Impfkommission: „Wir können nicht einfach drauflosimpfen und schauen, was passiert“
Der Vorsitzende der Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut (RKI), Professor Thomas Mertens, berichtete, dass die Entwicklung eines COVID-19-Impfstoffs „länger als von manchen Optimisten erhofft“ benötigen werde. Auch wenn er die aktuelle Aufregung um den Impfstoff verstehen könne und auch den Drang, die Entwicklung so schnell wie möglich voranzubringen, warnt Mertens:
Aber stellen Sie sich die Auswirkungen vor, wenn man anfinge, Milliarden von Menschen zu immunisieren, ohne ausreichend sicher zu sein, dass der Impfstoff den gewünschten Nutzen bringt und keinen Schaden anrichtet. Wir können nicht einfach drauflosimpfen und schauen, was passiert.“
Damit ein Impfstoff zugelassen werden könne, müsse dieser „nach vielen Untersuchungen im Labor“ in klinischen Studien getestet werden. Dabei werde geprüft, ob er vor der Krankheit schütze und verträglich sei. Er dürfe auch nicht im Fall einer Infektion den Krankheitsverlauf verschlimmern.
„Diese Tests dauern eine Weile“, betonte Mertens. Man müsse zunächst schauen, ob die Probanden ausreichend Antikörper und spezifische T-Zellen gebildet hätten oder ob es Nebenwirkungen gebe – und dann, „ob sie im Falle einer Infektion gesund bleiben“. Der Experte warnt dringend davor, sich nur auf die ersten beiden Phasen der klinischen Studien für die Zulassung zu beschränken.
Impfstoff-Tests am Menschen in Deutschland
Wie das Paul-Ehrlich-Institut mitteilte, gab es für das Mainzer Biotechnologieunternehmen BioNTech bereits grünes Licht für eine Impfstoff-Testung an Menschen. Dabei wird eine Gruppe von 200 gesunden Probanden mit einer von mehreren gering modifizierten Impfstoffvarianten geimpft. Das Alter der Probanden liegt zwischen 18 und 55 Jahre.
Nach einer Wartezeit zur Beobachtung der Geimpften werden im zweiten Teil der klinischen Prüfung weitere Probanden der gleichen Altersspanne geimpft. Der zusätzliche Einschluss von Probanden mit erhöhtem Infektionsrisiko oder mit erhöhtem Risiko für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung ist im zweiten Teil der klinischen Prüfung vorgesehen, für die vorab weitere Studiendaten eingereicht werden müssen.
In dem genehmigten Teil der klinischen Prüfung werden verschiedene Varianten des RNA-Impfstoffkandidaten geprüft. Neben der Verträglichkeit wird die Fähigkeit zur Erzeugung einer Immunantwort auf SARS-CoV-2 nach Gabe einer bestimmten RNA-Menge (Dosis) untersucht (erste Dosisfindung). Dabei werden unterschiedliche RNA-Typen und unterschiedliche Längen und Modifikationen des Spikeproteins getestet sowie der Einfluss einer zweiten Impfung geprüft.
Phase III mit bis zu 10.000 Freiwilligen
In Phase III wird ein Impfstoff an einer repräsentativen Gruppe von bis zu 10.000 Freiwilligen getestet werden. Nach Angaben des Unternehmens Glaxo Smieth Kline, das auch Impfstoffe herstellt, könne diese Phase mehrere Jahre andauern. Wenn ein Impfstoff die Phase III mit positivem Ergebnis abschließe, könne die Zulassung eines Impfstoffs oder Arzneimittels beantragt werden.
Laut Mertens ist Phase III der klinischen Studie dazu da, die Wirksamkeit des Impfstoffs zu prüfen: „Also ob er tatsächlich schützt, wenn sich die Probanden mit dem Virus anstecken.“ Man könne ja nicht einfach die Studienteilnehmer absichtlich infizieren.
Der Mediziner erklärt: „Sie werden also geimpft und dann bewegen sie sich ganz normal im Alltag. Es gibt dann eine statistische Wahrscheinlichkeit, mit der sie sich im Laufe der Zeit infizieren.“
Dann vergleiche man mit einer Kontrollgruppe Nicht-Geimpfter und schaut, ob die Geimpften gesund geblieben seien. Auf eine ausreichende Impfstoffprüfung zu verzichten, „nur weil das jetzt so drängt“, dass sollte man nicht.
Risikopatienten und medizinisches Personal zuerst
Sollte der Impfstoff dann vorliegen, so ist über eine konkrete Vorgehensweise nachzudenken: „Es wäre also zum Beispiel denkbar, zunächst die Risikopatienten und das medizinische Personal zu impfen.“
Bezüglich einer Impfpflicht gegen SARS-CoV-2, die am 7. Mai im Bundestag debattiert wird, stellte Mertens klar: „Eine Impfpflicht ist nicht Sache der STIKO, sondern eine rein politische Entscheidung.“
Eine Impfpflicht käme nach seiner Auffassung nur infrage, wenn zu viele Menschen einer wichtigen Bevölkerungs- oder Risikogruppe sich gegen eine Empfehlung der Impfkommission verhalten würden. Aber solche Überlegungen seien „jetzt wirklich noch rein hypothetisch“.
Inzwischen hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zurückgerudert und sich laut Pressemeldungen gegen eine Impfpflicht ausgesprochen. „Mein Eindruck ist, dass sich die allermeisten Bürgerinnen und Bürger sofort freiwillig impfen lassen würden, sobald es eine Impfung gegen das Coronavirus gibt“, erklärte er und fügte hinzu: „Wo Freiwilligkeit zum Ziel führt, braucht es keine gesetzliche Pflicht.“
(mit dpa/afp)
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