Habeck bewirbt sich als Grünen-Kanzlerkandidat – Schwarz-Grün vorerst nicht in Sicht
Ganz gleich, wann es nun zu Neuwahlen im Bund kommen wird – der nächste Kanzler der Bundesrepublik Deutschland wird aktuellen Umfragen zufolge höchstwahrscheinlich Friedrich Merz (CDU) heißen. Die Frage der Kandidatur für die Union war bereits Mitte September offiziell geklärt worden: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte Merz den Vortritt gelassen.
Habeck stellt Bewerbungsvideo online
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck will die Grünen als Kanzlerkandidat in die nächste Bundestagswahl führen. „Erst bitte ich meine Partei um das Vertrauen, sie in die nächste Bundestagswahl zu führen. Dann Sie und euch“, sagte der Vizekanzler in einer Videobotschaft auf seinem neu erstellten YouTube-Kanal.
In dem 8-minütigen Video sitzt Habeck an einem Esstisch in der Küche und spricht zur Kamera. „Als Minister, als Vizekanzler habe ich gelernt, wie man Krisen bewältigt. Ich weiß, wie verwoben Entscheidungsprozesse sind und dass man auch menschlich schwierigsten Situationen nicht ausweichen kann“, so Habeck.
Bevor es mit dem Wahlkampf „richtig losgeht“, wolle er den Bürgern in „Küchentischgesprächen“ zuhören, „wann immer die Zeit es zulässt“, kündigte er an.
Er könne nicht versprechen, dass es in den gegenwärtig schwierigen Zeiten keine „Zumutungen“ mehr geben werden. Aber er verspreche, „die Dinge offen und ehrlich anzusprechen“.
Ein Hinweis, dass Habeck trotz mäßiger Aussichten seinen Hut in den Ring werfen will, liegt in seiner Entscheidung, nach fünf Jahren freiwilliger Abstinenz seit dem Nachmittag des 7. November wieder über das Social-Media-Portal X zu kommunizieren. Innerhalb weniger Stunden erreichte sein brandneuer X-Kanal fast 60.000 Abonnenten. Erster Eintrag: „Back for good“, zu Deutsch etwa: „Endgültig zurück“. In seinem zweiten Posting twitterte Habeck:
Orte wie diesen den Schreihälsen und Populisten zu überlassen ist leicht. Aber es sich leicht zu machen kann Nicht die Lösung sein. Nicht heute. Nicht in dieser Woche. Nicht in dieser Zeit. Deshalb bin ich wieder auf X.“
Schon eine Stunde später postete der Wirtschaftsminister unter den Worten „Von hier an anders“ einen 11-sekündigen Videoschnipsel. Zu sehen ist Habeck, wie er im Freizeitlook Papiere durcharbeitet, dabei entspannt die Melodie zum Grönemeyer-WM-Hit „Zeit, dass sich was dreht“ summt und lächelnd die nahende Kamera abdeckt.
Mittendrin, für das bloße Auge kaum zu erkennen, wird ein Frame dazwischen geblitzt: Für einen Sekundenbruchteil ist Habecks Armband mit dem Schriftzug „KANZLER ERA“ („Kanzler-Ära“) zu sehen. In einem Regal im Hintergrund steht so etwas wie ein Wochenkalender, bei dem der 8. November rot eingekreist ist. Nach Einschätzung der „Bild“ alles klare Hinweise darauf, dass Habeck seine Kanzlerkandidatur schon am Freitag offiziell bekannt geben wird.
Nouripour für Habeck als Kanzlerkandidat
Auch der Co-Parteivorsitzende der Grünen, Omid Nouripour, hatte sich kurz vor seinem bereits länger angekündigten Rückzug am Donnerstagmorgen in der n-tv-Sendung „Frühstart“ dafür ausgesprochen, Habeck zum Kanzlerkandidaten zu machen. Er halte Habeck für „ein gutes Angebot“, das Land benötige auch „einen modernen Kanzlerkandidaten“.
Dass Habeck bei den aktuellen Umfragewerten der Grünen wahrscheinlich keine realistische Chance aufs Kanzleramt haben wird, störte Nouripour nicht. Wenn der Maßstab sei, dass nur noch Parteien mit einem Zuspruch von mehr als 30 Prozent einen Kanzlerkandidaten aufstellen würden, müsse man „ein Abonnement für die CDU/CSU überschreiben“. Die Parteienlandschaft befinde sich aber in einem großen Umbruch; mit großer Geschwindigkeit gehe es nach oben oder unten. Auf einen Wunschkoalitionspartner ließ sich Nouripour nicht festnageln.
Schwarz-Grün hätte derzeit 46 Prozent
Ob Merz als Kanzler mit den Grünen koalieren würde, ist momentan unklar. Nach einer aktuellen Umfrage von infratest dimap im Auftrag der ARD erreichte die Union mit Stand 7. November – dem Tag des Ampelbruchs – 34,0 Prozent. Zusammen mit den Grünen (12,0 Prozent) würde es wohl für eine Mehrheit reichen.
Da die Union nach wie vor an ihrer „Brandmauer“ zur AfD festhält, bliebe der Union ansonsten nur noch die SPD (16,0) als nötiger Mehrheitsbeschaffer. Die FDP kratzt wieder an der Fünf-Prozent-Hürde.
Söder und Kretschmer gegen Schwarz-Grün im Bund
CSU-Chef Markus Söder würde Schwarz-Grün offenbar nur dann zulassen, wenn Robert Habeck keinerlei politische Macht mehr besäße. In der ARD-Talkshow „Maischberger“ vom Donnerstagabend erklärte Söder, dass eine schwarz-grüne Koalition höchstens möglich sei, „wenn zum Beispiel Robert Habeck seinen sofortigen Rücktritt erklären würde, gar nicht mehr mitmachen würde“. Denn immerhin mache „ein ganz großer Teil der Bevölkerung“ Habeck „ganz persönlich verantwortlich“ für „einen Großteil der wirtschaftlichen Rezession“ (Kurzvideo auf YouTube).
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lehnt ein schwarz-grünes Bündnis im Bund ebenfalls ab. „Wir brauchen jetzt eine Bundesregierung, die grundlegend anders an die Sache herangeht“, erklärte Kretschmer gegenüber „t-online“. Ein neuer Weg sei mit den Grünen aber „nicht zu gehen“.
Nach Informationen von „t-online“ kommentierte Merz Habecks Pläne für eine Kanzlerkandidatur mit den Worten: „Die Selbsterklärung zum Kanzlerkandidaten bei neun Prozent Wählerzustimmung hat ja durchaus einen humorvollen Teil“.
Unionsprogramm: Soziales, Migration, Steuerreform, US-Handel
Am Donnerstag skizzierte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann bereits, was im Falle einer Merz-Regierung auf die Wähler zukommen könnte. In einem Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ, Bezahlschranke) kündigte Linnemann nach Angaben der „Welt“ eine Art Sofortprogramm an, das insbesondere zur Stabilisierung des Haushalts dienen soll.
An die Stelle des „Bürgergelds in der heutigen Form“ solle unter Kanzler Merz demnach eine „Neue Grundsicherung“ kommen, die nach dem Prinzip Fördern und Fordern funktionieren solle, so Linnemann laut „Welt“. Für Bezieher von Altersruhegeld sehe die Union eine „Aktivrente“ vor, nach der freiwillige Arbeit bis zu einem bestimmten Betrag von der Steuer befreit werden solle.
Für ukrainische Flüchtlinge solle es weniger Geld geben. Überhaupt werde die Union eine strengere Migrationspolitik fahren. An der Schuldenbremse solle nicht gerüttelt werden. Dafür solle es eine Steuerreform in vier Schritten geben, wie der „Focus“ unter Berufung auf „The Pioneer“ berichtete. Gegenüber der FAZ ließ Linnemann durchblicken, dass die Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten eine Anpassung vertragen könnten.
Habeck will Aufschwung über kreditfinanzierten „Deutschlandfonds“
Habecks Pläne liegen spätestens seit dem 23. Oktober 2024 auf dem Tisch. Damals präsentierte der Wirtschaftsminister ein Vorschlagspapier (PDF), in dem er unter anderem für die Aufnahme neuer Bundesschulden in dreistelliger Milliardenhöhe warb. Das Geld soll unter dem Schlagwort „Deutschlandfonds“ die Strompreise senken, Haushaltslöcher stopfen und mehr Investitionen staatlicher und privater Natur ermöglichen.
Beim damaligen Finanzminister und Schuldenbremseverfechter Christian Lindner (FDP) war Habecks Vorstoß auf Unverständnis gestoßen. Lindner konterte wenige Tage später mit einem eigenen „Wirtschaftswende“-Vorschlagsdokument (PDF). Es wurde zum Auslöser für eine Regierungskrise, die die Ampelkoalition am vergangenen Mittwochabend zerbrechen ließ.
Die übrigen Kanzler- und Spitzenkandidaten
Christian Lindner kündigte am 7. November an, bei der vorgezogenen Bundestagswahl als „Spitzenkandidat“ seiner Partei auftreten zu wollen, sofern seine Partei dies wünsche (Video). Am Fraktionsvorsitz habe er kein Interesse, wie Lindner in der „Bild“ bestätigte. Er beabsichtige vielmehr, seine Arbeit als Bundesfinanzminister fortzusetzen. Auf eine Zusammenarbeit mit der Union wollte er sich nicht festlegen. Er halte diese aber für möglich.
Für die SPD wird sich Olaf Scholz wenig überraschend erneut als Kanzlerkandidat aufstellen lassen. Das bestätigte Co-Parteichefin Saskia Esken noch einmal am Freitag im ARD-„Morgenmagazin“. Die Entscheidung sei schon in der Parteispitze getroffen worden.
Als Kanzlerkandidatin der AfD wird nach Stand der Dinge Co-Bundessprecherin Alice Weidel an den Start gehen. Die Partei sei vorbereitet, den „Zeitstrahl“ zu straffen und den Bundesparteitag mit einem offiziellen Kandidaturbeschluss, notfalls nach vorn zu ziehen, so Weidel während einer Pressekonferenz am Donnerstag (Video auf YouTube).
Für das BSW wird voraussichtlich Parteigründerin Sahra Wagenknecht als Spitzenkandidatin kandidieren. Der BSW-Europaabgeordnete Fabio De Masi hatte bereits im September als Wahlziel erklärt, „in Fraktionsstärke in den Bundestag einzuziehen und uns als feste Größe im Parteiensystem zu verankern“. Vonseiten der Linken ist noch kein Beschluss für eine Spitzenkandidatur bekannt.
Kanzler lenkt nicht ein – Stillstand droht
Mit Ausnahme der SPD und der Grünen verlangen sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien von Bundeskanzler Scholz, die Vertrauensfrage schon spätestens im Verlauf der kommenden Woche zu stellen, um den Weg für Neuwahlen im Bundestag schnellstmöglich freizumachen. Dann könnte in der zweiten Januarhälfte 2025 gewählt werden.
Der Kanzler will sich offenbar aber nicht darauf einlassen: Er bleibt bislang bei seiner Entscheidung, erst Mitte Januar die Vertrauensfrage zu stellen. Eine Bundestagsneuwahl wäre dann erst im März 2025 möglich.
Nach Darstellung von Merz will der Kanzler am kommenden Mittwoch eine Regierungserklärung abgeben. Das wäre aus Sicht von Merz ein guter Zeitpunkt für die Vertrauensfrage. Er selbst werde nicht mit der SPD oder den Grünen über mögliche gemeinsame Beschlüsse reden, solange der Regierungschef diesen Schritt nicht vollzogen habe, so Merz laut „t-online“:
Wir werden uns hier vom Bundeskanzler nicht vorführen lassen. Wir lassen uns auch nicht für das Versagen dieser Regierung in die Mitverantwortung nehmen.“
Bei einem Treffen am Donnerstag habe er sich „im Dissens“ von Scholz getrennt. Ein konstruktives Misstrauensvotum sei für ihn aber keine Option: „Ich sehe nicht, dass die Grünen sich bereit erklären könnten, einen solchen Weg zu gehen.“
vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.
Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.
Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.
Ihre Epoch Times - Redaktion