aus der Ampel zur Mitte der 45. Kalenderwoche könnte zwischen dem 4. und 10. November liegen, heißt es im Papier. Am 6. November kam es tatsächlich zum Bruch des schon lange kriselnden Bündnisses – indem Kanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Sitzung des Koalitionsausschusses Lindner als Finanzminister entließ.

„Dieses technische Papier ist kein Gegenstand der politischen Beratung von gewählten Mandatsträgern und Regierungsmitgliedern gewesen, sondern eine rein interne Vorbereitung für das Szenario eines Ausscheidens der FDP aus der Ampelkoalition“, heißt es. „Wir haben nichts zu verbergen“, schreibt die FDP gestern auf der sozialen Plattform X.

Die FDP bezeichnete das Dokument als „Arbeitspapier“, das vom Bundesgeschäftsführer der Partei zum ersten Mal am 24. Oktober erstellt worden sei. Die letzte Version, die am Donnerstag auch auf der Website der FDP öffentlich gemacht wurde, stammt vom 5. November, also kurz vor dem Bruch der Ampel.

Ohne Wirtschaftswende keine weitere Zusammenarbeit

„Wir haben niemals ein Geheimnis daraus gemacht, dass ohne eine Wirtschaftswende ein Ende der Ampel ein möglicher Ausgang des von uns selbst genannten Herbstes der Entscheidungen sein könnte“, verteidigt Generalsekretär Bijan Djir-Sarai nach der Veröffentlichung das Papier.

Kritik kommt aus den Reihen der ehemaligen Koalitionspartner. „Die FDP organisiert eine ,Feldschlacht‘ gegen eine Regierung, der man selbst angehört. Es ist gut, dass langsam alles herauskommt und die Bürger sich ein Bild machen können“, schreibt SPD-Parteivorsitzender Lars Klingbeil auf X.

Kritik von ehemaligen Partnern

Auch SPD-Generalsekretär Matthias Miersch kritisierte die FDP-Führung und warf ihr vor, die Öffentlichkeit getäuscht zu haben. Miersch verlangte von FDP-Chef Christian Lindner eine Entschuldigung. Gegenüber dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) bezeichnete Miersch es als „zynisch“, dass die FDP in dem Papier für den Zeitpunkt des Ampelbruchs das Wort „D-Day“ benutzt und den nachfolgenden Wahlkampf als „offene Feldschlacht“ bezeichnet. „Die FDP-Führung hat die Verwendung dieser Begriffe stets bestritten“, betonte er.

Auch Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann äußerte sich auf X:

„Ein Parlament ist kein Schlachtfeld, und das Ringen um die besten Ideen und Konzepte gehört zu unserer lebendigen Demokratie. Diese FDP sollte keine Verantwortung für unser Land übernehmen.“

Vizekanzler Robert Habeck, der für die Grünen ins Kanzleramt einziehen möchte, äußerte sich laut „ZDF heute“ knapp: „Mein Amtseid lautete, meine Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen – und nicht dem Wohle einer Partei.“

Auch parteiintern wurde Kritik laut

Doch nicht nur andere Parteien kritisieren die FDP. Auch innerhalb der Partei sorgt der Wirbel um das Strategiepapier für Unmut und Kritik. Den Aufschlag machte am Freitag die Bundesvorsitzende der FDP-Jugend, Franziska Brandmann. Am Morgen forderte sie den Rücktritt von Generalsekretär Djir-Sarai. „Nicht nur die Öffentlichkeit muss den Eindruck gewinnen, über Wochen getäuscht worden zu sein, sondern auch die eigene Partei“, so Juli-Chefin Brandmann auf X.

Der stellvertretende FDP-Chef Wolfgang Kubicki sagte in einem Interview in der „Welt“: „Die Kommunikation um das Papier war fehlerhaft, ja indiskutabel schlecht.“ Djir-Sarais Rücktritt sei „folgerichtig und respektabel“. Er selbst habe Djir-Sarai zu diesem Schritt geraten.

Personalwechsel in einer schwierigen Zeit

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bedauerte im „Stern“ Djir-Sarais Rücktritt und sprach von einem „herben Verlust für die FDP“. Djir-Sarai war ein erklärter Anhänger einer Koalition mit der Union und galt von Anfang an als „Ampel“-Skeptiker in der FDP.

Mit den beiden heutigen Rücktritten verliert die FDP zwei wichtige Pfeiler in der Wahlkampfplanung. Wie in anderen Parteien auch, ist der Generalsekretär federführend für den Wahlkampf zuständig. Gerade unter dem Aspekt, dass vermutlich im Februar der Bundestag neu gewählt wird, muss schnellstens ein Nachfolger gefunden werden. Laut „Stern“ wird in Parteikreisen im Moment der frühere Bundesjustizminister Marco Buschmann als Nachfolger gehandelt. Er übernimmt die Verantwortung für den Wahlkampf in einer Zeit, in der die FDP laut Umfragen mit einem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde rechnen muss.

 



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