Initiative bringt Organspendereform ein – erneute Debatte um Widerspruchslösung
Eine fraktionsübergreifende Abgeordnetengruppe will am heutigen Montag einen Antrag für die „Einführung einer Widerspruchsregelung“ in Bezug auf Organspenden vorstellen. Dieser zielt darauf ab, dass zunächst alle als Spender gelten – außer man widerspricht. Ein erster Anlauf für diese sogenannte Widerspruchslösung war im Jahr 2020, damals noch unter Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), in einer Abstimmung im Bundestag gescheitert. Derzeit sind Organentnahmen nur mit ausdrücklicher Zustimmung erlaubt.
Die Abgeordneten Sabine Dittmar (SPD), Gitta Connemann (CDU), Armin Grau (Grüne), Christoph Hoffmann (FDP), Peter Aumer (CSU) und Petra Sitte (Linke) wollen die neue Initiative vorstellen. Kürzlich hatte bereits Nordrhein-Westfalen mit mehreren weiteren Ländern einen Vorstoß in diese Richtung gemacht, über den derzeit im Bundesrat beraten wird. Hintergrund ist, dass es seit Jahren zu wenig Organspenden gibt. Rund 8.400 Menschen stehen auf Wartelisten.
Für einen grundlegenden Wechsel zu einer Widerspruchslösung hatte sich auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mehrfach ausgesprochen. Der SPD-Politiker machte deutlich, dass man ohne die Widerspruchslösung das Problem nicht lösen könne.
Patientenschutz: „Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu“
Schon vor Veröffentlichung des neuen Antrages wird Kritik laut. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte der „Augsburger Allgemeinen“: „Wer schweigt, stimmt nicht automatisch zu.“ Grundsätzlich sei jeder medizinische Eingriff ohne Zustimmung des Betroffenen eine Körperverletzung.
In den Vorzeigeländern Europas mit deutlich mehr Organspendern hätten erst organisatorische und strukturelle Maßnahmen zu steigenden Zahlen geführt. Brysch befürwortet finanzielle Anreize für Krankenhäuser, um ein „effizientes Transplantationsnetzwerk und Bildungsprogramme einzurichten und Schulungen von Koordinatoren im Umgang mit Angehörigen durchzuführen“.
Die FDP-Rechtspolitikerin Katrin Helling-Plahr sagte der „Deutschen Presse-Agentur“, die Widerspruchslösung sei ein massiver Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen. „Anstatt auf staatliche Bevormundung zu setzen, sollten wir die selbstbestimmte Entscheidung über eine Spende verbindlicher gestalten. Darüber, wie eine verbindliche oder verpflichtende Entscheidungslösung ausgestaltet werden kann, werden wir im Deutschen Bundestag diskutieren“, so Helling-Plahr.
Umstrittene Hirntoddiagnose
Ob auch die Hirntoddiagnose, die einer Organspende zwingend vorausgehen muss, im Zuge der Widerspruchslösung diskutiert wird, bleibt abzuwarten. Kritiker beanstanden diese Diagnostik schon seit Jahrzehnten. Man könne einen „Hirntod“ nicht mit dem Tod des Menschen gleichstellen, wenn alle anderen Körperfunktionen noch erhalten seien.
„Was bei ‚normalen‘ Operationen als Schmerzreaktion des Patienten gewertet wird, wird beim Organspender während der Organentnahme als nicht relevant angesehen“, kritisiert der Verein Kritische Aufklärung über Organtransplantation (KAO). Beim Einschnitt des Chirurgen in den Körper des Organspenders steige in vielen Fällen der Blutdruck rasant an. Deshalb würden Spender bei der Organentnahme immer muskelentspannende Mittel und Opiate bekommen, oft sogar eine Vollnarkose.
Die KAO-Vorsitzende Renate Greinert hat vor Jahrzehnten die Organe ihres Sohnes nach einem schweren Unfall zur Spende freigegeben. Nach diesem für sie traumatischen Erlebnis machte Greinert es sich zur Aufgabe, die Öffentlichkeit über den Hirntod aufzuklären.
Auch Rainer Beckmann, Richter und Dozent an der Juliusspital Palliativakademie in Würzburg sowie Lehrbeauftragter für Medizinrecht an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, kritisiert schon seit Jahren, dass die schon lange bekannten Einwände gegen die Hirntodkonzeption nicht gesellschaftlich diskutiert, sondern einfach ignoriert werden. Selbst in den Informationen von Krankenkassen werde regelmäßig von „postmortaler“ Organspende gesprochen, als sei dies unbestritten.
Widerspruchslösung 2020 gescheitert
Im Jahr 2020 fand die Widerspruchslösung bei einer Abstimmung im Bundestag keine Mehrheit. Es setzte sich aber ein Antrag durch, der das Zustimmungsprinzip bestätigte. Der Antrag zielte auf mehr Information und eine leichtere Dokumentation von Erklärungen zur grundsätzlichen Spendebereitschaft ab.
Ein zentrales Onlineregister als Kernelement des Gesetzes startete daraufhin mit Verspätung im März 2024. Grund für Verzögerungen war auch die Corona-Krise. Ins Register eingetragen wurden bisher rund 130.000 Erklärungen, wie das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte als Betreiber auf Anfrage mitteilte.
Auf www.organspende-register.de können Nutzer ab dem Alter von 16 Jahren dokumentieren, ob sie zu einer Organspende nach dem Tod bereit sind oder nicht. Eintragen kann man sich zunächst, indem man einen Ausweis mit Onlinefunktion verwendet. Die Angaben sind freiwillig, kostenlos und jederzeit änderbar.
Kliniken, die Organe entnehmen, sollen ab 1. Juli gespeicherte Erklärungen auf dem Register suchen und abrufen können. Erklärungen auf Papier, beispielsweise in Organspendeausweisen, sind daneben weiterhin möglich. (dpa/red/sua)
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