„Halbgares Maßnahmen-Murks-Paket“ – Corona-Regeln für Herbst beschlossen
Belegbare Betten, Abwassermonitoring, Fallzahlen aus Intensivregister. Wer kommt wegen COVID ins Krankenhaus, wer gilt nur als infiziert? Diese und andere Daten sollen in diesem Herbst zur Verfügung stehen, um die Corona-Lage besser einschätzen zu können.
Mit angepassten Impfstoffen, die nach Aussage des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) „sehr wirksam“ sind und nicht nur vor schwerem Verlauf, sondern auch nach aktuellen Erkenntnissen vor einer Infektion schützen, könne man die Anzahl der Infektionen zurückdrängen, so der Minister zum Auftakt der heutigen Bundestagsdebatte. Im Anschluss wurde über eine Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes diskutiert, das von „O bis O“, also vom 1. Oktober bis Ostern, dem 7. April 2023, gelten soll. Durch die Gesetzesänderung soll den Ländern mehr Verantwortung gegeben werden. Ob dies aufgrund fehlender Schwellenwerte möglich ist, wagten einige Abgeordnete vorab zu bezweifeln.
Debatte um FFP2-Maskenpflicht
Der AfD-Politiker Martin Sichert stellte die FFP2-Maskenpflicht infrage. Wie solle man den Menschen erklären, dass im Flugzeug keine Masken notwendig sind, aber dafür im Nahverkehr? Warum können im Parlament 80 Prozent der etwa 700 Abgeordneten ohne Maske sitzen, müssen sich aber beim Betreten von Bus und Bahn wieder die Maske aufsetzen? Wie ist es zu vertreten, dass Zugfahrgäste in Frankreich und Österreich ohne Maske sitzen dürfen, sich aber an der Grenze zu Deutschland die Maske wieder aufsetzen müssen? Insoweit forderte der AfD-Abgeordnete eine Anpassung an die europäische Situation. In den Nachbarländern wurde eine Maskenpflicht und auch andere Corona-Maßnahmen bereits aufgehoben.
Lauterbach wies diese Forderung zurück. Eine Harmonisierung sei zwar immer sinnvoller, aber nicht, wie Sichert sich das vorstellen. Er dürfe nicht dazu führen, dass „immer mehr Menschen sterben“.
Auch Tino Sorge von der Fraktion CDU/CSU kritisierte die „absurde Diskussion“ über FFP2-Masken, aber auch die „erheblichen handwerklichen Mängel“ des Gesetzes. Er sprach von einem „Chaos am Verhandlungstisch“ und äußerte sich enttäuscht darüber, dass das neue Maßnahmenpaket kein Übergang in die Normalität biete. Im Gegenteil. Er verglich die fehlenden konkreten Kriterien für mögliche Maßnahmen mit dem Bild, dass die Bundesländer selbst ihren Verkehr regeln können, wobei offen ist, ob sie sich für Links- oder Rechtsverkehr entscheiden.
Besser heute als morgen müsse die einrichtungsbezogene Impfpflicht ausgesetzt werden, fordert Sorge weiter. Personalengpässe könne man sich nicht leisten, das hätten ihm verschiedene Akteure aus dem Gesundheitswesen berichtet.
Keine Verschärfung für Kinder
Nezahat Baradari (SPD) berichtete von dem Kompromiss, den die Ampel erzielt hat. Als Kinderärztin begrüßte sie es, dass die Corona-Infektion, anders als in einem ersten Gesetzentwurf, nun doch nicht meldepflichtig geworden ist. Dadurch müssten Kinder bei Verdacht auf eine Corona-Infektion nicht zum Arzt; eine ärztliche Bescheinigung nach einer Infektion sei damit nicht erforderlich. Das hätte sie auch nicht für angemessen gehalten, so Baradari.
Zusätzlich betonte sie, dass das Kinderkrankengeld von 30 Tagen bis Ende 2023 weiterlaufe. Für Alleinerziehende stünden 60 Tage zur Verfügung. Auch die Entscheidung, Schulen und Kitas offenzuhalten, sei richtig. Man müsse es den Kindern so leicht wie möglich machen, dass sie an Bildung und Sozialleben teilhaben.
Die Linken-Politiker Kathrin Vogler kritisierte den Gesetzentwurf als „halbgares Maßnahmen-Murks-Paket“. Sie wollte wissen, warum im dritten Pandemiesommer die Schulen nur verbal auf den Winter vorbereitet und nicht konkret mit Luftfiltern ausgerüstet wurden. Zudem warf sie Lauterbach in der Maskendebatte vor, dass er sich von den Lobbyisten der Lufthansa AG habe beeinflussen lassen. Die Lufthansa habe sich bei ihm darüber beklagt, dass die Maskenpflicht im Flugverkehr nicht durchzusetzen und das Personal belastet sei. „Meinen Sie denn, das Personal im Fernverkehr ist nicht belastet?“, wollte Vogler wissen.
Der Grünen-Politiker Dr. Janosch Dahmen appellierte als Arzt weiterhin, auch im Flugzeug eine Maske zu tragen. Schließlich interessiere sich das Virus nicht dafür, ob es sich im Bus, Bahn oder im Auto verbreite. Seine Parteikollegin Marie Klein-Schmeink bezeichnete das neue Infektionsschutzgesetz als Maßnahmenkatalog mit Augenmaß. Damit würde die Gesellschaft geschützt und einer Überlastung im Gesundheitsbereich vorgesorgt. Da Omikron eine andere Corona-Variante sei, könne man nicht mit den Schwellenwerten aus dem Vorjahr agieren.
Siebenmal eine Minute für die AfD
Die AfD teilte ihre siebenminütige Redezeit auf. Sieben Redner traten für jeweils eine Minute an das Mikrofon und verliehen dem Volk Stimme. Da war von einer Krankenschwester die Rede, die in einer psychosomatischen Klinik arbeitet. Weil eine Kollegin in Quarantäne musste, wurden von heute auf morgen 200 Patienten für zwei Wochen in ihren Zimmern eingesperrt. Einer anderen Person wurde am Telefon der Tod des Vaters mitgeteilt. Der Leichensack sei unter Verweis auf die Infektionsgefahr nicht mehr geöffnet worden. Ohne Umschweife wurde der Tote ins Krematorium gebracht.
Weiter zitiert die AfD einen Schüler. Aufgrund seiner Asthmaerkrankung habe er ein Maskenattest und wurde daraufhin vom Lehrer ans kalte, offene Fenster gesetzt. „Die anderen Kinder beneiden mich“, schreibt der Junge. Sie würden lieber allein am Fenster sitzen als mit Maske.
Um zu unterstreichen, mit welcher Gewalt gegen kritische Ärzte vorgegangen wird, berichtete Jürgen Braun (AfD) von Dr. Paul Brandenburg, dessen Wohnung am 23. Mai gestürmt wurde.
Weiter hieß es: Soldaten, die einen Eid auf die Fahne geschworen hätten, um das Volk zu schützen, würde nun mit unehrenhafter Entlassung gedroht, wenn sie sich nicht impfen lassen.
Für all diese beispielhaften Fälle forderte die AfD: „Geben Sie den Menschen ihre Freiheit und ihre Eigenverantwortung zurück.“ Der Antrag der AfD, die für Soldaten geltende COVID-Impfpflicht auszusetzen, wurde zurückgewiesen.
Lauterbach verteidigt Entwurf
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht mit den vorgesehenen Corona-Regeln für den Herbst passende Instrumente zur Kontrolle aller vorstellbaren Szenarien. „Wir ermöglichen es den Ländern, zielgenau je nach pandemischer Lage genau das anzubieten, was notwendig ist – nicht mehr, aber auch nicht weniger“, sagte der SPD-Politiker. Die Länder könnten und würden darauf zurückgreifen. „Wir werden die Lage im Griff haben.“
Ein Überblick:
Die Bundesregeln
Bundesweit sollen FFP2-Maskenpflichten in Kliniken, Pflegeheimen und Arztpraxen gelten. Für alle ab 14 Jahren ebenso weiterhin auch in Fernzügen, für Kinder zwischen sechs und 13 Jahren soll eine einfachere OP-Maske reichen. In Flugzeugen fällt die Maskenpflicht jetzt ganz weg, die Bundesregierung soll sie per Verordnung ohne Zustimmung des Bundesrats aber noch einführen können.
Zusätzlich zur Maske soll vor dem Zutritt zu Pflegeheimen und Kliniken ein negativer Test vorgelegt werden müssen. Um den Schutz besonders gefährdeter Pflegebedürftiger zu verstärken, sollen Heime Beauftragte benennen müssen, die sich um Impfungen, Hygiene und Therapien für Erkrankte etwa mit dem Medikament Paxlovid kümmern.
Die erste Länder-Stufe
Ab 1. Oktober sollen die Länder Auflagen je nach Datenlage verhängen können. Dazu zählt weiter die Maskenpflicht im Nahverkehr mit Bussen und Bahnen. Es sollen aber auch wieder Masken in öffentlich zugänglichen Innenräumen wie Geschäften und Restaurants Pflicht werden können – mit der zwingenden Ausnahme, dass man keine Maske braucht, wenn man in der Gastronomie und bei Kultur-, Freizeit- oder Sportveranstaltungen einen negativen Test vorzeigt.
An Schulen und Kitas sollen Tests vorgeschrieben werden können. Möglich werden auch Maskenpflichten in Schulen – aber erst ab der fünften Klasse und nur soweit dies „zur Aufrechterhaltung eines geregelten Präsenz-Unterrichtsbetriebs erforderlich ist“.
Die zweite Länder-Stufe
Bei einer regional kritischeren Corona-Lage sollen die Länder noch weitere Vorgaben verhängen können. Dazu zählen Maskenpflichten auch bei Veranstaltungen draußen, wenn dort Abstände von 1,50 Metern nicht möglich sind. Vorgeschrieben werden können Hygienekonzepte für Betriebe und andere Einrichtungen. Außerdem sollen Besucher-Obergrenzen für Innenveranstaltungen möglich sein.
Für diese Maßnahmen ist sodann ein Landtagsbeschluss nötig. Bedingung soll zudem sein, dass eine konkrete Gefährdung für das Gesundheitswesen oder andere wichtige Versorgungsbereiche für eine Region festgestellt wird – in einer Gesamtschau von Infektionszahlen und anderen Indikatoren.
Der Busunternehmerverband BDO forderte die Abschaffung der Maskenpflicht wie in Flugzeugen auch für Fernbusse. Es brauche einheitliche und nachvollziehbare Regelungen, sagte Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Sie begründete dies auch mit der wirtschaftlichen Krise der Branche angesichts hoher Energiepreise.
Über den Gesetzentwurf haben 702 Abgeordnete abgestimmt, 386 haben mit „Ja“ gestimmt, 313 waren dagegen. Drei Abgeordnete haben sich enthalten. Nun muss der Bundesrat noch darüber abstimmen.
(mit Material von dpa)
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