„Gut jeder Zehnte CDUler ist weiterhin ein Merkelianer“

Zum ersten Mal durfte auch das „CDU-Fußvolk" zur Klärung der Frage beitragen, wie es nun mit der Partei weitergehen soll, stellt Politologe Werner J. Patzelt fest. Gut 60 Prozent würden eine Kurskorrektur erhoffen.
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Foto: André Wirsig für die TU Dresden (Mit freundlicher Genehmigung von W. Patzelt)
Epoch Times24. Dezember 2021

Bei der Mitgliederbefragung über den CDU-Vorsitz hat Friedrich Merz die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang bekommen. Nach Angaben der Parteileitung bekam er 62,1 Prozent der Stimmen. Norbert Röttgen kam demnach auf 25,8 Prozent, Helge Braun auf 12,1 Prozent.

Rund zwei Drittel der CDU-Mitglieder hatten sich an der Abstimmung beteiligt, davon 53 Prozent online und 47 Prozent per Briefwahl. Nach Angaben von CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak lag Merz sowohl bei der Briefwahl als auch in der Online-Abstimmung „deutlich“ vorn, die Abweichungen seien nur „sehr geringfügig“ gewesen.

Formal ist die Mitgliederbefragung nur ein Wahlvorschlag, der neue CDU-Chef wird erst auf dem Parteitag am 21. und 22. Januar gewählt. Weil dieser Parteitag digital stattfindet, muss dessen Ergebnis erneut per Briefwahl bestätigt werden, das gilt aber als Formalie.

ET: Herr Patzelt, Friedrich Merz hat die Wahl zum neuen CDU-Vorsitzenden gewonnen, obwohl er die letzten beiden Wahlen innerhalb der letzten 3 Jahre nicht für sich entscheiden konnte. Hat sein Sieg etwas mit dem Weggang Merkels zu tun?

Werner J. Patzelt: Natürlich! Genau das um Angela Merkel gescharte Partei-Establishment hat es zweimal geschafft, Friedrich Merz als Parteivorsitzenden zu verhindern. Das geschah mit dem Argument, es gelte den erfolgreichen Merkel-Kurs fortzusetzen und eine „Achsenverschiebung“ der CDU weg von Angela Merkels Positionen zu verhindern.

Als die langjährige Vorsitzende und Kanzlerin nun nicht mehr zur Wahl stand und sich die CDU ohne sie als ziemlich unattraktiv erwies, durfte zum ersten Mal auch das CDU-Fußvolk zur Klärung der Frage beitragen: Soll es weitergehen in der Richtung Merkels – oder war wohl gerade Merkels Kurs am Abschmieren der CDU schuld?

Das Wahlergebnis zeigt: Gut jeder Zehnte CDUler ist weiterhin ein Merkelianer – und gut 60 Prozent erhoffen eine Kurskorrektur durch eines der Männeropfer Merkels. So zeigt sich: Mit Merkel hat auch ihre Prätorianergarde an Verhinderungsmacht eingebüßt.

ET: Welchen Stempel wird Merz der CDU aufdrücken? Wofür steht er?

Werner J. Patzelt: Das muss man abwarten. Wer so lange wie er von der Bundespolitik weg war, wird wohl ebenso anders geworden sein, wie das den politischen Umständen unseres Landes im letzten Jahrzehnt widerfahren ist. Bislang ist Merz vor allem eine Projektionsfläche für Hoffnungen und Befürchtungen. Aus seinen ersten Aussagen scheint sich aber schließen zu lassen, dass die Partei eher einen will, als deren Risse durch weitere innerparteiliche Trennstriche zu vergrößern. Obendrein hat es den Anschein, als werde er die Bundesregierung weniger dafür kritisieren, dass sie Merkels grün-sozialdemokratischen Kurs nicht entschlossen genug fortsetzt, sondern eher dafür, dass sie ihn dort nicht korrigiert, wo er Missstände eher vergrößert als abbaut.

ET: Welche Aufgaben kommen auf ihn zu? Sicherlich soll er die Partei wieder regierungsfähig machen. Wenn das nun Ihre Aufgabe wäre und nicht seine, wie würden Sie die Partei wieder auf Vordermann bringen?

Werner J. Patzelt: Seine Hauptaufgabe wäre es, in der CDU eine zunächst einmal ergebnisoffene, doch eben zielführende Diskussion darüber einzuleiten, wofür diese Partei wirklich stehen will. Das betrifft einesteils ihre konkreten Politikziele, zumal bei der Migrations-, Europa- und Energiepolitik. Hier wird sich die CDU nämlich mit einer entschlossenen Fortschreibung des von Angela Merkel auf den Weg Gebrachten durch die neue Bundesregierung auseinandersetzen müssen.

Eine überzeugende Auseinandersetzung damit wird die CDU aber nicht zustande bringen, wenn sie ihre Orientierung weiterhin eher beim medial Befürworteten und demoskopisch Vermessenen sucht als bei einer klaren Vorstellung davon, was die Partei wirklich will – und ob das Gewünschte auch gelingen kann.

Andernteils muss sich die CDU um eine inhaltliche Füllung jener Leerformeln bemühen, die sie großenteils selbst benutzt, die sie oft aber auch – da gleichsam frei verfügbar – nur angehängt bekommt. Zu diesen Leerformeln gehört zumal die Rede vom „christlichen Menschenbild“, vom „Konservatismus“, von der „Mitte“ und von „der Rechten“.

Erst wenn der CDU-Kompass diesbezüglich wieder auf klare Marschzahlen ausgerichtet ist, wird ihm zu folgen die Partei an erstrebte Ziele bringen, etwa zur Wiedererringung von Einfluss auf öffentliche Debatten und zu steigenden Wählerzahlen bringen.

Diesbezüglich habe ich auch sehr klare Vorstellungen, denn mir scheint, dass die CDU ihre Programmatik an genau drei Leitkonzepten ausrichten sollte: umfassende Nachhaltigkeit, also von der ökologischen und energetischen über die fiskalische und demografische bis hin zur kulturellen Nachhaltigkeit; gerechte Ordnung, was „Recht und Ordnung“ an den Leitwert der Gerechtigkeit bindet; und aufgeklärter Patriotismus.

Als Grundlage der Erreichung solcher Ziele muss die CDU für eine unsere Wirtschaft umfassend stärkende Politik stehen, und ihre politische Rolle muss sie auffassen als die einer gutwilligen, doch tatsachen- und vernunftgeleiteten Prüfinstanz aller zeitgeistigeren Vorstellungen. Letzteres wäre übrigens die von mir angeratene Definition von Konservatismus.

ET: Kann man jetzt schon abschätzen, wofür eine erneuerte CDU stehen wird, oder ist das noch zu früh gefragt? 

Werner J. Patzelt: Man weiß noch gar nicht, was das sich bildende Team um Friedrich Merz unter einer „erneuerten CDU“ verstehen will! Ob das sozusagen die Fortsetzung des bisherigen Unionskurses unter einem anderen Gesicht ist, oder ob eine Korrektur jener CDU-Positionen, denen einstige CDU-Wähler nun eher skeptisch oder ohnehin ablehnend gegenüberstehen, zumal bei der Migrations-, Europa- und Energiepolitik.

Ich vermute, dass auch Friedrich Merz diesbezüglich noch keine klaren Vorstellungen hat – zumal er ja nicht alleine handeln kann, sondern auch das Parteiestablishment auf seine Seite bekommen muss. Dieses aber hatte lange Zeit gerade keine klaren Vorstellungen davon, wofür diese Partei sinnvollerweise stehen könnte – wenn nicht für Angela Merkel und ihre jeweiligen Positionen. Tatsächlich ist die CDU immer dann ziemlich stark gewesen, wenn sie sich auf das Kanzleramt Hoffnungen machen oder dieses gar besetzen konnte. Solche Zeiten sind einstweilen aber vorbei.

ET: Kann man sagen, dass die CDU mit ihren konservativen Werten, die sie einst hatte, auf jeden Fall verschwinden wird?

Werner J. Patzelt: Mir scheint nicht, dass die CDU in den letzten Jahrzehnten so etwas wie „konservative“ Werte verfolgte. In der Partei gab es zwar vielerlei Gerede über „konservative“ Werte – zustimmend intoniert bei den einen, ablehnend bei den anderen. Doch alleine schon die Frage, was denn ein konservativer Wert sei, macht CDUler ziemlich verlegen. Was immer sie dann vorbringen, ist in der Regel ein Wert, den die Konservativen des 19. Jahrhunderts bekämpft haben – etwa: die Ausgestaltung eines Staates nach demokratischen Grundsätzen.

Wenn man die Werte, welche zu haben die CDU behauptet, wirklich der Reihe nach durchschaut, wird man leicht erkennen, dass sie allesamt einmal revolutionäre Werte waren – die sich inzwischen aber wider viele Erwartungen früherer Konservativer in der Praxis bewährt haben.

Sogar das Christentum ist ja eine revolutionäre Religion, deren Gründer von den Konservativen seiner Zeit zu Tode gebracht wurde. Man sieht: Die CDU sollte sich endlich einen reflektierten, wirklich tragfähigen Begriff von Konservatismus erarbeiten. Ob das eine Partei aber will, die Intellektuelles so sehr verachtet, wie das die meisten CDU-Anführer seit Langem tun?

ET: Eine Frage zur AfD. Alexander Gauland definierte den modernen Konservativen in seinem Buch „Anleitung zum Konservativsein“ als jemanden, der sich gegen zu schnelle, von außen übergestülpte Veränderungen wehrt, für die der Mensch noch gar nicht reif genug ist. Könnte man in diesem Sinne sagen, die AfD bleibt unter Umständen als einzig konservative Partei übrig?

Werner J. Patzelt: Tatsächlich kann man konservativ sein als den in die Praxis umgesetzten Versuch verstehen, Bewährtes festzuhalten und nicht jeder neuen Mode unbesehen zu folgen. Das meint: Konservative versuchen, den – immer wieder erforderlichen – Wandel so zu gestalten, dass Bewährtes bewahrt, doch neuen Herausforderungen angepasst wird.

Eine Folge von solcher Politik wäre, dass Leute, denen mancher Wandel zu schnell vonstattengeht, nicht die Notwendigkeit verspüren, jeder bislang einflussreichen Partei innerlich zu kündigen und diese dann äußerlich herabzusetzen oder zu bekämpfen. Eine gerade so verstandene „konservative“ Partei täte einem Land gut.

Ich bezweifle aber, dass ausgerechnet die AfD eine konservative Partei in diesem Sinn ist. Ihre öffentlichen Töne klingen eher nach Sprüchen, die ich aus der Studentenrevolution kenne: „Die Probleme des Systems sind unlösbar; das System ist das Problem!“, oder: „Macht kaputt, was euch kaputtmacht“ – bis hin zu „Deutschland ist auf dem Weg in eine Diktatur; doch Widerstand ist machbar, Herr Nachbar!“

Im Übrigen zeigt das Herumeiern der AfD bei Antworten auf die Frage, ob und wie weit es Impfungen gegen das Corona-Virus bräuchte, dass diese Partei selbst noch keinen Kompass besitzt, sondern auszuloten versucht, auf welche Weise sie möglichst breite Unterstützung gewinnen kann. Doch eine Partei ohne vernünftigen Kompass kann zu Konservierendes nun einmal nicht von zu Veränderndem unterscheiden.

ET: Und wie geht es nun mit der WerteUnion weiter?

Werner J. Patzelt: Wenn die CDU auf einen Kurs gelangt, der denen einleuchtet, welche der Union wieder an die 40 Prozent der Wählerstimmen bescheren, ist die Mission der WerteUnion erfüllt. Wenn die WerteUnion bei der Klärung und Erarbeitung eines entsprechenden Kurses mitarbeiten kann, werden sich ihre Mitglieder freuen.

Und wenn die neue CDU-Führung die WerteUnion nicht länger als „Krebsgeschwür“ bezeichnet und behandelt, sondern sie als gleichsam den Jesuitenorden der Partei nutzt, bekommt die Union für ihre Arbeit regelrecht ein Kraftpaket. Außerdem ist die WerteUnion ja nur eine von vielen seit einiger Zeit sich aufstellenden innerparteilichen Initiativen, die wieder eine jederzeit mehrheitsfähige Union aufbauen wollen.  

Das Interview führte Nancy McDonnell.



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