Hat AstraZeneca zu spät über Nebenwirkungen seiner Corona-Impfung informiert?
Im Zivilverfahren um einen mutmaßlichen Corona-Impfschaden vor dem Oberlandesgericht (OLG) im bayerischen Bamberg soll ein Sachverständigengutachten eingeholt werden. Es gehe um die Frage, ob der Impfstoffhersteller AstraZeneca wie von der Klägerin behauptet wegen „unzureichender Arzneimittelinformation“ haften solle, teilte das OLG am Montag, 14. August, mit. Die ursprünglich für diesen Tag anberaumte Urteilsverkündung wurde verschoben.
Fünf „kritische Tage“ auf der Intensivstation
„Das, was ich in den letzten zwei oder zweieinhalb Jahren erlebt habe, wünsche ich keinem“, sagte Ramona Klüglein dem ARD-„Morgenmagazin“ in einem am Tag der Verhandlung veröffentlichten Beitrag. Sie hatte sich im März 2021 mit dem damals einzig verfügbaren COVID-19-Impfstoff des britisch-schwedischen Unternehmens AstraZeneca impfen lassen. Im Anschluss hatte sie eine sogenannte Darmvenenthrombose erlitten und war ins Koma gefallen. Letztlich mussten ihr drei Meter Darm entfernt werden. Sie lag zehn Tage auf der Intensivstation, „davon waren fünf Tage sehr, sehr kritisch“, berichtete sie weiter. Die 33-Jährige wurde dem TV-Beitrag zufolge nicht über die Nebenwirkungen aufgeklärt. Ihr Impfschaden wurde staatlich anerkannt.
Erst einige Tage nach ihrer Impfung seien Berichte über Thrombosen in Zusammenhang mit der Verabreichung des Impfstoffs bekannt geworden. Hier sieht ihr Anwalt, der Medizinrechtler Volker Loeschner, den Ansatz für die Klage. So habe AstraZeneca zum Zeitpunkt der Impfung falsch über Nebenwirkungen informiert. „Aus unserer Sicht ist es ein Risiko, das vielleicht nicht in allen Fällen auftaucht, aber so erheblich ist, dass der Patient auch von Anfang hätte darüber informiert werden müssen“, sagte der Jurist gegenüber der ARD.
AstraZeneca lehnt einen Vergleich ab
Zudem hätte der Impfstoff von vorneherein auf dieses Risiko getestet werden müssen. Loeschner fordert für seine Mandantin Schmerzensgeld in Höhe von 600.000 Euro sowie ein Gutachten. Einen Vergleich hatten die Anwälte des Impfstoffherstellers bislang ausgeschlossen. Das Unternehmen selbst teilt mit: „Arzneimittelbehörden auf der ganzen Welt haben bestätigt, dass die Vorteile einer Impfung mit unserem COVID-19-Impfstoff Vaxzevria die Risiken der extrem seltenen potenziellen Nebenwirkungen überwiegen.“
In erster Instanz war die Frau vor dem Landgericht Hof gescheitert. Sollte sie vor dem Oberlandesgericht ebenfalls unterliegen, will Ramona Klüglein bis vor den Bundesgerichtshof ziehen.
Mit der Forderung nach einem Gutachten habe das Gericht nun einen Hinweisbeschluss erlassen, der klarstelle, worum es im weiteren Verlauf des Verfahrens gehen werde – und worum nicht, schreibt „Legal Tribune Online“ (LTO). So lasse sich nach Auffassung der Richter die Klage nicht darauf stützen, dass der Impfstoff „fehlerhaft“ und daher besonders risikoreich ist.
Stattdessen komme nun ein anderer Grund in Betracht, den Ramona Klügleins Anwalt im ARD-„Morgenmagazin“ angeführt hatte: Nämlich dass AstraZeneca vor der Impfung nur unzureichend über die damit verbundenen Risiken aufgeklärt habe, dies aber hätte tun müssen.
„Der Senat geht derzeit davon aus, dass die Klägerin nicht mit dem Impfstoff der Beklagten geimpft worden wäre, wenn das Risiko einer Darmvenenthrombose in der Fachinformation der Beklagten dargestellt gewesen wäre“, hieß es in einer Mitteilung des Gerichts.
STIKO änderte Empfehlung später
Damit bestehe offenbar Klarheit über zwei wesentliche Aspekte: Die schweren Gesundheitsschäden, die die 33-Jährige erlitt, lassen sich auf die Impfung mit dem Corona-Vakzin von AstraZeneca zurückführen. Auch hätte sie sich in dem Wissen über eine mögliche Darmvenenthrombose nicht impfen lassen. Damit steht nach Ansicht von LTO die Tür für eine erfolgreiche Klage durchaus offen.
Nach Ansicht der Richter ist nun noch zu klären, „ob eine Darstellung in der Fachinformation nach dem damaligen wissenschaftlichen Stand geboten war“. Dies soll Aufgabe eines Sachverständigen sein.
Dabei werde es vor allem auf den vorherrschenden Forschungsstand zum Zeitpunkt der Impfung im März 2021 ankommen. Die Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) und der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) bezüglich des AstraZeneca-Impfstoffs könnten dabei ebenfalls von Bedeutung sein.
Einen Tag nachdem Ramona Klüglein geimpft worden war, kam die EMA zu dem Schluss, dass Thrombosen unter geimpften Personen nicht häufiger aufträten als in der Gesamtbevölkerung.
Daraufhin empfahl die STIKO die Impfung weiter. „Vorliegende Daten zu den thromboembolischen Ereignissen“ hätten zwar „ein Sicherheitssignal“ gezeigt, „[a]llerdings ist die insgesamt vorliegende Evidenz derzeit begrenzt“, hieß es in einer Mitteilung, die das Robert Koch-Institut am 19. März 2021 veröffentlichte.
Ihre Einschätzung änderte die STIKO erst gut zwei Wochen später, also Anfang April 2021. Sie beschränkte die Empfehlung des Impfstoffs auf Personen über 60 Jahre.
Die EMA beließ es hingegen bei der uneingeschränkten Empfehlung. Sie riet aber dazu, das Risiko von ungewöhnlichen Blutgerinnseln in Verbindung mit Thrombozytopenie als eine sehr seltene Nebenwirkung aufzuführen.
Wurde die Patientin vor der Impfung ausreichend informiert?
Vor dem OLG geht es nun also nicht darum, ob der Impfstoff Schäden verursacht, „die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen“. Diese Voraussetzungen lägen nur dann vor, wenn die Risiken der Einnahme des Arzneimittels den gesamtgesellschaftlichen Nutzen überwögen.
Dass die Impfung von AstraZeneca mehr Schaden verursacht hätte, als sie der Bevölkerung genutzt habe, habe das OLG nicht erkennen können.
Die Richter beschäftigt eine Rechtsfrage, die man sowohl aus dem Verbraucherrecht als auch aus dem Recht über den Behandlungsvertrag kennt: Wurde die Patientin vor der Impfung hinreichend informiert? Denn am Ende könne jeder selbst entscheiden, ob er sich impfen lasse. Dies allerdings aus einer gut informierten Ausgangslage heraus.
Angesichts der Dynamik des wissenschaftlichen Kenntnisstandes im Frühjahr 2021 und der Komplexität der Materie wird mit Spannung abzuwarten sein, wie das OLG Bamberg auf Grundlage des Sachverständigengutachtens schließlich entscheidet“, schreibt LTO.
Aus Rechtsanwalt Loeschners Sicht ist die Entscheidung des OLG ein Teilerfolg. Der Beschluss habe Auswirkungen auf gleichartige Haftungsprozesse. So könnten Gerichte nicht ohne Gutachten über diese Thematik urteilen.
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