#allesdichtmachen – Kubicki: Beleidigende Attacken auf Künstler sind „unerträglich“
Nach der Hasswelle gegen die rund 50 Schauspieler, die in kurzen Satire-Videos unter dem Hashtag #allesdichtmachen die Corona-Politik der Bundesregierung auf die Schippe nehmen, haben Politiker von Grüne und FDP Verständnis für die Aktion gezeigt. Grünen-Politiker und Tübingens OB Boris Palmer kritisierte auf Facebook die Stigmatisierung der Künstler: „Wieder mal wird eine abweichende Auffassung stigmatisiert, diffamiert, mit Kontaktschuldthese bekämpft, in einen Topf mit Querdenkern, AfD und Rechten geworfen. Die Mühe, sich ernsthaft mit der Frage zu befassen, warum so viele bekannte Schauspieler dabei mitmachen, ist schon zu viel. Ausgrenzung statt Debatte heißt die Devise. Da empfehle ich Wagenknechts Buch „Die Selbstgerechten“. Die sind mal wieder alle am Werk.“
Deutlich macht er vor allem, dass die Lockdownmaßnahmen in einer Demokratie „nicht mit der gleichen Härte durchsetzbar“ seien wie in China. „Es gibt Gerichte, Grundrechte und Maßnahmen müssen verhältnismäßig sein. Das heißt eben, es ist bei uns gerade nicht zulässig, den Schutz vor einer einzigen Virusgattung über alles zu stellen. Und das ist auch gut so.“
In einer Demokratie dürften Schauspieler „die offenkundigen Defizite einer einseitig auf Verbote fixierten Politik aufspießen“, sie dürften „darauf aufmerksam machen, dass viele Medien diese Strategie als alternativlos stützen, statt sie zu kritisch zu hinterfragen“, so der Politiker weiter. „Wenn Menschen nicht mehr überzeugt sind von Verboten und Geboten, die der Staat gar nicht durchsetzen kann, wenn die Leute nicht freiwillig mitmachen, dann funktionieren sie nicht mehr. Kluge Politik würde darauf nicht mit immer härteren Maßnahmen reagieren, sondern mit wirksameren.“
Habeck verlangt Debatte über Stellenwert der Kultur
Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck hat nach den Schauspielervideos eine Debatte über den Stellenwert der Kultur in der Pandemie gefordert. Nach mehr als einem Jahr Pandemie seien viele Menschen erschöpft und zermürbt, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Samstagausgaben). Die Aktion selbst bezeichnete er aber als „unangemessen“.
Dass gerade in der Kulturbranche, die als erstes schließen und als letztes öffnen werde, die Verzweiflung groß ist, sei nur nachvollziehbar. „Und ohne Frage wurden Fehler gemacht. Man hätte viel früher viel konsequenter handeln müssen, um dann umso schneller differenziert vorzugehen“, so der Grünen-Chef. Daher brauche es „Raum für eine kritische und streitbare Debatte über etwas, das so tief in unser aller Leben und unser aller Freiheit eingreift“.
Die sarkastische Kampagne der knapp 50 Schauspieler kritisierte er allerdings deutlich: „Sie erscheint mir in ihrer Pauschalität und ihrer krassen Zuspitzung unangemessen. Gut, dass nicht alle da mitmachen. Heike Makatsch hat erkannt, dass das nach hinten losgeht und sich davon distanziert. Respekt dafür.“
Habeck, der vor seiner politischen Karriere Roman- und Theaterautor war, sagte weiter: „Wir sollten uns klar machen, dass Kultur nicht irgendein Anhängsel ist, sondern Grundstoff einer lebendigen, demokratischen Gesellschaft ist. Und dass sie fehlt – in live und in echt.“
Kubicki: Beleidigende Attacken auf die Künstler sind „unerträglich“
Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) verteidigte die an der Internet-Aktion beteiligten Schauspieler und Künstler vor heftiger Kritik. „Es muss möglich sein, die Corona-Politik der Bundesregierung zu kritisieren, ohne als ein Querdenker oder Menschenfeind abqualifiziert zu werden“, sagte der FDP-Politiker den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstagausgaben). Es gelte Kunst- und Meinungsfreiheit, die beleidigenden Attacken auf die Künstler seien „unerträglich“. Eine Debatte in einer funktionierenden Demokratie sollte respektvoll geführt werden, damit man sich nach der Pandemie noch in die Augen schauen könne.
Begeisterte Zustimmung bis vehemente Ablehnung in den sozialen Medien
Zahlreiche prominente Film- und Fernsehschauspieler sorgen mit einer großangelegten Internetaktion unter dem Motto #allesdichtmachen für Aufsehen.
Künstler wie Ulrich Tukur, Volker Bruch, Meret Becker, Richie Müller, Heike Makatsch, Jan Josef Liefers und viele weitere verbreiteten bei Instagram und auf der Videoplattform Youtube gleichzeitig ironisch-satirische Clips mit persönlichen Statements zur Coronapolitik der Bundesregierung. Wie die Aktion koordiniert wurde, war zunächst nicht bekannt. Die Hashtags #allesdichtmachen, #niewiederaufmachen und #lockdownfürimmer wurden am Abend binnen kurzer Zeit zu den am meisten verwendeten bei Twitter in Deutschland.
„Schließen Sie ausnahmslos jede menschliche Wirkungsstätte und jeden Handelsplatz“, fordert etwa Tukur die Bundesregierung auf. „Nicht nur Theater, Cafés, Schulen, Fabriken, Buchhandlungen, Knopfläden nein, auch alle Lebensmittelläden, Wochenmärkte und vor allem auch all die Supermärkte.“ Und er fügt hinzu: „Sind wir erst am Leibe und nicht nur an der Seele verhungert und allesamt mausetot, entziehen wir auch dem Virus und seiner hinterhältigen Mutantenbagage die Lebensgrundlage.“
Liefers bedankt sich in seinem Clip mit ironischem Unterton „bei allen Medien unseres Landes, die seit über einem Jahr unermüdlich verantwortungsvoll und mit klarer Haltung dafür sorgen, dass der Alarm genau da bleibt, wo er hingehört, nämlich ganz, ganz oben.“
In den sozialen Medien stieß die Aktion auf begeisterte Zustimmung bis vehemente Ablehnung. „Die Schauspieler*innen von #allesdichtmachen können sich ihre Ironie gerne mal tief ins Beatmungsgerät schieben“, twitterte Moderator Tobias Schlegl, der auch Notfallsanitäter ist. Schauspieler Marcus Mittermeier kommentierte: „Niemand hat mich gefragt, ob ich bei #allesdichtmachen mitmachen will. Gott sei Dank!“ Medienjournalist Stefan Niggemeier vom Onlinemagazin „uebermedien.de“ schrieb von „ekliger Ironie“ und einem „Dammbruch“, der zugleich der „größte Erfolg der Querdenkerzene bisher“ sei.
Beifall gab es dagegen vom früheren Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, der die Aktion auf Twitter „großartig“ nannte. Der Hamburger Virologe Jonas Schmidt-Chanasit sprach von einem „Meisterwerk“, das „uns sehr nachdenklich machen“ sollte. Die AfD-Bundestagsabgeordnete Joana Cotar twitterte: „Das ist intelligenter Protest.“ Sie feiere Jan Josef Liefers.
Die Kunst- und Kulturszene leidet seit mehr als einem Jahr schwer unter den Corona-Maßnahmen. Laut dem Bundesverband Schauspiel (BFFS) etwa haben viele der Schauspielerinnen und Schauspieler in Deutschland seit März 2020 kaum Einkommen. Laut dem Verband leben zwei Drittel bis drei Viertel aller Schauspieler und Schauspielerinnen von Gastverpflichtungen an Theatern, die aktuell nicht oder kaum arbeiten können. In Deutschland gibt es insgesamt etwa 15.000 bis 20.000 Schauspieler.
(afp/dts/dpa/nmc)
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