Grünen-Parteitag: Keine Mehrheit für bundesweite Volksentscheide – Wahlalter auf 16 Jahre senken
Auf dem Bundesparteitag der Grünen haben Anträge für bundesweite Volksabstimmungen am Sonntag keine Mehrheit gefunden. Die Forderung wird somit nicht in das neue Grundsatzprogramm aufgenommen. Der Vorschlag des Bundesvorstands, statt bundesweiten Volksentscheiden Bürgerräte zu etablieren, setzte sich knapp mit 51,48 Prozent durch. Parteichef Robert Habeck hatte zuvor auf die Gefahr einer Stärkung des Populismus nach dem Motto verwiesen: „Die da oben sind sowieso alle Verräter, das Volk weiß es besser.“
„Volksentscheide werden polarisieren“, mahnte Habeck. „Sie werden nicht den Diskurs in der Gesellschaft befördern, sondern die Spaltung der Gesellschaft.“ Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jürgen Trittin sagte mit Blick auf die Bedrängung von Bundestagsabgeordneten durch Gäste der AfD, es gehe mehr denn je darum, die parlamentarische Demokratie zu stärken.
Das ins Grundsatzprogramm aufgenommene Modell der Bürgerräte sieht vor, dass bei ausgewählten Themen die Alltagsexpertise von Bürgern in die Gesetzgebung einfließt. Dafür sollen Bürger per Los ausgewählt werden.
Grüne wollen ins Kanzleramt
Die Grünen wollen ins Kanzleramt, das wurde beim Digitalparteitag deutlicher denn je. Zwar stand die Kanzlerkandidaten-Frage bei den dreitägigen Online-Beratungen nicht auf der Tagesordnung. Doch mit inhaltlichen Weichenstellungen untermauert die Partei ihren Machtanspruch.
„Erstmals kämpft eine dritte Partei ernsthaft um die Führung dieses Landes“, proklamiert ein selbstbewusster Parteichef Robert Habeck.
Nach Gesprächen mit Umweltaktivisten verkündet Parteichefin Annalena Baerbock, dass sich die Partei klarer als zuvor geplant zu einer strengen Begrenzung der Erderwärmung bekennt. Es sei notwendig, „auf den 1,5-Grad-Pfad zu kommen“, lautet der Kompromiss. Im ursprünglichen Entwurf für das Grundsatzprogramm war lediglich auf das Pariser Klimaabkommen verwiesen worden, demzufolge die Erderhitzung auf deutlich unter zwei Grad und „möglichst auf 1,5 Grad“ begrenzt werden soll.
Radikalere Klimaaktivisten werfen den Grünen seit längerem vor, sich nicht klar genug zum 1,5-Grad-Ziel zu bekennen. Auch beim anderen Streitthema Gentechnik gelingt beim Parteitag ein Kompromiss. Ihr Einsatz in der Landwirtschaft wird kritisch gesehen, Forschung dazu aber nicht mehr abgelehnt.
Ziel: Breitere Wählerschicht erreichen
Mit den Beschlüssen zur Erderwärmung und Gentechnik gelingt es der Parteiführung zwar, den radikaleren Umweltflügel einzubinden, der mit dem Kurs der Mitte hadert, den Baerbock und Habeck seit längerem fahren. Doch ob den beiden der dauerhafte Schulterschluss mit den jungen Umweltaktivisten gelingt, wird sich noch zeigen.
Denn etwa in Baden-Württemberg gibt es bereits eine eigene Klimaliste, die den Grünen bei der Landtagswahl in ihrem Stammland 2021 wichtige Prozentpunkte kosten könnte. Und in Hessen, wo mit dem Segen der schwarz-grünen Landesregierung Bäume des Dannenröder Forstes für die Autobahn 49 gerodet werden sollen, sitzen die Umweltaktivisten den Grünen ebenfalls im Nacken.
So stehen der Partei weitere Konflikte ins Haus – zumal die Grünen-Spitze auf dem Online-Parteitag keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass sie noch mehr Wähler aus bürgerlichen Schichten gewinnen will. Die Grünen seien eine Partei, die „für die ganze Gesellschaft arbeitet“, schreibt Habeck der Basis ins Stammbuch. „Raus aus den abgekapselten Gruppen, rein in eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit“, formuliert Habeck den Abschied vom Nischen-Dasein der Öko-Partei.
Selbst Fraktionschef Anton Hofreiter, der als Parteilinker wie kaum ein anderer den traditionellen Umwelt-Flügel der Grünen repräsentiert, nimmt auf dem Online-Parteitag breite Wählerschichten in den Blick: Die Partei wolle ihre Ziele „nicht mit der Brechstange oder Rechthaberei“ verfolgen, sondern „mit einer Politik für das Ganze“.
Ab 16 Jahren soll gewählt werden können
Für bundesweite Volksabstimmungen hatte unter anderem Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner geworben. Durch Volksabstimmungen würden in Deutschland nur progressive Anliegen durchgesetzt, sagte er auf dem digitalen Parteitag. „Lasst uns mutig sein“, forderte Kellner. Es sei wichtig, „dass Menschen nicht nur alle vier Jahre entscheiden können“. Der von ihm unterstützte Antrag erhielt 46,36 Prozent der Delegiertenstimmen.
Auch Anträge zur Absenkung des Wahlalters auf unter 16 Jahre setzten sich auf dem Parteitag nicht durch. Beschlossen wurde der Vorschlag des Bundesvorstands, das Wahlalter auf 16 Jahre zu senken.
Im entsprechenden Kapitel „Demokratie stärken“ des Grundsatzprogramms heißt es, die Demokratie habe ein erhebliches Repräsentationsdefizit, wenn Millionen Jugendliche und Kinder ausgeblendet würden, obwohl sie von Geburt an Staatsbürger seien. „Entsprechend sollte im nächsten Schritt ein bundesweites Wahlrecht ab 16 Jahren gelten und es sollten weitere Beteiligungsmöglichkeiten auf allen Ebenen ausgebaut werden.“
Die Schlussabstimmung über das gesamte neue Grundsatzprogramm findet am Sonntagnachmittag statt. (afp)
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