Gutachten zu Karlsruhe: „Quasi geheime Medienpolitik“ und Vorzugsbehandlung

Karlsruhe lässt Informationen zu Urteilen vorab exklusiv einer ausgewählten Gruppe von Journalisten zukommen. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht darin ein Problem.
Ein Richter des Bundesverfassungsgerichtes in Karlsruhe setzt sich sein Barett auf. Foto: Uli Deck/AFP via Getty Images
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.Foto: Uli Deck/dpa
Von 16. November 2022

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht die Praxis des Bundesverfassungsgerichtes kritisch, ausgewählte Journalisten vorab über Gerichtsentscheidungen zu informieren.

Dabei geht es um die Fragen: Darf Karlsruhe einer Gruppe von Journalisten, die dem privaten Verein „Justizpressekonferenz Karlsruhe e. V.“ angehören, einen Abend vor der Urteilsverkündung exklusiv Zugang zu Pressemitteilungen gewähren? Ist diese Praxis mit dem Gleichbehandlungsanspruch im publizistischen Wettbewerb vereinbar?

In einem Gutachten bezieht der nach eigenen Angaben parteipolitisch neutrale und sachlich objektiv ausgerichtete Dienst für Bundestagsabgeordnete dazu Stellung.

Journalisten werden exklusiv vorab informiert

Die Gerichtsverwaltung in Karlsruhe nutzt Pressemitteilungen, um die Medien über Gerichtsentscheidungen zu informieren. Dabei erfolgt die Veröffentlichung dieser Pressemitteilungen unter anderem an einen E-Mail-Verteiler mit ausgewählten Adressaten. Dann wird zeitversetzt ein E-Mail-Newsletter, den alle Interessierten abonnieren können, verschickt. Und es wird – ebenfalls zeitversetzt – öffentlich zugänglich auf dem Internetauftritt des BVerfGE über Gerichtsentscheidungen informiert.

Was nun jedoch im Mittelpunkt der Diskussion steht, ist eine andere, zusätzlich genutzte Praxis. Sie bezieht sich auf Pressemitteilungen in Verfahren, bei denen die Gerichtsentscheidung aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergeht.

Sie werden den Vollmitgliedern der Justizpressekonferenz auf Grundlage einer internen Karlsruher Richtlinie bereits einen Abend vor der eigentlichen Urteilsverkündung in Papierform mit Sperrfrist zur Verfügung gestellt.

Begründet wird diese Praxis durch Karlsruhe mit der Professionalität dieses Kreises an Journalisten in dem privaten Verein. Dadurch wäre eine zeitnahe und kompetente Information der Öffentlichkeit möglich. Das Verwaltungsgericht Karlsruhe beschreibt diese Praxis wie folgt:

„Die Pressemitteilungen zu Urteilen des Gerichts (nicht jedoch die Urteile selbst) würden am Vorabend der Verkündung den Vollmitgliedern in Papierform ‚mit entsprechender Sperrfrist‘ zur Verfügung gestellt. Letztere nutzten die enthaltenen Informationen ausschließlich zur Vorbereitung der Berichterstattung und gäben sie nicht weiter. Die Sperrfrist werde eingehalten. Diese Vorgehensweise stelle sicher, dass die Öffentlichkeit zeitnah und kompetent über die häufig äußerst umfangreichen und komplexen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts informiert werde. Grund für die Beschränkung auf Vollmitglieder sei die Professionalität dieses Kreises an Journalisten.“

Mitgliedschaft im Verein stellt Aktualitätsvorsprung dar

Von Kritikern dieser Praxis wird Karlsruhe nicht nur wegen möglicher Informationsdefizite für die Verfahrensbeteiligten problematisiert. Vor allem wird die Zugangsbeschränkung zu den Vorabinformationen kritisch gesehen. Sperrfristen könnten durch jedermann berücksichtigt werden.

Aktuell erhalten alle anderen Journalisten, die keinen Zugang zur Justizpressekonferenz haben, die entsprechenden Informationen erst mit der Urteilsverkündung, der regulären Versendung der Pressemitteilungen über den E-Mail-Verteiler oder der Veröffentlichung der Pressemitteilung beziehungsweise Entscheidung auf der Website des Verfassungsgerichtes.

„Folglich stellt die Mitgliedschaft im Verein der JPK ein gleichheitsrelevantes Differenzierungsmerkmal innerhalb der Vergleichsgruppe der Journalisten dar.“ Dies könnte man auch als Aktualitätsvorsprung werten, befindet der Wissenschaftliche Dienst.

Dieser Aktualitätsvorsprung stelle für die ausgeschlossenen Journalisten einen informationellen Nachteil dar, der auch von wirtschaftlicher Bedeutung wäre: „Journalistisch fundierte Beiträge von einigen Presseorganen können früher als von anderen Presseorganen an die interessierte Leserschaft verbreitet und vermarktet werden.“

Keine vollständige Klarheit in Rechtsprechung

Die Pressefreiheit schütze nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG nicht nur als Abwehrrecht den gesamten Vorgang der Berichterstattung vor staatlichen Eingriffen. Sondern er umfasst ebenfalls staatliche Schutzpflichten für die Presse, erklärt der Wissenschaftliche Dienst weiter.

Isoliert begründe diese staatliche Schutzpflicht zwar noch keinen eigenständigen Leistungsanspruch der Presseorgane gegenüber dem Staat. Wenn sich der Staat allerdings dazu entscheide, die Presse aktiv zu fördern, ergebe sich aus Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG eine inhaltliche Neutralitätspflicht des Staates.

Sie bestünde darin, „dass jede Einflussnahme auf Inhalt und Gestaltung einzelner Presseerzeugnisse sowie Verzerrungen des publizistischen Wettbewerbs insgesamt vermieden werden“, zitiert der Wissenschaftliche Dienst das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE).

Das Fazit der Autoren: Sowohl bei der Verankerung des Gleichbehandlungsanspruchs im publizistischen Wettbewerb innerhalb der Verfassung als auch hinsichtlich des Umfangs im Einzelnen herrsche keine vollständige Klarheit in der höchstgerichtlichen Rechtsprechung.

„Fest steht jedoch, dass sowohl nach dem Bundesverfassungsgericht als auch nach dem Bundesverwaltungsgericht der Anspruch auf Gleichbehandlung im publizistischen Wettbewerb verletzt ist, wenn Pressevertreter ungleich behandelt werden und dies nicht mit meinungsneutralen Kriterien gerechtfertigt ist.“

Entscheidung für benachteiligte Journalisten besonders schwerwiegend

„Die Entscheidung von Karlsruhe, Pressemitteilungen nur einem exklusiven Kreis an Journalisten zur Verfügung zu stellen, erscheint jedenfalls für die benachteiligten Journalisten besonders schwerwiegend. Zumal das Bundesverfassungsgericht bei der beabsichtigten Gewährleistung der Professionalität auf die Einschätzung eines privaten Vereins vertraut“, stellt der Wissenschaftliche Dienst fest.

Im Zusammenhang mit exklusiven Pressemitteilungen für die Landespressekonferenz hätte das Verfassungsgericht Stuttgart entschieden: „Dass einer Landespressekonferenz rechtlich kein besonderer Status und insbesondere kein Monopol der Erlangung von presseerheblichen Informationen zukomme.“

Journalistenverband: „Vorzugsbehandlung ist bedenklich“

Für Hendrik Zörner, den Pressesprecher des Deutscher Journalisten-Verband, ist die Sache klar. Gegenüber der Epoch Times erklärt er: „Die Vorzugsbehandlung einiger Journalisten durch das Bundesverfassungsgericht ist bedenklich. So entsteht eine Hierarchie unter den Berichterstattern, die mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz der Medien nicht vereinbar ist.“

Auch der medienpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Thomas Hacker, sieht eine Benachteiligung: Das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages lege den Finger in die richtige Wunde, so das Bundestagsmitglied zur Epoch Times.

Dass sich ein exklusiver, privatrechtlicher Journalistenverein vorab die exklusive Berichterstattung über Gerichtsentscheidungen sichere, führe zu einer wettbewerbsverzerrenden Ungleichbehandlung von Journalisten.

Der dadurch entstandene Informationsvorsprung sei uneinholbar und stehe dem publizistischen Wettbewerb diametral entgegen. „Alle interessierten Journalisten müssen die Möglichkeit haben, sich fairen Zugang zu Gerichtsentscheidungen zu verschaffen.“

„Quasi geheime Medienpolitik“

Für Stephan Brandner, stellvertretender Bundessprecher der AfD und Mitglied im Rechtsausschuss, ist die Praxis des Karlsruher Gerichtes höchst problematisch.

„Als AfD kritisieren wir dieses Vorgehen schon lange“, sagte er Epoch Times. Die Partei befände sich dazu bereits in einem Rechtsstreit. Die jahrzehntelange, quasi geheime, Medienpolitik sei für den Rechtsstaat – und dort das höchste Gericht – höchst problematisch und eigentlich unwürdig. Es diskriminiere nicht nur diejenigen Journalisten, die nicht Mitglied des elitären, privaten Vereins wären, so der studierte Rechtsanwalt.

Es diskriminiere auch die Prozessparteien. Denn sie könnten nicht spontan auf die längst im Vorhinein ausgearbeiteten Fragen der Journalisten so antworten wie jemand, der bereits Stunden vorher detaillierte Kenntnis von Entscheidungen hat.

„Wie der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages nun feststellt, legt Karlsruhe hier selbst die Axt an die Grundrechte an, hier die Pressefreiheit aus Artikel 5 Abs. 1 GG, die es eigentlich zu schützen hat.“



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