Grüne wählen neuen Vorstand: Weg von „Ideologieverdacht“ und elitärem Image

Auf der Bundesdelegiertenkonferenz in Wiesbaden wird Mitte November die neue grüne Führungsspitze gewählt. Sie soll Minister Habeck helfen, bei der Bundestagswahl wieder an frühere Wahlerfolge anzuknüpfen. Dafür will man weg vom Image einer Elitepartei.
Franziska Brantner und Felix Banaszak wollen Grünen-Vorsitzende werden.
Franziska Brantner und Felix Banaszak wollen Grünen-Vorsitzende werden.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 29. Oktober 2024

Vom 15. bis 17. November werden Bündnis 90/Die Grünen in Wiesbaden ihre Bundesdelegiertenkonferenz abhalten. In diesem Rahmen steht auch die Wahl eines neuen Vorstands auf dem Programm. Die Neubestellung ist nötig geworden, nachdem die bisherige Führungsspitze aus Ricarda Lang und Omid Nouripour nach den desaströsen Wahlergebnissen der vergangenen Monate ihren Rücktritt erklärt hatte.

Mittlerweile hat das designierte neue Sprecherduo aus Franziska Brantner und Felix Banaszak einen Gesamtvorschlag für den künftigen Bundesvorstand vorgelegt. Dieser soll helfen, Robert Habeck im Fall einer Kanzlerkandidatur zu unterstützen – sollte es zu einer solchen kommen.

Schatzmeister muss dem Geschlechterproporz weichen

In einigen Fällen soll es Rochaden geben, so berichtet das „Handelsblatt“, einige bisherige Vorstandsmitglieder wollen sich erneut um ein Amt bewerben. Die bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende und vielfaltspolitische Sprecherin Pegah Edalatian soll zur politischen Geschäftsführerin aufrücken.

Den bisherigen Posten der Deutsch-Iranerin soll Wirtschaftsstaatssekretär Sven Giegold bekleiden. Er hat dem Bericht zufolge selbst Interesse an dem Posten signalisiert, Minister Habeck selbst habe sich jedoch gegen diese Lösung ausgesprochen.

Heiko Knopf will erneut als Parteivize kandidieren, demgegenüber muss Schatzmeister Frederic Carpenter dem Geschlechterproporz weichen. Stattdessen soll er jedoch Stellvertreter von Wahlkampfleiter Andreas Audretsch werden. Als neue Bundesschatzmeisterin schlägt das designierte neue Führungsduo die bisherige Bundestagsabgeordnete Manuela Rottmann vor. Vier Positionen bleiben damit noch offen.

Mehr als 40 Prozent wollen Grüne auf keinen Fall wählen

Der neue Vorstand steht vor keiner leichten Aufgabe. Die Grünen, denen Umfragen vor drei Jahren bundesweit noch bis zu 29 Prozent der Wählerstimmen zugetraut hatten, müssen mittlerweile um den Verbleib in der Zweistelligkeit zittern. Ihr letzter Zugewinn bei überregionalen Wahlen datiert auf den 9. Oktober 2022. Damals hatte sich die Partei bei der Landtagswahl in Niedersachsen vom niedrigen Ausgangswert von 8,7 Prozent auf 14,5 Prozent verbessert. Umfragen hatten ihnen in den Monaten zuvor jedoch deutlich höhere Ergebnisse vorausgesagt.

Seit 2023 haben die Grünen bei allen Landtagswahlen zum Teil deutliche Verluste erlitten. Zuletzt flog die Partei in Thüringen und Brandenburg sogar aus den Landtagen. In Sachsen gelang ihr zwar ein knapper Wiedereinzug, zur Regierungsbildung wird sie jedoch nicht mehr gebraucht.

Mittlerweile sind die Grünen die zweitunbeliebteste Parlamentspartei des Landes. Der negativen Potenzialanalyse von INSA vom Oktober 2024 zufolge gaben zuletzt 41 Prozent der Befragten an, sie auf keinen Fall wählen zu wollen. Das ist ein höherer Wert als bei der Linkspartei, der 38 Prozent unter keinen Umständen ihre Stimme geben wollen. Nur die AfD stößt mit 59 Prozent bundesweit auf stärkere Ablehnung. In einigen ostdeutschen Bundesländern liegen die Grünen in der negativen Sonntagsfrage vor der AfD. Eine Nachwahlanalyse in Brandenburg zeigt deutlich, dass die Bevölkerung des Landes die Grünen nicht nur nicht gerne wählt, sondern die Partei ausdrücklich ablehnt, heißt es beim „Bayerischen Rundfunk“.

Brantner übte indirekte Kritik am Heizungsgesetz

Die designierte Bundessprecherin Franziska Brantner will die Partei wieder breiter aufstellen, vertraute sie Anfang des Monats dem „Spiegel“ an. Sie solle „auch für diejenigen wählbar werden, bei denen wir momentan noch unter Ideologieverdacht stehen“. Man wolle „die Wünsche der Vielen ernst nehmen“ und „nicht nur für eine kleine Nische Politik machen“.

Beim Klimaschutz habe die Partei in der Regierung „versäumt, breite Bündnisse zu schmieden und die Bürger mitzunehmen“. Die „leise Mehrheit der Verantwortlichen und Vernünftigen“ habe man „zu selten direkt angesprochen“. In ihrem Interview mit dem Magazin betonte sie zudem, sie sei „nicht das Sprachrohr von Robert Habeck“. Sie habe „nicht vor, sich zu verleugnen“.

Auf dem bayerischen Landesparteitag am dritten Oktoberwochenende in Würzburg übte die Noch-Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium an Habeck sogar indirekte Kritik. Man hätte mit Blick auf das Heizungsgesetz die soziale Komponente von vornherein beachten sollen. Es wäre besser gewesen, sich von Anfang an zu fragen, ob sich „alle das leisten“ könnten.

Banaszak will Grüne und arbeitende Normalbürger wieder näher zusammenbringen

Auch ihr designierter Co-Sprecher Felix Banaszak zeigt sich bemüht, dem Image der Grünen als einer elitären Oberschichtpartei gegenzusteuern. Helfen soll dabei offenbar, dass der 34-Jährige gebürtig aus Duisburg stammt.

In einem Interview mit dem „Tagesspiegel“ beteuert Banaszak, er wisse, „was Arbeit ist“. Zwar hatte er selbst nach Abitur, Zivildienst und seinem Studium der Sozial- und Kulturanthropologie und Politikwissenschaft unmittelbar im Parlament und in der Partei Karriere gemacht. Allerdings sei er der erste Akademiker in seiner Familie – nicht nur, weil er seinen Zivildienst in der Altenpflege absolviert habe:

„Die Banaszaks sind Krankenpflegerinnen, Industriearbeiter, Automechaniker – alles das, was diese Gesellschaft am Laufen hält.“

Wie Brantner lehnt auch Banaszak eine Trennung von Amt und Mandat ab, obwohl die grüne Partei dies als Teil ihres Selbstverständnisses betrachtet. Eine Partei, die nicht mit der Fraktion verbunden sei, „droht in die Bedeutungslosigkeit abzustürzen“, betont der Abgeordnete. Beide wollen deshalb ihre Bundestagsmandate behalten. Allerdings wird Brantner ihren Posten als Staatssekretärin räumen. Gleiches strebt auch Giegold im Fall einer Bestätigung an.



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