Helfer im Flutgebiet Ahrtal: „Das Erlebte sprengt alle Vorstellungskraft“

Es gibt Katastrophen, die auch erfahrene Einsatzkräfte fassungslos machen. Nicht nur die Bewohner, auch die Helfer vor Ort müssen viele Eindrücke verarbeiten. Nach dem Engagement bleiben die Bilder – und in seltenen Fällen möglicherweise posttraumatische Folgen.
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Mitglieder des Technischen Hilfswerks (THW) gehen bei Räumarbeiten nach der Unwetter-Katastrophe in Nordrhein-Westfalen durch einen zerstörten Ort.Foto: Thomas Banneyer/dpa/dpa
Epoch Times26. Juli 2021

Innocent Töpper ist der Leiter des Rotkreuz-Dienstes vom Landesverband Sachsen und für die Ehrenamtskoordination und Öffentlichkeitsarbeit zuständig.

Er war bei einem Einsatz im rheinland-pfälzischen Ahrtal für die Betreuung der Notfallseelsorger und Kriseninterventionskräfte mitverantwortlich, die – obwohl geschult und vorbereitet auf ihren Einsatz – schockiert waren von dem, was sie im Ahrtal erlebten.

Bewohner und Helfer berichten von dramatischen Szenen; dem Auffinden von toten Körpern, von freigespülten Särgen oder der Trauer derjenigen, deren Häuser aufgrund des Wasserschadens abgerissen werden müssen.

Die Betroffenen müssen ihre Eindrücke und Erlebnisse bewältigen. Es gibt psychologische Ersthilfe für Helfer im Einsatz, die dazu da ist, mit schrecklichen Erlebnissen umzugehen.

„Eher Tsunami als Hochwasser“

„Ich bin schon seit Jahren im Einsatz“, sagt Töpper gegenüber dem „RND“. Aber er hätte sich nicht vorstellen können, „so etwas in Deutschland zu erleben, das sprengt alle Vorstellungskraft.“

„Was im Ahrtal geschehen ist, war eher ein Tsunami als ein Hochwasser“, sagt Töpper mit Blick auf die zerstörerische Wucht des Wassers. Es seien nicht nur die Bilder, die den Bewohnern und Helfern in den Köpfen blieben. „Es sind auch die Geräusche vom rauschenden Wasser und der Geruch nach feuchtem Mauerwerk, nach Schlamm und Verwesung“, berichtete er.

Die DRK-Kriseninterventionskraft Ramona Kretschmann war mehrere Tage in Schuld und Insul, zwei stark von den Wassermassen betroffene Gemeinden. „Was wir gesehen und erlebt haben, war sehr heftig“, sagte die 58-Jährige.

Ein offenes Ohr für Betroffene, Einsatzkräfte und Helfer

Am Anfang gehe es in erster Linie darum, einfach für die Betroffenen da zu sein und ein offenes Ohr für sie zu haben. „Einige Bewohner sind sehr aktiv und räumen mit einem unglaublichen Elan auf. Andere sind in einer Art Schockstarre“, berichtete Kretschmann.

Die DRK-Helferin kümmert sich auch um die psychologische Betreuung von Einsatzkräften, die bei ihrer Arbeit Verletzte gerettet oder Tote geborgen haben. Es seien oft junge Helfer, die unter dem Erlebten besonders litten. Ein Warnsignal sei der Galgenhumor, ein Mechanismus um leidvolle Erlebnisse zu verdrängen.

Viele Erlebnisse könnten auch erst nach einem Einsatz verarbeitet werden. Im Einsatz selbst sei das Funktionieren und Erbringen der Hilfeleistung im Vordergrund, so Kretschmann.

„Dass ein Helfer vor Ort zusammenbricht, kommt eher selten vor“, sagte der Notfallsanitäter und Diplom-Psychologe Alexander Strombach aus Wettenberg (Landkreis Gießen). Er kümmert sich um Helfer, die aus dem Katastrophengebiet zurückkehren.

Posttraumatische Belastungsstörungen verhindern

„In der psychologischen Nachsorge (PSNV-E) geht es darum über das Erlebte zu sprechen und Lösungen zu finden, wie der Einzelne mit Bildern, Geräuschen und Gerüchen, die er aus dem Einsatzgebiet mitgebracht hat, umzugehen hat“, erklärte Strombach.

In 90 Prozent der Fälle würden sich die Symptome einer psychologischen Überbeanspruchung nach vier bis sechs Wochen auf ein „nicht belastendes Maß“ zurückbilden, so der Psychologe.

Es sei wichtig die Menschen zu identifizieren, bei denen die Symptome oder Eindrücke nicht zurückgehen, sondern sich in eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickeln.

PTBS wird als eine verzögerte psychische Reaktion auf ein extrem belastendes Ereignis definiert. Wenn die Erlebnisse scheinbar willkürlich wieder und wieder in Erinnerung treten, wenn Traumas innerlich wieder erlebt werden und Symptome wie Nervosität, Angst, Reizbarkeit sich zeigen.

Dann kann eine Psychotherapie nötig werden. „Je früher in diesen Fällen die Intervention startet, desto wirksamer ist sie“, so der Experte. (nw)



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