Habeck sagt „kleines Kanzlerduell“ mit Weidel ab: Streit um Chancengleichheit entbrannt
Am Sonntag, 9.2. sollen Bundeskanzler Olaf Scholz und Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz ein von ARD und ZDF ausgerichtetes Kanzlerduell bestreiten. Eine Woche später soll es noch ein Aufeinandertreffen der beiden Spitzenkandidaten geben. Grüne und AfD fühlen sich dadurch benachteiligt.
Grünen-Spitzenkandidat Robert Habeck hat die Teilnahme an einem TV-Duell mit AfD-Chefin Alice Weidel abgesagt. Ein solches hatten die öffentlich-rechtlichen Sender ebenfalls vor der voraussichtlich am 23.2. stattfindenden Bundestagswahl eingeplant.
AfD will rechtliche Schritte prüfen: „Kriterien für Kanzlerduell ständig geändert“
Aus den Reihen der Grünen hieß es, man habe ein solches Duell schon im Vorfeld klar ausgeschlossen. Dennoch hätten ARD und ZDF durch die Versendung einer Einladung und Veröffentlichung einer Pressemitteilung „Fakten geschaffen“. Dies sei unverständlich, weil es noch zwei Monate bis zur Wahl seien.
Zudem seien „die Umfragewerte gerade für den Kanzlerkandidaten Robert Habeck so gut, dass niemand voraussagen kann, wie das Ergebnis am Wahltag aussehen wird“. Einer jüngst veröffentlichten INSA-Umfrage für „Bild“ zufolge liegt der Grünen-Politiker bei der „Kanzlerwahl“-Frage mit 13 Prozent (minus 1) auf Platz vier. Voran liegen gleichauf Merz und Weidel mit je 21 Prozent (unverändert und Weidel plus drei Prozentpunkte) vor Scholz mit 16 (plus 1).
Weidel sprach von einer „Farce“, dass die Kriterien für Einladungen vonseiten der öffentlich-rechtlichen Sender immer wieder abgeändert würden.
Ein Sprecher der Politikerin, deren Partei hinter der Union in Umfragen derzeit auf Platz 2 liegt, kündigte an, man werde rechtliche Schritte gegen die Nichtzulassung zum Kanzlerduell prüfen. Die Grünen rufen die Sender vorerst nur dazu auf, ihre Entscheidung zu „überdenken“.
Habeck nicht länger nur „Kandidat für die Menschen“?
Als die Grünen Mitte November in Wiesbaden ihren Bundesparteitag abhielten, hatte Habeck selbst sich mit Bedacht nicht zum „Kanzlerkandidaten“ ausrufen lassen. Explizit mit Blick auf die Umfragen bevorzugte er es, stattdessen als „Kandidat für die Menschen“ tituliert zu werden.
Seit dieser Zeit hat sich in den Umfragen bei den Grünen jedoch kein signifikanter Aufwärtstrend bemerkbar gemacht. Nach wie vor sieht kein einziges Meinungsforschungsinstitut die Partei auch nur auf der Höhe ihres Bundestagsergebnisses von 2021. Dieses lag bei 14,5 Prozent der Zweitstimmen.
Demgegenüber hatte Civey die Grünen am 26.4.2021 mit 29 Prozent und fünf Punkten Vorsprung auf die Union als stärkste Partei ausgewiesen. Am 27.8.2021 sah die Forschungsgruppe Wahlen sie als letztes Umfrageinstitut bei 20 Prozent oder darüber.
Union und SPD hatten sie zu diesem Zeitpunkt aber bereits überholt. Die sogenannten Trielle im öffentlich-rechtlichen Fernsehen fanden am 29.8.2021 und 12.9.2021 statt. Am 19.9.2021 richteten Sat.1, ProSieben und Kabel eins ein weiteres aus.
Chancengleichheit ist zu beachten – „in abgestufter Form“
In mehreren Fällen hatten Parteien unter Berufung auf die Wahrung der Chancengleichheit vor Gerichten auf Zulassung zu Fernsehrunden geklagt. Die Gerichte haben dabei einige Leitlinien entwickelt, die zu beachten seien, um keine unzulässige Beeinflussung der Willensbildung zu bewirken.
Das Gebot der Chancengleichheit kann in einzelnen Fällen einen Teilnahmeanspruch bei einer wahlbezogenen Sendung begründen. Dies ist jedoch von mehreren Faktoren und einer Gesamtschau abhängig.
Grundsätzlich ist das gewählte redaktionelle Konzept der jeweiligen Sendung maßgeblich für die Auswahl der Teilnehmer. Dieses kann etwa ein Duell, eine „Townhall“, eine „Elefantenrunde“ oder auch eine „Mückenrunde“ sein – wo alle nicht im Parlament vertretenen Parteien zu Wort kommen.
Das Ganze kann in einen Gesamtrahmen eingebettet sein. Der ORF in Österreich veranstaltet beispielsweise seit den 1990er Jahren Duelle zwischen den Spitzenkandidaten aller Parlamentsparteien.
Die Gerichte haben den Sendern zusätzlich auch gestattet, den Grundsatz der Chancengleichheit „in abgestufter Form“ zu beachten. Das bedeutet, dass die Rundfunkanstalten die Freiheit haben, zu „Kanzlerduellen“ nicht die Vertreter aller Parlamentsparteien einzuladen. Entscheidend ist, dass „bedeutsame“ politische Kräfte in der wahlbezogenen Berichterstattung „angemessen“ Berücksichtigung finden.
Westerwelle-Urteil aus Karlsruhe führt Kriterien für Einladung zum Kanzlerduellen auf
Zudem billigen die Gerichte den Sendern auch bezüglich ihrer Wahlberichterstattung eine gewisse Programmautonomie zu. Das Konzept muss jedoch schlüssig und folgerichtig umgesetzt werden. Das Bundesverfassungsgericht stellt bezüglich der abgestuften Gleichbehandlung auf die „Gesamtheit der wahlbezogenen Sendungen“ ab.
Ist von einer Runde die Rede, in der alle Spitzenkandidaten eingeladen werden sollen, die sich um die Kanzlerschaft bewerben, kann ein Verstoß gegen die Chancengleichheit vorliegen, wenn der Kandidat einer aussichtsreichen Partei nicht eingeladen wird. Dieser ist jedoch auch daran zu messen, ob dieser Anspruch eine „realistische Aussicht“ auf Verwirklichung hat.
In diesem Sinne verwarf das Bundesverfassungsgericht 2002 eine Beschwerde des damaligen FDP-Vorsitzenden Guido Westerwelle. Dieser hatte sich als „Kanzlerkandidat“ tituliert, war aber nicht zu einem Kanzlerduell eingeladen worden. In Karlsruhe sah man dies als zulässig an, weil die FDP keine realistische Aussicht auf die Kanzlerschaft gehabt habe.
Es liegt auf der Hand, dass deshalb auch AfD-Chefin Alice Weidel, mit der keine andere Partei koalieren will, und BSW-Chefin Sahra Wagenknecht trotz erklärter „Kanzlerkandidatur“ nicht berücksichtigt werden. Das BSW hat diese zur „Kanzlerkandidatin“ ausgerufen, „damit sich unsere Konkurrenten keinen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen“, erklärte Geschäftsführer Christian Leye.
Interesse an Fernsehdebatten zuletzt rückläufig
Allerdings ist im Lichte der gefestigten Rechtsprechung auch kein Anhaltspunkt zu erkennen, dass Habeck einen Anspruch auf Teilnahme an einem „Kanzlerduell“ hat. Seine Partei liegt in Umfragen deutlich hinter AfD und SPD.
Allerdings müssen die Öffentlich-Rechtlichen sowohl Habeck als auch Weidel, Wagenknecht und FDP-Chef Christian Lindner in anderen Formaten „Gelegenheit zur Selbstdarstellung“ geben. Daran arbeiten die Öffentlich-Rechtlichen sowie der Sender RTL eigenen Angaben zufolge auch schon. Es ist davon auszugehen, dass es vor der Wahl auch „Elefantenrunden“ mit den Vertretern aller im Parlament vertretenen Parteien geben wird.
Das OVG Nordrhein-Westfalen hatte in seinem Beschluss vom 15.08.2002 – 8 B 1444/02 erklärt, dass die Rundfunkanstalten mit ihren Wahlinformationsformaten keine „Leistungen an Parteien“ gewährten. Sie verfolgten stattdessen ein journalistisches Konzept zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgabe.
Diese bestehe darin, „die Öffentlichkeit über die von einzelnen Parteien bzw. Kandidaten verfolgten Ziele und Programme oder auch über das persönliche Profil einzelner Kandidaten zu unterrichten“.
Die Bedeutung der TV-Runden für die Wahlentscheidung insgesamt ist ungewiss. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass Zuschauer, die bereits eine feste Präferenz haben, diese aufgrund der Debatte abändern. Die Sendungen können jedoch einen Mobilisierungseffekt bewirken und als Entscheidungshilfe für Unentschlossene dienen.
Die Aufmerksamkeit ist jedenfalls groß: Das Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz vor der Bundestagswahl 2017 fand 16 Millionen Zuschauer. Die „Trielle“ des Jahres 2021 hatten zwischen 4,1 und elf Millionen Zuschauer.
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion