Hannover soll „nahezu autofrei“ werden – und sieht sich als Vorbild für andere Städte

Bis 2030 soll die Innenstadt von Hannover autofrei werden. OB Belit Onay will jedoch noch weiter gehen: Er will Parkplätze aus dem öffentlichen Raum verbannen und Zonen mit Tempo 20 oder 30 deutlich ausweiten.
«Die Forderungen der Letzten Generation wie ein Tempolimit und ein 9-Euro-Ticket sind bei weitem nicht radikal»: Belit Onay.
OB Belit Onay will Hannover ein Anti-Auto-Konzept verpassen.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 20. September 2023

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Bereits seit 1241 besitzt Niedersachsens Landeshauptstadt Hannover das Stadtrecht – „menschengerecht“ ist sie jedoch offenbar bis heute noch nicht. Zumindest lässt sich dies aus Ankündigungen des seit 2019 regierenden grünen Oberbürgermeisters Belit Onay schließen.

Dieser will, so berichtet die „Welt“, Hannover nämlich erst zu einer „menschengerechten Stadt“ transformieren. Weichen müssen soll dafür vor allem der Individualverkehr. Die Stadt soll nämlich „nahezu autofrei“ werden.

Hannover soll mehr Zonen für Tempo 20 und 30 bekommen

Autos aus dem Innenstadtbereich innerhalb des Cityrings zu verbannen, hatte Onay bereits im Oberbürgermeisterwahlkampf versprochen. Umfangreiche Staus und teilweise chaotische Zustände in der City von Hannover hatten manche Bürger offenbar für radikale Lösungsansätze empfänglich gemacht.

Auch der rot-grün dominierte Stadtrat hat Onays Vorhaben bereits gebilligt. Vor allem der Durchgangsverkehr soll, so der „Spiegel“, dem Innenstadtbereich ferngehalten werden. Unter einer autofreien Stadt versteht Onay eigenen Angaben zufolge, dass „kein Auto zu viel in der Stadt“ sei. Anwohner dürften ihre privaten Parkplätze weiterhin behalten, auch der Taxi- und Lieferverkehr bliebe erhalten.

Allerdings müssten sich auch diese auf „möglichst überall Tempo 20 oder maximal Tempo 30“ einstellen. Auch sollen Fahrstreifen zurückgebaut werden zugunsten von Rad- oder Fußgängerwegen. Straßenrandparken soll künftig der Vergangenheit angehören, einige Straßen und Tunnel werden künftig nicht mehr durchfahrbar sein.

Fahrbahnen eingeschränkt – Parken nur noch in Parkhäusern

Als „auf das Auto angewiesen“ gelten in Hannover künftig nur noch Menschen mit Behinderung. Diesen verheißt Onay sogar eine Verbesserung: Für sie werde es „zukünftig leichter, in die Stadt zu kommen, weil es weniger konkurrierenden Autoverkehr gibt“.

Generell werde die Zahl der Stellplätze in Hannover deutlich reduziert, dies solle auch zusätzlichen Raum für den ÖPNV schaffen. Die Innenstadt will der OB „weitgehend ampelfrei“ gestalten, um Fuß- und Radwege seltener zu unterbrechen. Verbleibende Straßen für den Autoverkehr in der Innenstadt sollen nur noch einen Fahrstreifen pro Richtungsfahrbahn aufweisen.

Dazu kommen zusätzliche Flächen für Radabstellplätze, Sharing- und On-Demand-Verkehr sowie Lieferfahrzeuge. Parkplätze im eigentlichen Sinn soll es nur noch in Parkhäusern geben, lediglich dort will man in Hannover auch Ladesäulen für E-Autos aufstellen.

Onay hat keine Angst um Innenstadtgeschäfte in Hannover

Sorgen um den Wirtschaftsstandort Innenstadt machte sich Onay am Dienstag, 19. September, bei der Vorstellung des „integrierten Mobilitätskonzepts Innenstadt Hannover 2030+“ nicht. Er geht nicht davon aus, dass mehr Menschen auf Amazon & Co. ausweichen – denn „attraktive Aufenthaltsräume bekommt man im Onlinehandel nicht“.

Man gebe den Menschen „Planungssicherheit, was auf sie zukommt“, so der OB, der bis 2026 die Stadt leitet. Die „Zeit der Experimente“ sei vorbei, nun stärke man „das Zentrum als resilienten Einzelhandels- und Wirtschaftsstandort“. Über die Gesamtkosten für den geplanten Umbau der Innenstadt äußerte er sich nicht.

Zu den sogenannten C40-Städten gehört Hannover noch nicht. Die Pläne der rot-grünen Ratsmehrheit ähneln jedoch in vielen Bereichen den Zielvorgaben, die man von jener globalen Städteinitiative kennt.

„Bedarf an motorisiertem Verkehr reduzieren“

Auch dort heißt es in programmatischen Verlautbarungen, man wolle im Bereich der Mobilität den „Bedarf an motorisiertem Verkehr“ reduzieren. Bis 2030 wolle man „eine emissionsfreie und inklusive Mobilität für alle“ ermöglichen. Am Schluss soll unter anderem eine „kompakte und gemischte Stadtentwicklung“ stehen, die „Wohnen, Arbeiten, Einkaufen und Freizeit näher zusammenbringt“.

Ab 2030 strebt man unter dem Banner des C40-Projekts an, für 170 Millionen Menschen ein Leben in sogenannten Null-Emissions-Zonen (NEZ) zu ermöglichen. Megacitys wie Berlin, London, Mexiko-Stadt oder Tokio sollen dabei zu den Vorreitern gehören. Damit wolle man auch staatlichen Regularien zuvorkommen. Chinesische Städte beteiligen sich bis dato nicht – dort will man allenfalls über Einschränkungen für den Güterverkehr diskutieren.

Eine weitere Initiative im kommunalen Bereich heißt „Lebenswerte Städte“. Diese will vor allem die rechtlichen Voraussetzungen für Tempo-30-Zonen abseits von Hauptstraßen erweitern. Bis dato ist dies nur im Umfeld von Schulen und sozialen Einrichtungen oder in unfallträchtigen Bereichen gestattet.

Um mehr Tempo 30 zu ermöglichen: Initiative will StVO ändern

Die Initiative „Lebenswerte Städte“ genießt auch Rückendeckung vonseiten des Deutschen Städtetages. Dessen Präsident Burkhard Jung äußert in einer Erklärung, die Kommunen bräuchten „vor Ort mehr Entscheidungsspielräume“, um den Verkehr „effizienter, klimaschonender und sicherer“ zu machen.

Jung beteuert in diesem Zusammenhang, man wolle „in unseren Städten nicht flächendeckend Tempo 30 einführen“. Außerdem sei man gegen pauschale Regelungen für alle Städte. Um den Städten mehr Spielraum für Modellversuche zu geben, müsse jedoch die Straßenverkehrsordnung geändert werden.

Kritiker befürchten hingegen, dass ein solcher Schritt zum Türöffner für ideologisch bedingte Schikanen von Autofahrern werden könne. Bislang stieß die Akzeptanz solcherart „Verkehrswende“-Projekte eher auf verhaltene Zustimmung. In Bremen und Berlin hatten die dafür verantwortlichen Grünen zuletzt bei Landeswahlen Stimmenverluste eingefahren.



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