Hat die Bundesnetzagentur beim Atom-Aus gegen ihre Neutralitätspflicht verstoßen?
Hat die Bundesnetzagentur unter ihrem Präsidenten Klaus Müller aktiv Lobbypolitik im Sinne der Grünen betrieben – und zwar gegen eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke? Diese Frage steht spätestens seit der jüngsten Sitzung des AKW-Untersuchungsausschusses im Deutschen Bundestag im Raum.
Wie das Politmagazin „CICERO“ (Bezahlschranke) als erstes Medium berichtete, bat Johannes K., ein Mitarbeiter des Referats „Versorgungssicherheit Strom“ bei der Bonner Bundesnetzagentur (BNetzA) am 6. Mai 2022 per E-Mail darum, nach München reisen zu dürfen. Der Fachbeamte wollte an einer Sitzung des Wirtschaftsausschusses im Bayerischen Landtag teilnehmen. Es ging um die Frage, ob eine Laufzeitverlängerung der letzten verbliebenen deutschen Kernkraftwerke möglich und sinnvoll wäre.
Knapp drei Stunden später gab sein Vorgesetzter Achim Zerres, der Leiter der BNetzA-Abteilung 6 („Energieregulierung“), grünes Licht für die Reise, nachdem er zuvor das Okay des Behördenpräsidenten Klaus Müller eingeholt hatte.
Müller bat um „ganz eindeutige und klare Position“ gegen Laufzeitverlängerung
Zerres schrieb: „Ich habe Rückmeldung von Herrn Müller. Er rät zur Teilnahme. Aber mit ganz eindeutiger und klarer Position. Die Dienstreise ist damit genehmigt.“
Wie diese „Position“ aussehen sollte, die Johannes K. in München zu vertreten haben würde, erschließt sich aus dessen eigener Anfrage. Der kollegiale Tonfall zeigt, dass diesbezüglich Einigkeit zumindest zwischen dem Untergebenen K., seinem Referatsleiter Zerres und Behördenchef Müller bestanden haben musste. Denn schon K. hatte von einer Gelegenheit geschrieben, „zumindest einige KKW-Fans in der CSU umzustimmen“:
Insoweit wäre dies eine Möglichkeit, das [sic] den Zombie Laufzeitverlängerung endlich wirklich zu begraben oder zumindest das Grab noch etwas tiefer zu schaufeln.“
Die Äußerungen und Forderungen „von Söder, Aiwanger und Co.“ würden belegen, dass „das Thema (leider) immer noch nicht tot“ sei, gab K. in seiner E-Mail zu bedenken. Er nannte noch ein weiteres Argument für seine Dienstreise: Im Ausschuss würden auch „Vertreter:innen von Parteien wie den Grünen“ anwesend sein. Das bedeute „eine größere ‚Fraktion‘ für unsere Position“.
Habeck persönlich hatte Müller als BNetzA-Chef durchgesetzt
Alle drei involvierte Beamte schienen also daran interessiert zu sein, ihren Einfluss auf die bayerischen Landtagsausschussmitglieder geltend zu machen – am besten unter dem Applaus grüner Sitzungsgäste. Was zumindest im Fall des BNetzA-Präsidenten kein Wunder sein dürfte: Klaus Müller nannte zwischen 1990 und Mitte 2006 ein grünes Parteibuch sein Eigen. Und das nicht nur hobbymäßig: Zwischen März 2000 und April 2005 hatte der studierte Diplom-Volkswirt das Amt des Umweltministers von Schleswig-Holstein bekleidet.
Wie „CICERO“-Redakteur Daniel Gräber in einem „Welt“-Interview über seine Recherchen erläuterte, hatte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck die Personalie Müller als Chef der Netzagentur bereits in den Ampel-Koalitionsgesprächen durchgesetzt (Video auf „Welt.de“).
Dass Deutschland zum Jahresende aus der Kernkraft aussteigen sollte, war zum Zeitpunkt des BNetzA-Mailwechsels zwar längst beschlossene Sache. Doch mit Beginn des Ukrainekrieges am 24. Februar 2022 war angesichts der drohenden Energieknappheit erneut eine öffentliche Debatte darüber entflammt, ob die BRD wirklich schon ab dem 1. Januar 2023 auf Atomstrom verzichten sollte.
Nach Informationen der „Welt“ (Bezahlschranke) beschäftigte das Thema vorwiegend die Menschen im Kernkraftland Bayern. Und genau dort sollte sich der Fachbeamte Johannes K. mit dem Segen seiner Vorgesetzten also darum bemühen, den Tagungsteilnehmern die Idee einer längeren Laufzeit auszureden.
Parteipolitische Anschauungen aber dürfen nach Einschätzung des „Welt“-Wirtschaftsredakteurs Daniel Wetzel für Mitarbeiter der Bundesnetzagentur generell nicht über technischen Erwägungen rangieren. Ihre Aufgabe bestehe im Kern darin, die Netzwerke Deutschlands unter Wettbewerbsbedingungen möglichst stabil und günstig am Laufen zu halten. Aus politischen Debatten hätte sich die BNetzA nach Auffassung Wetzels „heraushalten können und müssen“. Immerhin genieße die Agentur „insbesondere nach europäischer Rechtsprechung einen hohen Grad an Autonomie“.
Netzagentur: Ausschlaggebend war der „gesetzlich geregelte Ausstieg“
Ein Sprecher der Bundesnetzagentur antwortete auf eine Anfrage der „Welt“, dass im Mai 2022 lediglich der „gesetzlich geregelte Ausstieg aus der Kernenergie“ für seine Behörde „maßgeblich“ gewesen sei. Das ergebe sich „auch aus der wenige Tage vorher veröffentlichten Analyse zur sicheren Stromversorgung, die von einem Ausstieg zum Jahresende 2022“ ausgegangen sei.
Eine BNetzA-Analyse aus derselben Zeit habe ergeben, so die „Welt“, dass die damals auf dem Tisch liegenden Pläne zum KKW-Aus sich nicht negativ auf die Versorgungssicherheit auswirken würden.
Aus für Kernkraft von Merkel beschlossen
Der Kernkraft-Ausstieg an sich war nach sechs Jahrzehnten ohne größere Zwischenfälle im März 2011 von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beschlossen worden. Merkel hatte unter dem Eindruck der Tsunami-Katastrophe im japanischen Fukushima entschieden, dass das Industrieland Deutschland elf Jahre später ganz ohne Atomstrom auskommen sollte – eine „180-Grad-Wende der Kanzlerin“, wie der WDR seinerzeit meldete. Stand Mai 2022 würde es also nur noch wenige Monate dauern, bis das grüne Urverlangen „Atomkraft, nein danke!“ endlich in die Tat umgesetzt sein würde.
Die letzten Atommeiler Deutschlands wurden letztlich aber doch nicht zum Jahresende 2022 abgeschaltet, sondern erst am 15. April 2023. Die dreieinhalb Monate Gnadenfrist hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Oktober 2022 durchgesetzt.
Rund um den Tag der Abschaltung schienen speziell Vertreter der Union und der FDP übrigens längst nicht mehr überzeugt vom Beschluss ihrer gemeinsamen Koalition vom März 2011: FDP-Chef Christian Lindner, sein Generalsekretär Bijan Djir-Sarai oder auch CSU-Chef Markus Söder gehörten zu jenen, die sich vergeblich für ein Überleben der Kernkraft in Deutschland einsetzten. Eine Mehrheit der Bevölkerung vertrat die gleiche Meinung.
Habeck hatte politische „Vorgaben“ für eine BNetzA-Analyse gemacht
Eine ebenfalls während einer U-Ausschusssitzung im Bundestag am 5. Dezember diskutierte E-Mail vom 14. Juli 2022 erhärtet den Verdacht, dass die BNetzA generell nicht unabhängig, sondern auf Weisung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) gehandelt haben könnte.
Der Verfasser, abermals Abteilungsleiter Achim Zerres, bat eine Reihe von Mitarbeitern darum, nicht zu versuchen, etwas „an den Vorgaben von Habeck“ zu verändern. Nach Informationen des „CICERO“ ging es dabei um „Stresstest“-Berichte, die Habeck von vier Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) anfordern wollte, um die Gefahr von Stromausfällen infolge des KKW-Aus einschätzen zu können. Die Studie diene „politischen Zwecken“, wie Zerres betonte.
Wie aus der Mail hervorgeht, sollte das Stresstest-Fazit der Übertragungsnetzbetreiber den Abschaltplänen Habecks im Kern nicht widersprechen, ohne dass diese davon erfahren sollten: „Als Ergebnis wäre allenfalls ein Streckbetrieb für Isar akzeptabel. Und auch das nur, wenn Bayern und andere politisch dafür etwas bezahlen“, wies Zerres ausdrücklich „intern“ an. Gemeint war Isar 2, ein Kernkraftwerk in der Nähe von Landshut, das im Sommer 2022 neben dem KKW Emsland und dem KKW Neckarwestheim zu den letzten drei am Netz verbliebenen Kernkraftwerken gehörte.
Vor dem U-Ausschuss habe Verfasser Zerres jedoch erklärt, die Mail habe lediglich seine „höchstpersönliche Einschätzung“ widergespiegelt. Habecks Vorgaben hätten in Wahrheit darauf abgezielt, die Stresstests verschärft durchführen zu lassen.
Dem steht laut „CICERO“ allerdings eine andere Mail einer Zerres-Mitarbeiterin entgegen. Diese habe gepostet, dass es bei einem vormittäglichen Termin „sehr offensichtlich“ geworden sei, „dass das BMWK eigentlich nur Annahmen möchte, die zu Ergebnissen führen, die ‚alles grün‘ sagen“. Nach Einschätzung des „CICERO“ könnte damit auch Patrick Graichen (Grüne), seinerzeit Staatssekretär im Habecks Ministerium, dahinter gesteckt haben.
Laut EnBW wäre Verlängerung technisch möglich gewesen
Einen technischen Grund für ein vorzeitiges Aus gab es im Sommer 2022 aus Sicht des Energiekonzerns EnBW jedenfalls nicht.
Dr. Georgios Stamatelopoulos, der damalige Vorstandsvorsitzende der EnBW Kernkraft GmbH, hatte Graichen am 19. August angeboten, das Kraftwerk Neckarwestheim (GKN II) sogar über das Winterhalbjahr 2023/24 am Netz zu lassen. Man brauche dafür nur neue Brennelemente, die die Bundesregierung ja „sehr zeitnah“ in Auftrag geben könne.
Welche Reaktion es auf das EnBW-Angebot gegeben hatte, ist nach Recherchen von „CICERO“-Redakteur Gräber „noch nicht klar“. „Ich vermute, es gab keine“, sagte er am 11. Dezember im „Welt“-Interview.
Der Bundestag hatte am 2. Dezember offengelegt, dass unter den Atomkraftbetreibern offenbar unterschiedliche Haltungen über einen Weiterbetrieb ihrer Anlagen bestand. So sei neben EnBW auch PreussenElektra bereit gewesen, sein KKW Isar 2 zumindest per Streckbetrieb weiter laufen zu lassen. RWE sei wegen seiner fortgeschrittenen Planungen zur Abschaltung seines KKW Emsland aber nicht sonderlich an einer Laufzeitverlängerung interessiert gewesen. „Die Hürden für einen Weiterbetrieb seien hoch, aber nicht unüberwindbar gewesen“, so RWE-Vorstand Markus Krebber.
Wie die „Welt“ berichtet, kam Dr. Andreas Lenz, der Obmann der Unionsfraktion im Kernkraft-Untersuchungsausschuss, angesichts der nun vorliegenden Dokumente zu einem ähnlichen Urteil über die BNetzA wie die Redakteure des „CICERO“ und der „Welt“: „Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Neutralitätspflicht nicht gewahrt wurde“.
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