Im Zweifel gegen den Angeklagten: 13,5 Jahre unschuldig im Knast?

Der „Badewannenmord“ von 2008 sorgt für Aufsehen. Saß ein Mann deswegen 4.912 Tagen unschuldig im Gefängnis in Bayern?
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Justizia: In Bochum wird neu verhandelt.Foto: artisteer/iStock
Epoch Times22. April 2023

Im Zweifel für den Angeklagten – dieser Rechtsgrundsatz könnte im Fall des als Badewannenmord bekannt gewordenen Tods einer 87-Jährigen in „im Zweifel gegen den Angeklagten“ umgedeutet worden sein.

13 Jahre und sechs Monate saß der Hausmeister Manfred G. womöglich unschuldig im Gefängnis. Sollte das am Mittwoch vor dem Landgericht München I beginnende Wiederaufnahmeverfahren dies bestätigen, wäre es einer der größten Justizskandale Bayerns.

Der 62 Jahre alte G. ist seit dem 12. August vergangenen Jahres wieder frei. An diesem Tag ereignete sich eine Rarität in der Justizgeschichte: Ein rechtskräftiges Mordurteil wurde nach neuen Gutachten vom Landgericht München I angezweifelt.

Da gegen den wegen Mordes verurteilten Mann kein dringender Tatverdacht mehr bestand, kam G. umgehend aus dem Gefängnis in Landsberg am Lech frei. Da aber das Gericht andererseits keinen Anlass für einen sofortigen Freispruch sah, muss der ganze Fall neu aufgerollt werden.

Was war damals geschehen?

Dessen Geschichte begann am 28. Oktober 2008 in Rottach-Egern am Tegernsee. Damals entdeckte eine Pflegerin eine 87 Jahre alte Frau tot in der Badewanne ihrer Wohnung. Sie war ertrunken, ihr linkes Bein hing über den Wannenrand.

Bei der Obduktion entdeckte ein Mediziner zwei Blutergüsse unter der Kopfhaut – für die Polizei ein Hinweis auf ein mögliches Tötungsdelikt.

Ins Visier der Ermittler geriet quasi zwangsläufig G., der sich seit Jahren um die Verstorbene und davor auch um deren inzwischen gestorbenen Mann gekümmert hatte. Da ein Gutachter ausschloss, dass die Hämatome Folge eines Sturzes sein könnten, fehlte nur noch das Motiv. Die Staatsanwaltschaft nahm an, dass G. der Frau Geld gestohlen und sie das bemerkt habe.

Den Diebstahl gab es nicht

Im Ende 2009 gestarteten ersten Prozess konnte G. beweisen, dass es den Diebstahl nicht gegeben hatte. Die Anklage tauschte das Motiv – nun soll ein Streit über eine von G. ausgeschlagene Einladung zum Kaffee Auslöser für die vermeintliche Tötung gewesen sein.

Einen Beweis für den Streit gab es nicht, das Gericht folgte dennoch der Staatsanwaltschaft und verurteilte G. zu lebenslanger Haft.

G. ging in Revision und gewann. Doch bei der neuen Verhandlung verurteilte 2012 eine andere Kammer G. erneut wegen Mordes. Dieses Mal blieb die Revision erfolglos. Hauptgrund war, das Gutachten weiterhin einen Sturz der alten Frau in die gefüllte Wanne ausgeschlossen hatten.

Neue Gutachten: Todeszeitpunkt erheblich falsch

G. und seine Verteidigerin gaben dennoch nicht auf – neue Gutachten brachten schließlich nach vielen Jahren eine Wende. Erstmals konnte 2021 ein Gutachter mit Berechnungen der Wassertemperatur ermitteln, wie lange die Frau tot in der Wanne gelegen hatte.

Der Todeszeitpunkt war ein erheblich anderer, als dies in den Urteilen angenommen wurde, was G. entlastet. Außerdem konnte ein zweiter Gutachter am Computer das Geschehen simulieren. Die Position, in der die Leiche gefunden wurde, ließ sich nun doch durch einen Sturz erklären.

G. bestritt die erhobenen Vorwürfe immer. An zunächst 20 angesetzten Verhandlungstagen bis zum 7. Juli will das Landgericht nun nochmals die damalige Anklage gegen ihn verhandeln.

Anspruch auf Entschädigung über 360.000 Euro?

Sollte am Ende des Prozesses ein Freispruch erfolgen, hat G. Anspruch auf Entschädigung. Pauschal werden bei zu Unrecht erlittener Haft pro Tag 75 Euro fällig, das wären für G. bei 4.912 Tagen im Gefängnis 368.400 Euro. Darüber hinaus könnte er Entschädigungen für Verdienstausfall oder psychische Folgen einklagen.

Nicht mehr zurück würde G. sein verpasstes Leben bekommen: Seine Mutter und zwei Brüder starben während der Haftzeit, zwei Enkelkinder kamen zur Welt und auch seine jüngste Tochter. Diese bekam den Vater all die Jahre nur im Gefängnis zu sehen. (AFP)



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