Habeck verzichtet auf Führungsposition, SPD und FDP vor Generationenwechsel

Der Bundestag ohne FDP-Abgeordnete und ohne Vertreter der Wagenknecht-Partei, das Bundeskabinett ohne Olaf Scholz und ohne grüne Minister: So werden sich Legislative und Exekutive im Bund demnächst aufstellen. SPD, FDP und Grüne stehen offenbar vor einem Neuanfang auch personeller Natur. Regieren wird wahrscheinlich Schwarz-Rot.
Auch die zweite Prüfung der Plagiatsvorwürfe gegen Robert Habeck durch die Universität Hamburg entlastet den Grünen-Kanzlerkandidaten. (Archivbild)
Robert Habeck verkündet am Tag nach der Bundestagswahl, keine Führungsposition mehr bei den Grünen zu übernehmen. (Archivbild)Foto: Sarah Knorr/dpa
Von 24. Februar 2025

Wie das nächste Kabinett unter einem neuen Kanzler Friedrich Merz (CDU) aussehen könnte, ist wenige Stunden nach Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses nicht absehbar. Gesetzt den Fall, es ändert sich nichts mehr – etwa durch Wahlanfechtung infolge von Fehlern und Versäumnissen bei den Auslandsstimmen –, wird das Ergebnis der Zweitstimmen für eine schwarz-rote Koalition ausreichen.

Die Fraktionen von Union und SPD werden demnach zusammen 328 von 630 Sitzen im Bundestag halten: 164 Sitze wird die CDU besetzen, 44 die CSU. 120 Plätze stehen der SPD zu.

Habeck ohne zukünftige Führungsrolle

Die fünf bisherigen grünen Bundesminister Annalena Baerbock (Außen), Lisa Paus (Familie), Steffi Lemke (Umwelt), Kanzlerkandidat Robert Habeck (Wirtschaft) und Cem Özdemir (Agrar, Bildung) werden nicht mehr zum Kabinett gehören. Die 11,6 Prozent der Zweitstimmen ihrer Partei (minus 3,1 Prozent im Vergleich zur Wahl 2021) werden nicht mehr für eine Regierungsbildung gebraucht. Dazu erklärte Habeck am Montag in Berlin:

Ich werde keine führende Rolle in den Personaltableaus der Grünen mehr anstreben.“

Der Grünen-Spitzenkandidat hat derzeit – abgesehen von seinen Regierungsämtern bei den Grünen – keine Ämter inne. Er wurde aber erneut in den Bundestag gewählt. Habeck ließ am Montag offen, ob er sein Mandat wahrnehmen werde. „Die Antwort gebe ich, wenn wir die Gremien aufgestellt haben“, antwortete er auf eine entsprechende Frage.

Auch etliche prominente Namen aus der FDP und dem BSW werden dem Parlament nicht mehr angehören. Beide Parteien schafften es nicht über die Fünfprozenthürde.

FDP vor internem Neuanfang

Der FDP-Vorsitzende und frühere Bundesfinanzminister Christian Lindner kündigte in der „Berliner Runde“ von ARD und ZDF an, sich aus der aktiven Politik zurückzuziehen und den Weg für einen Neustart freizumachen (Video in der ARD-„Mediathek“). Auf seinem X-Kanal bestätigte er seinen Abschied wenig später: Er gehe „mit nur einem Gefühl: Dankbarkeit für fast 25 intensive, herausfordernde Jahre voller Gestaltung und Debatte.“ Auch Bundestagsvize Wolfgang Kubicki möchte nicht mehr weitermachen.

Schon im Laufe des Montags will sich nach „Bild“-Angaben zunächst das FDP-Präsidium zusammensetzen. Danach sei ein Treffen des FDP-Parteivorstands mit den scheidenden Abgeordneten anberaumt. Man wolle die Fehler aufarbeiten und auch herausfinden, wer das sogenannte „D-Day“-Papier an die Presse weitergeleitet hatte.

Die mutmaßliche Indiskretion über die Exit-Strategie der FDP aus der Ampelregierung hatte den Absturz der Liberalen nach ihrem Bekanntwerden Ende November 2024 weiter befeuert.

Strack-Zimmermann wäre zum Parteivorsitz bereit

Als Nachfolgerin Lindners würde sich offenbar die EU-Abgeordnete Marie-Agnes Strack-Zimmermann wählen lassen. Die „Bild“ zitiert sie mit den Worten:

Ich stehe voll und ganz hinter der FDP und werde dort in der Partei Verantwortung übernehmen, wo es notwendig ist und wo es gewünscht wird.“

Andererseits sei sie mit ihren „wichtigen Aufgaben in Europa“ und als Mitglied des FDP-Präsidiums „mehr als ausgelastet“, so Strack-Zimmermann.

Ungeachtet einer Kandidatur halte sie es für wichtig, dass „wir geschlossen und mit klarem Kurs auftreten“. Denn „nach einem thematisch eher engeren Wahlkampf müssen wir uns thematisch dringend wieder verbreitern, beispielsweise um die Bürgerrechte“.

Gelegenheit dazu wäre bereits am 16. und 17. Mai beim 76. Ordentlichen Bundesparteitag der Liberalen in Berlin.

Kemmerich denkt über Neugründung nach

Für den Fall eines Kurswechsels der FDP in Richtung linksliberal kündigte der Thüringer FDP-Landesvorsitzende und frühere Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich im „Pioneer“ (Bezahlschranke) als „Ultima Ratio“ bereits die Gründung einer eigenen Partei an. Der FDP fehle es mittlerweile an einem „liberalen Kern“, sie sei „beliebig geworden“. Er selbst werde versuchen, dass diejenigen, die „uns vor drei Wochen im Deutschen Bundestag blamiert haben, keinen Einfluss in der Parteispitze“ mehr hätten.

Damit bezog sich Kemmerich auf die Bundestagsabstimmung zum Zustrombegrenzungsgesetz am 31. Januar. Aus der FDP-Fraktion hatte es damals zwei Gegenstimmen und fünf Enthaltungen gegeben. 16 FDP-Abgeordnete gaben ihre Stimme gar nicht erst ab. Damit war das Gesetz auch wegen der Liberalen gescheitert.

Für Sahra Wagenknecht, die Gründerin und Namensgeberin des BSW, ist ihre Zeit im Bundestag ebenfalls vorbei. Sie wollte über die Parteiliste einen Sitz erobern. Sah es noch vor einigen Monaten danach aus, als ob die Wagenknecht-Partei den Platz der Linken im Bundestag vollständig ersetzen würde, trat nun der umgekehrte Fall ein.

SPD vor Generationswechsel: Klingbeil soll Fraktionsführung übernehmen

Der bisherige Bundeskanzler Olaf Scholz (66, SPD) bleibt dem Bundestag per Direktmandat des Wahlkreises „Potsdam – Potsdam-Mittelmark II – Teltow-Fläming II“ allerdings für die kommenden vier Jahre erhalten. Er gewann als einziger Brandenburger SPD-Direktkandidat seinen Wahlkreis mit 21,8 Prozent der Erststimmen und bleibt Abgeordneter. Ob er eine exponierte Funktion innerhalb der SPD-Fraktion einnehmen wird, ist unklar. In der „Berliner Runde“ kündigte Scholz allerdings schon an, nicht als Verhandlungsführer an den Koalitionsgesprächen von Union und SPD teilnehmen zu wollen.

Der SPD-Coparteivorsitzende und -Wahlkampfmanager Lars Klingbeil hatte am Wahlabend im Berliner Willy-Brandt-Haus nach Informationen der „Welt“ angekündigt, seine Partei organisatorisch, programmatisch und auch personell neu ausrichten zu wollen. „Ich sage hier mit absoluter Klarheit, der Generationswechsel in der SPD muss eingeleitet werden“, so der Soltauer, der just am Wahltag seinen 47. Geburtstag feierte. Sein Ziel sei, die Sozialdemokraten wieder zur „Volkspartei der linken Mitte“ zu machen.

Auf einstimmigen Wunsch der SPD-Fraktion und im Einverständnis mit der Parteiführung soll Klingbeil selbst den Fraktionsvorsitz übernehmen. Der bisherige Fraktionschef Rolf Mützenich (65) hatte seinen Verzicht zugunsten Klingbeils nach Informationen des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“ (RND) in einem Brief an die Fraktion bestätigt.

Laut RND soll der SPD-Fraktionsvorstand noch am Montag die Personalie Klingbeil zur Wahl ihres neuen Chefs vorschlagen. Gewählt werden könnte er am kommenden Mittwoch.

Rehlinger will nicht Parteichefin werden

Für eine mögliche Neubesetzung der SPD-Bundesparteispitze steht die saarländische Ministerpräsidentin und stellvertretende Parteivorsitzende Anke Rehlinger (48) nicht zur Verfügung. „Wir haben eine Parteichefin“, erklärte Rehlinger unter Verweis auf Saskia Esken (63) am Montag im ARD-„Morgenmagazin“.

Die SPD werde bereit sein, mit der Unionsfraktion Gespräche über eine Zusammenarbeit zu führen, „wenn wir dazu eine gute Grundlage finden“, so Rehlinger. Angesichts der hohen Stimmenverluste müsse ihre Partei nun klarmachen: „Wir sind handlungsfähig und wir bleiben handlungsfähig“. Sie selbst wolle „mithelfen, dass die SPD wieder stark wird in Deutschland“.

23 Wahlkreissieger fielen Wahlrechtsreform zum Opfer

Nach Angaben der Bundeswahlleiterin (PDF) haben 23 Kandidaten aus den Reihen von CDU, CSU, AfD und SPD über die Erststimme ihres Wahlkreises zwar Direktmandate gewonnen, dürfen wegen der Wahlrechtsreform aber nicht in den Bundestag einziehen, weil sonst wieder Überhangmandate entstanden wären. Betroffen sind die folgenden Wahlkreise und Direktkandidaten:

  • Wahlkreis 1, Flensburg-Schleswig: Petra Nicolaisen (CDU), die das Direktmandat gegen Robert Habeck gewann
  • Wahlkreis 169, Schwalm-Eder: Anna-Maria Regina Bischof (CDU)
  • Wahlkreis 181, Frankfurt am Main I: Yannick Schwander (CDU)
  • Wahlkreis 182, Frankfurt am Main II: Leopold Nikita Vincent Born (CDU)
  • Wahlkreis 183, Groß-Gerau: Marcus Kretschmann (CDU)
  • Wahlkreis 185, Darmstadt: Astrid Ursula Luise Mannes (CDU)
  • Wahlkreis 202, Trier: Dominik Franciszek Sienkiewicz (CDU)
  • Wahlkreis 204, Mainz: Ursula Groden-Kranich (CDU)
  • Wahlkreis 206, Ludwigshafen/Frankenthal: Sertaç Bilgin (CDU)
  • Wahlkreis 259, Stuttgart II: Maximilian Mörseburg (CDU)
  • Wahlkreis 274, Heidelberg: Alexander Paul Föhr (CDU)
  • Wahlkreis 275, Mannheim: Melis Sekmen (CDU)
  • Wahlkreis 277, Rhein-Neckar: Moritz Oppelt (CDU)
  • Wahlkreis 282, Lörrach – Müllheim: Stefan Glaser (CDU)
  • Wahlkreis 290, Tübingen: Christoph Daniel Naser (CDU)
  • Wahlkreis 218, München-Süd: Claudia Küng (CSU)
  • Wahlkreis 243, Nürnberg-Nord: Sebastian Brehm (CSU)
  • Wahlkreis 251, Augsburg-Stadt: Volker Michael Ullrich (CSU)
  • Wahlkreis 54, Bremen I: Ulrike Elisabeth Hiller (SPD)
  • Wahlkreis 14, Landkreis Rostock II: Steffi Burmeister (AfD)
  • Wahlkreis 58, Oberhavel – Havelland II: Andreas Galau (AfD)
  • Wahlkreis 71, Halle: Alexander Raue (AfD)
  • Wahlkreis 151, Leipzig I: Christian Kriegel (AfD)

Merz hofft auf Regierung bis Mitte April

Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte schon am Wahlabend seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, bis spätestens Ostern eine neue Bundesregierung unter Dach und Fach bringen zu können. „Wir brauchen eine zügige und vernünftige Regierungsbildung. Wir müssen international handlungsfähig werden“, so Merz auf seinem X-Kanal. Europa warte auf Deutschland.

Für den Fall eines Scheiterns der Koalitionsgespräche hat auch die AfD Bereitschaft erklärt, Verantwortung im Bund zu übernehmen. „Unsere Hand wird immer ausgestreckt sein für eine Regierungsbeteiligung, um den Willen des Volkes umzusetzen“, so AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel in der „Berliner Runde“.

AfD-Doppelspitze bleibt

Für Personaländerungen in Fraktion oder Parteispitze sieht die AfD keinen Grund: „Wir werden gemeinsam weitermachen“, erklärte Weidel am Montag über ihre Zusammenarbeit mit ihrem Co-Parteisprecher Tino Chrupalla. „Denn die Doppelspitze hat eines gezeigt, dass sie uns erfolgreich macht“. Chrupalla und sie selbst würden sich am Dienstag auf der Fraktionssitzung wieder gemeinsam zur Wahl stellen.

Die AfD hatte ihren Zweitstimmenanteil von 10,4 Prozent auf nun 20,8 Prozent exakt verdoppelt.

Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis der Bundeswahlleiterin wird der Bundestag demnächst die folgenden fünf Fraktionen beherbergen:

  • CDU/CSU: 28,6 Prozent, plus 3,6 Punkte (208 Sitze)
  • AfD: 20,8 Prozent, plus 10,4 Punkte (152 Sitze)
  • SPD: 16,4, minus 9,3 Punkte (120 Sitze)
  • Grüne: 11,6 Prozent, minus 3,1 Punkte (85 Sitze)
  • Die Linke: 8,8 Prozent, plus 3,9 Punkte (64 Sitze)

Dazu kommt wegen einer Sonderregelung im Wahlgesetz mit Stefan Seidler noch ein Abgeordneter des Südschleswigschen Wählerverbands.

Mit Material der AFP



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