Internationale Stimmen zum Ampel-Aus: Von „Endlich ist das Trauerspiel vorbei“ bis „Was für ein Timing“

Scholz hat am Mittwoch Lindner im Streit entlassen und für den 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag angekündigt. Bis Ende März könnte es Neuwahlen geben. Die Stimmen aus dem Ausland zum Ampel-Aus zeigen sich dabei alles andere als homogen.
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Die wöchentliche Kabinettssitzung der Bundesregierung am 6. November 2024 in Berlin.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 7. November 2024

Der Bruch der Ampel-Koalition in Berlin hat in Europa Sorge über eine politische Lähmung der EU ausgelöst.

„Europa ist nicht stark ohne ein starkes Deutschland“, sagte EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola am Donnerstag, 7. November, vor dem Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft in Budapest.

Der finnische Regierungschef Petteri Orpo nannte schnelle Neuwahlen in Deutschland „sehr wichtig“. Ohne ein starkes Deutschland könne die EU wichtige Entscheidungen etwa in Finanzfragen nicht treffen, betonte er.

NATO-Generalsekretär Mark Rutte gab sich dagegen unbesorgt. Deutschland könne weiterhin seine Verpflichtungen in der Verteidigungs- und Außenpolitik erfüllen, sagte der Niederländer. „Olaf Scholz ist eine starke Führungspersönlichkeit“, betonte Rutte. Der Bundeskanzler werde „in den kommenden Monaten dafür sorgen, dass Deutschland seine Rolle auf der Weltbühne wahrnimmt“.

EU-Ratspräsident Charles Michel sagte, er vertraue in die demokratischen Institutionen in Deutschland.

„Endlich ist das Trauerspiel vorbei“

In der internationalen Presse zeigt sich ebenfalls kein homogenes Bild.

So rechnet der britische „Guardian“ nicht mit einem raschen Ende der deutschen Regierungskrise. „Insider in der Regierung hatten vermutet, dass der Wahlsieg von Donald Trump die Gemüter in Berlin beruhigen und die Spitzen von Sozialdemokraten, Grünen und FDP dazu zwingen würde, die Notwendigkeit der Einigkeit zu erkennen. Aber die Zwietracht und der Groll in Berlin schien kein Einlenken zu ermöglichen.“ Der Koalitionsbruch könne Deutschland „in eine längere Phase der Unsicherheit stürzen“.

Anders sieht dies ein Kommentar im österreichischen „Standard“: „Am Ende wurde es, wie bei vielen privaten Trennungen auch, richtig, richtig schmutzig“, heißt es dort. „Die Ampel wollte sich nicht mehr retten. Das ist einerseits bitter, denn die Legislaturperiode hätte noch bis September 2025 gedauert. Andererseits war ihr Zustand über lange Zeit schon so desolat, dass man sagen muss: Endlich ist das Trauerspiel vorbei.“

Die „New York Times“ hingegen sieht einen „Kollaps“ im Ampel-Aus. „Die außergewöhnlichen Schwierigkeiten in Berlin lassen die Europäische Union in einer besonders schwierigen Zeit immer mehr in die Irre gehen“, so das US-Blatt.

Die spanische Tageszeitung „El País“ ging auf die Ursache für den Streit zwischen Scholz und Lindner ein. Diese sieht sie in den großen ideologischen Unterschieden zwischen Sozialdemokratie und Liberalismus. „Die Bundesregierung ist an unüberbrückbaren wirtschaftspolitischen Differenzen zerbrochen“, erklärt das Medium.

Der italienische „Corriere della Sera“ sieht gar Ähnlichkeiten zu politischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit im eigenen Land. „Nun ist es an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, die Krise von Schloss Bellevue aus zu steuern – so wie es im italienischen Präsidentenpalast oft passierte. Deutschland scheint mit der Krise ein italienisches Schauspiel nachzuspielen, das [in Deutschland] bisher noch niemand gespielt hat.“

Ähnlich sieht es „La Stampa“, auch aus Italien: „Am Ende scheiterte die Regierungsmehrheit, und seit gestern Abend ist Deutschland politisch zur ‚Lame Duck‘, zur lahmen Ente, geworden, mit einer Regierung, die wahrscheinlich nicht regierungsfähig ist und deren Schicksal besiegelt scheint.“

„Was für ein Timing“

Viele Medien halten dabei den Zeitpunkt für ungünstig.

„Just in dem Moment, in dem Donald Trump in den USA die Wahl gewinnt – was für Europa und Deutschland turbulente Zeiten bedeutet – steckt die deutsche Regierung in der Krise. Nach dem Treffen der drei Regierungsparteien am Mittwochabend erklärte ein wütender Bundeskanzler Olaf Scholz, dass eine Zusammenarbeit mit dem liberalen Finanzminister Christian Lindner nicht mehr möglich sei“, schreibt zum Beispiel der belgische „De Standaard“.

Dies sieht auch die niederländische Tageszeitung „De Telegraaf“ so: „Ausgerechnet einen Tag, nachdem die Vereinigten Staaten mehrheitlich ‚America First‘ gewählt haben, steckt das größte EU-Land samt einem stotternden Wirtschaftsmotor in einer großen politischen Krise. […] Mit der Entlassung des FDP-Finanzministers scheint das wichtigste Land der Eurozone auf einen politischen Albtraum zuzusteuern.“

Und die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ kommentiert: „Was für ein Timing […]. Nach der schockierendsten Wahl des Jahres in den USA und dem Sieg von Donald Trump ist es dem sozialdemokratischen Kanzler nicht gelungen, seine ausgefranste und mitgenommene Ampel-Koalition zusammenzuhalten.“

Die französische Tageszeitung „Le Monde“, zeigt sich überrascht: „Es wurde erwartet, dass Donald Trumps Sieg die Reihen der seit 2021 in Berlin regierenden Koalition schließen würde; er löste schließlich seine Explosion aus.“

Die „Neue Zürcher Zeitung“ nimmt Scholz ins Visier: „Olaf Scholz bleibt sich auch im Niedergang treu. Während der Kanzler den liberalen Finanzminister Christian Lindner am Mittwochabend bei seiner Pressekonferenz in Berlin als kleinkarierten und vertrauensunwürdigen Taktierer beschimpft und aus der Regierung wirft, klopft er sich selbst auf die Schultern“, so das Schweizer Medium. Deutschland sei ein „starkes Land“, behauptet Scholz, heißt es dort weiter. „Es ist nicht die einzige kolossale Fehleinschätzung dieses Abends.“

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)



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