Immer mehr Namen in den Datenbanken des Inlandsgeheimdienstes

In Deutschland wurden zum Jahresbeginn 2024 fast 485.000 Menschen im NADIS-System des Verfassungsschutzes erfasst – gut 60.000 mehr als noch vor zehn Jahren. Wie viele Linksextreme, Rechtsextreme oder Islamisten sich darunter befinden, bleibt das Geheimnis des Inlandsgeheimdienstes.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz warnt Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor wachsenden Risiken durch Spionage.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat seinen Hauptsitz in Köln. In seinen Datenbanken schlummerten Anfang des Jahres 2024 beinahe eine halbe Million personenbezogene Eintragungen.Foto: Oliver Berg/dpa
Von 18. November 2024

Anfang des Jahres 2024 hat das Bundesinnenministerium 484.627 personenbezogene Eintragungen im nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) des deutschen Verfassungsschutzverbundes gezählt – gut 8.800 mehr als ein Jahr zuvor.

Es handelt sich um den höchsten Wert der vergangenen zehn Jahre. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums (BMI) auf eine Nachfrage der AfD-Fraktion im Bundestag hervor.

Verglichen mit dem Datenbestand zum Jahresbeginn 2014 (424.591) kamen innerhalb von zehn Jahren gut 60.000 Eintragungen dazu. Den niedrigsten Wert der vergangenen Dekade hatte das BMI Anfang 2018 verzeichnet: Damals waren nur knapp 402.000 Eintragungen im NADIS gelistet. Seitdem schwankt das Niveau um die 460.000er-Marke – Tendenz steigend. Mit einem vorläufigen Höchststand 2024.

Die Eintragungen „aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen oder Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach den Bestimmungen des Luftsicherheitsgesetzes oder des Atomgesetzes“ seien in der Statistik unberücksichtigt geblieben, heißt es in dem Dokument der Bundesregierung (BT-Drucksache 20/13598, PDF).

Bundesregierung kann und will Zuordnung zu Phänomenbereich nicht liefern

Die Antwort auf eine Nebenfrage der AfD-Fraktion, welchem der Phänomenbereiche Linksextremismus, Rechtsextremismus, Reichsbürger/Selbstverwalter, Islamismus, auslandsbezogener Extremismus oder „verfassungsschutzrelevanter Delegitimierung des Staates“ die Vermerke im Einzelnen zuzuordnen seien, ließ die Bundesregierung unbeantwortet:

Die Bundesregierung ist nach sorgfältiger Abwägung zu der Auffassung gelangt, dass die erbetenen Informationen aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht eingestuft – übermittelt werden können.“

Gemäß Paragraf 12 (3) des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) muss das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) spätestens nach fünf Jahren prüfen, „ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind“. Dadurch ergäben sich „tägliche Schwankungen“ im Datenbestand, so das BMI. Würde man die Daten öfter herausgeben, ließen sich daraus bestimmte Entwicklungen ableiten und „Rückschlüsse auf Arbeitsschwerpunkte sowie die generelle Arbeitsweise des BfV“ ergeben.

„Die Funktionsfähigkeit des BfV wäre dadurch nachhaltig beeinträchtigt. Dies würde einen Nachteil für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland bedeuten“, heißt es in der Antwort auf die Kleine Anfrage der AfD (BT-Drucksache 20/13453, PDF).

Das sei speziell dann der Fall, „wenn die Abfragen regelmäßig oder in kurzen zeitlichen Abständen beziehungsweise zielgerichtet in zeitlicher Nähe zu aktuellen tagespolitischen Ereignissen erfolgen“ würden. Zudem hätte der Aufwand, der zur Beantwortung verbunden gewesen wäre, die Aufschlüsselung nach Phänomenbereichen verunmöglicht.

Statistiken über Website recherchierbar

Ursprünglich hatte das BMI überhaupt keine Auflistung der Jahreszahlen über die personenbezogenen Eintragungen herausgeben wollen (BT-Drucksache 20/13244, PDF). Erst nach erneuter Nachfrage der AfD-Fraktion am 18. Oktober gab sie die Daten am 1. November 2024 preis.

Teilfragen nach Statistiken über die „2023 und 2024 im Rahmen von Observationen insgesamt“ erfassten oder „gesehenen“ Personen wich das BMI noch immer unter Verweis auf den „unzumutbaren Aufwand“ aus, den eine Beantwortung verursachen würde.

Das BfV veröffentliche „im Rahmen der Verfassungsschutzberichte und anderer Publikationen“ aber regelmäßig Statistiken zu beobachteten Personen, betonte das BMI. Ein Rechercheangebot existiert auf der Website des BfV. Der jüngste Verfassungsschutzbericht war am 18. Juni herausgegeben worden. Er beschäftigt sich mit den Ereignissen des Jahres 2023 und ist auch online als PDF-Datei abrufbar.

Wie der „Tagesspiegel“ berichtete, gab sich Frage-Initiator Jan Wenzel Schmidt (AfD) damit nicht zufrieden:

Es ist an der Zeit, die Geheimhaltungspraxis und alle sicherheitsrelevanten Angelegenheiten auf den Prüfstein zu stellen und die nötigen Reformen durchzuführen.“

Im Vergleich zum Vorjahr waren nach Schätzungen im Verfassungsschutzbericht 2023 sowohl die Zahlen der Linksextremisten (37.000 Personen) als auch jene der Rechtsextremisten (40.600 Personen) angestiegen. Im Bereich Islamismus/islamistischer Terrorismus war das Potenzial mit angenommenen 27.200 Personen annähernd konstant geblieben. Beim „auslandsbezogenen Extremismus“ hatte es eine leichte Steigerung um 900 auf nun schätzungsweise 30.650 Personen gegeben, darunter etwa 15.000 Anhänger der „Arbeiterpartei Kurdistans“ (PKK).

Größte Gefahren: Russland, Rechtsextremismus, Islamismus

Zuletzt hatte der inzwischen freigestellte BfV-Präsident Thomas Haldenwang (CDU) Mitte Oktober 2024 dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestags Rede und Antwort gestanden.

Haldenwang erklärte damals Russland zur international größten Gefahr, den Rechtsextremismus zur größten Gefahr für Demokratie und den „Islamismus und den islamistischen Terrorismus“ zur größten „Herausforderung für die Sicherheit im Lande“. Im Juli hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) und mehrere mit ihm verbundene Organisationen verboten.

Haldenwang: Ambitionen auf Bundestagsmandat

Faeser hatte ihren früheren BfV-Chef Haldenwang erst vor wenigen Tagen von seinen Dienstpflichten entbunden, nachdem dessen Wunsch bekannt geworden war, in Wuppertal als Direktkandidat für den Bundestag zu kandidieren. An seine Stelle seien bis auf Weiteres die beiden BfV-Vizepräsidenten Sinan Selen und Silke Willems getreten, hieß es aus dem BMI.

Gerüchten, nach denen Haldenwang unter einem möglichen CDU-Kanzler Friedrich Merz das Amt seiner früheren Vorgesetzten Faeser im Bundesinnenministerium erobern wolle, erteilte der 64-jährige Jurist eine Absage: „Ich strebe kein höheres Amt mehr an. Sonst hätte ich auch Verfassungsschutzpräsident bleiben können“.

Ex-BfV-Chef Maaßen inzwischen „Beobachtungsobjekt“

Unter Haldenwangs Leitung hatte das BfV auch Prominente ins Visier genommen. Anfang des Jahres 2024 beispielsweise war herausgekommen, dass Haldenwang das öffentliche Leben seines früheren Chefs Dr. Hans-Georg Maaßen (WerteUnion) schon monatelang vom Inlandsgeheimdienst ausspionieren ließ.

Nach Angaben des „Focus“ wurde der Ex-Christdemokrat Maaßen im Bereich Rechtsextremismus verortet. Er gelte damit „auch als Beobachtungsobjekt“. Maaßen hatte zuvor selbst eine Anfrage auf Grundlage des Paragrafen 15 (1) BVerfSchG gestellt.

Auch Journalisten unter Beobachtung

Auch die freie Journalistin Aya Velázquez erfuhr aufgrund ihres eigenen Auskunftsantrags, dass über sie Einträge im Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ existieren. Velázquez hatte im Zuge der Coronapolitik begonnen, ihre Regierungskritik öffentlich zu machen.

Einem breiten Publikum war sie bekannt geworden, nachdem sie im Juli 2024 die ungeschwärzten „RKI-Leaks“ aus den Coronajahren veröffentlicht hatte.

Die Frage, ob man selbst heimlich vom Verfassungsschutz beobachtet wird, kann jedermann an den Verfassungsschutz stellen. Aya Velázquez hat dafür vor einigen Wochen unter dem Motto „Wir beobachten zurück“ einen unentgeltlichen Online-Antragsgenerator bereitgestellt.



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