Hessisches Ministerium fordert Livestream-Unterricht – Lehrer befürchten Missbrauch
„So viel Unterricht wie möglich – so viel Hygiene und Abstand wie möglich.“ Unter diesem Motto startet Hessen am 17. August in das neue Schuljahr. Für 760.500 Schüler an 1.795 öffentlichen Schulen sowie 55.600 Erstklässler heißt es nun: lesen, schreiben und rechnen lernen.
Dabei starte das Schuljahr 2020/21 „alles andere als normal“, sondern unter erschwerten Bedingungen mit vielen neuen Regeln. „Aber wir sind motiviert wie nie“, erklärte Hessens Kultusminister Professor Alexander Lorz. Man gehe davon aus, dass das Schuljahr viele Hürden und Unwägbarkeiten mit sich bringe. Allerdings habe man in den vergangenen Wochen viel dafür getan, die nötigen Voraussetzungen für einen guten Start zu schaffen. Dazu gehöre beispielsweise auch der Ausbau der digitalen Infrastruktur.
Für Schüler, die wegen einer Grunderkrankung oder Immunschwäche im Falle einer Infektion dem Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs ausgesetzt und vom Präsenzunterricht entbunden sind, soll eine Möglichkeit geschaffen werden, sich direkt live ins Klassenzimmer einzuloggen. Dafür stellt das Bundesland gemeinsam mit dem Bund insgesamt 50 Millionen Euro zur Verfügung. Bei Bedarf könne ein mobiles Endgerät ausgeliehen werden.
Diskussion um Livestream-Unterricht
Auf der Facebook-Seite „News4teachers“ wird das Thema nach einem dort veröffentlichten Beitrag heiß diskutiert. Nach drei Stunden sind dort über 180 Kommentare verzeichnet. Jemand wendet ein, dass Eltern den Livestream-Unterricht mitverfolgen könnten und dadurch Einsicht in die mündlichen Leistungen anderer Kinder bekommen würden. „Das geht gar nicht“, meint Christina H.
Ein anderer gibt zu bedenken, dass sich unter derartigen Bedingungen die Schüler gar nicht frei zum Unterrichtsgeschehen oder zu persönlichen Befindlichkeiten äußern könnten. Ein Dritter schreibt, dass Mitschnitte innerhalb des Unterrichts auch mit einem Smartphone möglich wären.
„Bei uns soll es so laufen, dass der Kollege aus einem anderen Raum im Schulgebäude die Videokonferenz macht und die Schüler unter Aufsicht die Videokonferenz sehen“, erläutert ein weiterer Facebook-User.
Dazu schreibt ein Netizen, dass er das bereits „im Corona-Schuljahr“ regelmäßig so gemacht hätte. Er erklärt: „Die Hälfte der Klasse war daheim vor den Bildschirmen, die andere Hälfte im Klassenraum. Die daheim durften/mussten sich genauso melden und beteiligen, wie die vor Ort. Das lief ziemlich problemlos.“
Zweierlei Maß
Eine „News4Teachers“-Leserin schreibt: „Ich verstehe das nicht. Wir dürfen nicht einmal Bilder von Schülern an die Klassenzimmertüre ohne Einverständnis aufhängen, müssen überall Datenschutzrichtlinien einhalten und jetzt werden die Persönlichkeitsrechte plötzlich mit einem Wisch vom Tisch gefegt? Rückt man sich alles so zurecht wie man es braucht?“
Kritik für den Livestream-Unterricht kommt auch vom Verband Bildung und Erzieher. „Hier werden wieder Erwartungen bei den Eltern geweckt, die aus verschiedenen Gründen so nicht einzuhalten sind“, bemängelte der Landesvorsitzende Stefan Wesselmann. Denn einerseits hätten nur wenige Schulen einen notwendigen WLAN-Anschluss und technische Voraussetzungen, zum anderen seien rechtliche Fragen nicht geklärt.
Die EU-Datenschutzgrundverordnung mit dem Recht am eigenen Bild gelte laut Wesselmann auch für Lehrkräfte. Insoweit hätten viele Lehrer Vorbehalte gegen ein Streaming ihres Unterrichts. Mitschnitte oder Screenshots seien leicht möglich und damit seien „missbräuchlicher Verwendung Tür und Tor geöffnet“, erklärte Wesselmann.
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