„Innere Apokalypse“ – Missbrauch in der evangelischen Kirche

Seit Jahren wird die katholische Kirche den Skandal um massenhaften sexuellen Missbrauch nicht los. Da gehen die Fälle in der evangelischen Kirche beinahe unter.
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Kirche in Basel.Foto: iStock
Epoch Times28. Oktober 2021

Horst Eschment nennt es heute noch seine „innere Apokalypse“: Im Kindergartenalter sei er von einem Gemeindepastor sexuell missbraucht worden. Er spricht von „Steinen von Schmerz, Angst, Scham und Schuld“ und will heute „denen eine Stimme geben, die schweigend waren“.

Eschment ist einer von drei sogenannten Co-Forschern, die als selbst Betroffene mitarbeiten an einer Studie zum sexuellen Missbrauch in der evangelischen Kirche.

Detlev Zander ist ein zweiter. Er ruft bei der Vorstellung der von der evangelischen Kirche finanzierten Studie am Donnerstag in München eindringlich dazu auf, dass weitere Betroffene sich melden – damit endlich klar wird: „Was ist wann, wie, wo passiert?“ Dass er als Betroffener an der Studie mitarbeite, sei „ein Meilenstein“, die Studie „nützlich, um (…) klar zu machen, dass es sexuelle Gewalt in der evangelischen Kirche und der Diakonie gegeben hat“.

Er ruft auch andere Betroffene auf, sich zu melden. Denn er habe „Angst, dass, wenn sich wenig Betroffenen melden, dass die EKD dann immer sagen könnte: Wir haben ja gar nicht so viele“. Er betont: Schweigen stärke die Macht der Täter und Täterinnen.

Evangelische Kirche steht nicht im Fokus

Während die katholische Kirche seit inzwischen mehr als zehn Jahren sehr öffentlich und sehr umstritten um die richtige Form der Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in ihren Reihen ringt, steht die evangelische Kirche dagegen nicht so sehr im Fokus. Und das, obwohl es auch dort nachweislich Fälle gegeben hat.

Laut EKD wurden den Anerkennungskommissionen der Landeskirchen bislang 881 Fälle sexualisierter Gewalt gemeldet, die sich ab den 1950er Jahren im Raum der evangelischen Kirche und der Diakonie ereignet haben. „Dabei stammt die große Mehrheit der Fälle aus dem Kontext der Heimerziehung“, sagt ein EKD-Sprecher.

Rund 7,4 Millionen Euro haben die Landeskirchen den Angaben zufolge bislang an Opfer gezahlt. Außerdem wurden rund 74,8 Millionen Euro in den Fonds Heimerziehung und die Stiftung Anerkennung und Hilfe eingezahlt. Das seien die Empfehlungen des Runden Tischs „Heimerziehung“ von 2010 sowie des Runden Tisches „Sexueller Kindesmissbrauch“ von 2012 gewesen.

Studien zur Dunkelziffer

Auf diese bekannten Zahlen beziehen sich auch die fünf Studien, die die EKD nun finanziert. Alle sind sogenannte „Hellfeldstudien“, das Dunkelfeld, von dessen Existenz Experten ausgehen, leuchten sie nicht aus.

Die EKD hat die nun in München vorgestellte Studie finanziert – und vier weitere auch. Zusammen sollen die fünf Teilstudien einen Überblick schaffen über sexuellen Missbrauch unter dem Dach von Kirche und Diakonie. Ergebnisse sollen Ende 2023 vorliegen, rund 3,6 Millionen Euro zahlt die Kirche dafür.

Der Präsident des Kirchenamtes der EKD, Hans Ulrich Anke, betonte im vergangenen Jahr: „Von der Aufarbeitungsstudie erhoffen wir uns, ein umfangreiches Bild über Fehler der Vergangenheit und Gegenwart sowie besondere Risiken zu bekommen, um unsere Gemeinden und Einrichtungen zu einem noch sichereren Ort für Kinder und Jugendliche zu machen.“

Strukturen, die sexuelle Gewalt begünstigen

Ziel der Studien ist es, Strukturen in der evangelischen Kirche aufzudecken, die sexualisierte Gewalt begünstigen und ihre Aufarbeitung erschweren. Der Forschungsverbund wird von der Hochschule Hannover koordiniert, federführend für die Münchner Teilstudie ist das Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP), das auch schon Missbrauch in Kinderheimen und im katholischen Kloster Ettal aufgearbeitet hat.

„Einrichtung der Stationären Jugendhilfe, Behindertenhilfe“, nennt die Soziologin Helga Dill vom IPP als nur einige Beispiele für Tatorte. „Jugendgruppen, Musikgruppen, Chor“. Schwerpunkt sei sexuelle Gewalt gegen Kinder und Jugendlichen, aber auch gegen – meist weibliche – Erwachsene.

Insgesamt bekomme Missbrauch in der evangelischen Kirche in Deutschland nach Ansicht Zanders immer noch zu wenig Beachtung. „Die EKD hat das schon immer gut verstecken können, ihre sogenannten Skandale“, sagt er. Und das sei ihr auch gelungen, „weil sich die evangelische Kirche gern hinter der katholischen versteckt“. (dpa/oz)



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