Grundlast in Gefahr? Brüssel hat Bedenken gegen neue deutsche Gaskraftwerke
Bundeskanzler Olaf Scholz verkündete beim Tag der Industrie vergangene Woche, dass für den Bau neuer Gaskraftwerke „nur noch die Genehmigung der EU-Kommission“ fehle. Diese Energiequelle ist bei der Energiewende künftig als Grundlastversorgung gedacht, wenn die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht.
Doch nach Informationen des „Handelsblatts“ aus Verhandlungskreisen scheint die Lage nicht so optimistisch zu sein, wie der Kanzler es schilderte. Die EU-Kommission hat große Bedenken gegenüber den Plänen des deutschen Wirtschaftsministeriums. Dieses will Anreize für den Bau von Gaskraftwerken mit einer installierten Leistung von insgesamt 25 Gigawatt (GW) schaffen, die möglichst bis 2030 gebaut sein sollen.
Die EU-Kommission scheint jedoch nicht gewillt zu sein, der Bundesregierung hierfür die nötige Genehmigung zu erteilen.
Branche verunsichert
Inzwischen ist die Branche verunsichert. Die Rufe nach Klarheit über die Bedingungen, zu denen sie neue Kraftwerke bauen soll, werden lauter. „Wir brauchen einen Investitionsrahmen, und zwar schnell“, forderte etwa Kerstin Andreae, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft.
Die derzeit in Deutschland installierten Gaskraftwerke haben laut „Electricity Maps“ eine maximale Leistung von 32,1 GW. Diese nehmen die Netzbetreiber je nach Verfügbarkeit anderer Energiequellen unterschiedlich stark in Anspruch.
Die Gaskraftwerke, die derzeit in Deutschland in Betrieb sind, haben meist eine Leistung von mehreren Hundert Megawatt (MW). So etwa die Kraftwerke Irsching 6 oder Marbach IV mit je 300 MW. Beide gingen im Oktober 2022 ans Netz. Um die geplanten 25 GW zu erreichen, bedürfe es rund 83 weiterer solcher Kraftwerke in dieser Größenordnung.
Faustformel „eins, zwei, drei“
An den Plänen der Bundesregierung will sich unter anderem das zum Verkauf stehende Energieunternehmen Steag beteiligen, wie „InSüdthüringen“ jüngst berichtete. Andreas Reichel, Vorsitzender der Geschäftsführung, erklärte jedoch, dass eine Entscheidung schnell kommen müsse. „Wenn wir 2030 Gaskraftwerke haben wollen, dann muss man Ende dieses Jahres die Voraussetzungen dafür geschaffen haben.“
Für die Realisierung solcher Anlagen gelte die Faustformel „eins, zwei, drei“: ein Jahr für die Planung, zwei Jahre für die Genehmigung und drei Jahre für den Bau.
Reichel sprach sich in diesem Zusammenhang für die Schaffung eines Kapazitätsmarkts aus, bei dem die Kraftwerksbetreiber Geld für die Bereithaltung von Stromerzeugungskapazität erhalten – auch wenn die Kraftwerke nicht laufen. „Wie macht man so was? Indem man beispielsweise über Auktionen ermittelt, wer zum günstigsten Preis in einem bestimmten Zeitfenster gesicherte Leistung garantieren kann.“
In Belgien werde dies beispielsweise für Zeiträume bis zu 15 Jahre gemacht. „Auf der Grundlage sind dort auch schon Gaskraftwerke gebaut worden.“ Reichel geht davon aus, dass kein Unternehmen in die für die Energiewende benötigten neuen Gaskraftwerke investieren wird, wenn nur der erzeugte Strom bezahlt würde.
Derzeit führt Berlin intensive Gespräche mit Brüssel, um eine Einigung zu finden. Es könnte um nicht weniger als die Gewährleistung der zukünftigen Grundlastversorgung Deutschlands gehen.
Gaskraftwerke mit Wasserstoff
Die Energiebranche und der Bund wollen langfristig verstärkt Wasserstoff als Energieträger in Gaskraftwerken einsetzen. Diese spielen als Backup-Kapazität eine zentrale Rolle. Als Übergangslösung soll hier der sogenannte „blaue“ Wasserstoff dienen, der aus Gas gewonnen wird. Langfristig soll laut „Energiemarie“ jedoch auf den Energieträger „grüner“ Wasserstoff gesetzt werden.
Der Unterschied zwischen „grünem“ und „blauem“ Wasserstoff liegt darin, dass bei blauem Wasserstoff CO₂ als Beiprodukt entsteht. Bei grünem Wasserstoff entsteht durch die Elektrolyse von Wasser lediglich Sauerstoff als Nebenprodukt, sodass grüner Wasserstoff vollkommen klimaneutral ist.
Teil dieser Umrüstung auf „grünen“ Wasserstoff soll die Investition in wasserstofftaugliche Gaskraftwerke sein, welche bis 2030 in Betrieb genommen und bis 2035 komplett mit Wasserstoff betrieben werden sollen. Laut Bundeswirtschaftsministerium soll dafür bis 2030 eine großflächige Versorgung mit „grünem“ Wasserstoff aus Norwegen sichergestellt werden. Bis dahin könnte das skandinavische Land rund 50 Terawattstunden „grünen“ Wasserstoff liefern, bis 2040 sogar 150 Terawattstunden.
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