Hebestreit: Deutschland würde ICC-Haftbefehl gegen Netanjahu befolgen – Merz: „Skandal“
Noch gibt es keine Entscheidung der zuständigen Vorverhandlungskammer am Internationalen Strafgerichtshof (ICC) über die Anträge auf Haftbefehl gegen zwei führende politische Verantwortungsträger in Israel. Doch bereits jetzt hat die Debatte über deren mögliche Vollstreckung gegen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Joaw Galant Deutschland erfasst.
Merz nennt Hebestreit-Äußerung „Skandal“
Auf die Frage, ob Deutschland einem Haftbefehl des ICC gegen Netanjahu Folge leisten würde, antwortete Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch, den 22. Mai:
„Selbstverständlich würden wir uns an das Recht halten.“
Man sei „grundsätzlich“ Unterstützer des Internationalen Strafgerichtshofs. Das Auswärtige Amt widersprach dieser Äußerung nicht. Allerdings bedauerte es die gleichzeitige Beantragung der Haftbefehle gegen die Hamas-Führer einerseits und die beiden israelischen Amtsträger andererseits. Dadurch sei der „unzutreffende Eindruck einer Gleichsetzung“ entstanden.
CDU-Chef Friedrich Merz nannte Hebestreits Äußerung einen „Skandal“. Der ICC sei „eingerichtet worden, um Despoten und autoritäre Staatsführer zur Rechenschaft zu ziehen, nicht um demokratisch gewählte Regierungsmitglieder festzunehmen“.
Am Montag hatte der öffentliche Ankläger am ICC, Karim Khan, gegen beide Politiker einen Haftbefehl beantragt. Er begründete diesen mit Kriegsverbrechen, die im Zuge des Gazakriegs geschehen sein sollen. Gleichzeitig beantragte er wegen des Massakers vom 7. Oktober 2023 Haftbefehle gegen drei führende Funktionäre der terroristischen Hamas: Yayha Sinwar, Mohammad Deif und Ismail Hanija.
Richterkammer kann Haftbefehl gegen Netanjahu auch ablehnen
Die Vorverhandlungskammer unter Leitung der rumänischen Richterin Iulia Motoc hat nun eine Entscheidung über jeden einzelnen Haftbefehl zu fällen. Die Hamas-Führer halten sich regelmäßig in Verstecken in Katar auf. Das Emirat ist kein Mitgliedstaat des Römischen Statuts von 1998, das die Grundlage für die Tätigkeit des ICC bildet.
Auch Israel ist kein Mitgliedstaat. Sowohl Regierung als auch Opposition haben den Antrag auf Haftbefehl gegen Premier Netanjahu als skandalös bezeichnet. Der Minister für das Kriegskabinett, Benny Gantz, nannte diesen selbst ein „Verbrechen von historischer Tragweite“. Auch große Staaten wie die USA, die Russische Föderation und China erkennen den ICC nicht an.
Allerdings haben weltweit 123 Staaten das Statut unterzeichnet. Die Unterschrift und die Umsetzung im nationalen Recht verpflichten diese, offene Haftbefehle zu vollstrecken, wenn dessen Adressaten deren Boden betreten. Aus diesem Grund hatten EU-Länder dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Verhaftung für den Fall einer Einreise angedroht, obwohl Russland nicht zum ICC gehört.
USA stehen ICC kritisch gegenüber
Der ICC soll in einer Reihe von Fällen schwerwiegender Tatvorwürfe tätig werden, wenn eine Strafverfolgung auf nationaler Ebene nicht als möglich erscheint. Dies sei etwa der Fall, wenn im entsprechenden Land Krieg herrscht oder kein Wille vorhanden ist, die Vorwürfe zu ahnden.
Die Idee dahinter sieht man als Fortsetzung des Gedankens hinter den Nürnberger Prozessen. Als Präzedenzfälle betrachtete man auch die Anklagen durch den Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien der 1990er-Jahre und den Genozid in Ruanda 1994. Vor allem die europäischen Länder sehen den ICC als ein Kernstück dessen, was sie als „regelbasierte internationale Ordnung“ bezeichnen.
Neben Ländern wie den USA, die internationalen Organisationen ein größeres Misstrauen entgegenbringen, haben etwa auch Länder der Südhalbkugel zunehmend Zweifel am ICC. Es werden Vorwürfe wie Rassismus und Eurozentrismus laut, die sich etwa in Willkür bei der Auswahl von Fällen äußern. In der Afrikanischen Union wird über den Austritt aus dem Statut nachgedacht.
EU hatte sich nach dem 7. Oktober 2023 mit Israel solidarisiert
Sollte die Vorverhandlungskammer die beantragten Haftbefehle bestätigen, stünde die EU im Allgemeinen und Deutschland im Besonderen vor einem Dilemma. Die EU hatte nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 selbst Israel seine Solidarität ausgesprochen und dem Land das Recht auf Selbstverteidigung zugebilligt. Dass explizit die Wortfolge „im Rahmen des Völkerrechts“ beigefügt wurde, könnten einige Länder nun als Hintertür betrachten, um dem Haftbefehl des ICC Legitimität zuzumessen.
In Deutschland kommt dazu, dass das Existenzrecht Israels als Staatsräson definiert wird. Dies ist über die Grenzen der politischen Lager hinweg unbestritten. Das Massaker der Hamas war Ausdruck des in deren Charta explizit verankerten Ziels der Vernichtung der Staatlichkeit des jüdischen Staates.
Für die israelischen Streitkräfte (IDF) gelten strenge Gesetze und Einsatznormen zur Schonung von Zivilisten. Die IDF haben mehrfach dokumentiert, wie diese im Einsatzfall angewendet werden. Deren Einhaltung wird von Militärgerichten und unter bestimmten Umständen auch zivilen Gerichten überwacht.
Botschafter Prosor mahnt Staatsräson angesichts des Vorgehens gegen Netanjahu an
Demgegenüber wird der Hamas von mehreren Seiten vorgeworfen, zivile Opfer mutwillig in Kauf zu nehmen und nichts zu unternehmen, um deren Zahl zu minimieren. Neben Schulen und Krankenhäusern, die man zu Waffenlagern umfunktioniert habe, komme dazu, dass die Hamas Zivilisten weder Schutzräume anbiete noch sie ungehindert flüchten lasse. Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die den Verdacht erhärten, dass die Organisation mit menschlichen Schutzschilden arbeite.
Israels Botschafter in Berlin, Ron Prosor, hatte am Dienstag auf X die deutsche Bundesregierung dazu aufgefordert, der Vollstreckung eines möglichen Haftbefehls gegen Netanjahu oder Gallant nicht Folge zu leisten.
Eine Unverschämtheit!
Jetzt steht die Staatsraison auf dem Prüfstand – ohne Wenn und Aber.
Im Gegensatz dazu stehen die wachsweichen Statements, die wir von einigen Institutionen und politischen Akteuren hören. Die Aussage, Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung, verliert…— Ambassador Ron Prosor (@Ron_Prosor) May 21, 2024
Das Vorgehen des ICC-Chefanklägers stelle Israel mit den Terroristen auf eine Stufe. Er dämonisiere und delegitimiere den Staat und das jüdische Volk. Deutschlands Staatsräson müsse sich jetzt ohne Wenn und Aber bewähren:
„Deutschland hat eine Verantwortung, seinen Kompass zurechtzurücken. Diese schändliche politische Kampagne könnte zum Nagel im Sarg des Westens und seiner Institutionen werden. Lasst es nicht so weit kommen!”
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