Grüne wählen Habeck zum „Kandidaten für die Menschen“ – und wollen weiterhin „Motor einer Regierung“ sein

Auf ihrem Parteitag in Wiesbaden haben die Grünen Robert Habeck erwartungsgemäß zum „Kandidaten für die Menschen“ gewählt. Derzeit geben Umfragen ihm zwischen zehn und 12 Prozent, deshalb scheut man den Begriff des „Kanzlerkandidaten“. Um auch für die Union bündnisfähig zu bleiben, verzichteten die Delegierten auf eine klare Positionierung zur Ablehnung einer Schuldenbremse.
Verneigung vor den grünen Delegierten.
Verneigung vor den grünen Delegierten: Robert Habeck.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 17. November 2024

Am Ende konnte Robert Habeck zumindest persönlich den Parteitag der Grünen hinter sich vereinigen. Mit 96,48 Prozent der abgegebenen Stimmen bestätigte dieser am Sonntag, 17.11., in Wiesbaden dessen Ambitionen, als „Kandidat für die Menschen“ in den vorgezogenen Bundestagswahlkampf zu gehen. Der Begriff des „Kanzlerkandidaten“ wird nicht explizit verwendet, da er vor dem Hintergrund der Umfragen als vermessen aufgefasst werden könnte.

Seine Vertraute Franziska Brantner hatte bei den Parteisprecher-Wahlen am Vortag bei einer Gegenkandidatin lediglich 78,2 Prozent auf sich vereinigen können. Das war ein deutlich schlechteres Ergebnis, als es ihr Co-Sprecher Felix Banaszak erzielte. Der Duisburger Abgeordnete Felix Banaszak, der als politisch links von Habeck eingeordnet wird, kam bei vier Gegenkandidaten auf 92,2 Prozent.

Habeck macht Große Koalition für den Rückstand Deutschlands verantwortlich

In seiner Rede anlässlich der Kür zum Kanzlerkandidaten schwor Habeck die Delegierten in seiner Rede auf einen kurzen, aber intensiven Wahlkampf ein. Er wolle in Deutschland „den Unterschied machen“ und warnte vor einer Großen Koalition. Der „russische Angriff auf die Ukraine“ habe bereits 2014 begonnen. Die Große Koalition habe dennoch eine Raffinerie an Rosneft verkauft und Nord Stream weiterverfolgt.

Der Minister erklärte zudem, der „rasante Ausbau der erneuerbaren Energien“ habe dazu beigetragen, die drohende Gasmangellage zu bewältigen. Die Große Koalition hätte durch den Anschluss an die Baltic Pipeline von vornherein günstiges Gas gewährleisten können. Die Grünen hätten sich umsonst darum bemüht.

Habeck machte die Große Koalition zudem für den Rückstand in den Bereichen der Digitalisierung verantwortlich. Es sei zudem erforderlich, mehr Frauen in den Arbeitsmarkt zu bringen, und es sei nötig, Einwanderer, die sich um Arbeit bemühten, nicht daran zu hindern:

„Wer hier etwas verdienen will, soll hier auch arbeiten können.“

Zudem bedürfe es eines „starken Europas“, dafür müsse man auch bereit sein, Souveränitätsrechte abzutreten. Auch die fiskalpolitischen Regeln müssten reformiert werden. Habeck warnte auch vor einem „allgegenwärtigen Populismus“, der Einigungen unmöglich mache und Menschen dazu bringe, sich zurückzuziehen.

CSU will Grüne nicht in der Regierung – CDU bleibt uneindeutig

Derzeit gibt keine Umfrage den Grünen bundesweit mehr als 12 Prozent. Das wäre ein Minus von fast drei Prozent gegenüber 2021. Dennoch strebt die Partei einen Verbleib in der Regierung an. Sollte die politische Stimmung im Land in den nächsten drei Monaten nicht wesentlich kippen, wäre dies nur in Form einer Koalition mit der Union unter Friedrich Merz möglich.

Nach derzeitigem Stand ist nicht einmal bei einem Bundestags-Aus von FDP und Linkspartei gesichert, dass es für Schwarz-Grün zu einer hauchdünnen Mehrheit reicht. CSU-Chef Markus Söder hatte zuletzt mehrfach betont, „nicht mit diesen Grünen“ in eine Regierung gehen zu wollen.

Zwar hat auch Brantner Merz ein „Dinosaurier-Denken“ mit Blick auf Frauen attestiert und dessen Appellen widersprochen, den „Gürtel enger zu schnallen“. Die Sprecherin der Grünen Jugend, Jette Nietzard, äußerte sogar, Merz äußere sich „immer wieder rassistisch“. Der Parteitag hat jedoch gleichzeitig deutlich gemacht, das man sich zumindest die Hintertüre zu einem Bündnis mit der Union offen halten will. Banaszak erklärte, die Grünen müssten so stark werden, dass ohne sie nicht regiert werden könne. Sie sollten dann weder „Korrektiv“ noch „Pressestelle“ einer Regierung sein, sondern deren „Motor“.

Grüne Jugend scheitert mit Antrag zur Abkehr von der Schuldenregel

Möglicherweise auch deshalb lehnte der Parteitag am Samstag mit deutlicher Mehrheit einen Vorstoß der Grünen Jugend ab, der die Forderung nach einer Abschaffung der Schuldenbremse beinhaltete. Zudem zielte der Antrag darauf ab, die Erbschaftssteuer zu „reformieren“ – sprich: deutlich zu erhöhen – und die Vermögenssteuer wieder einzuführen. Beides gilt für die Union zumindest auf Bundesebene als No-Go. Allerdings wollen die Grünen die Schuldenbremse „zum Wohle von Investitionen reformieren“.

Infolge einer Intervention der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Agnieszka Brugger wurde auch das Ansinnen der Grünen Jugend zurückgewiesen, die Rüstungsausgaben zu reduzieren und kein neues Sondervermögen für die Bundeswehr aufzulegen. Deutschland, so Brugger, müsse „wehrhaft“ sein, auch wenn das „bitter“ sei.

Zur Asyldebatte beschlossen die Delegierten einen Antrag, der zwar einige Punkte enthielt, die auf Widerstand vonseiten der Union stoßen könnten. Dennoch wurden einige Kanten und scharfe Formulierungen geschliffen, sodass der Parteispitze für allfällige Koalitionsverhandlungen noch Spielraum bliebe.

Debatte um Asylrecht soll „zurück zur Vernunft“ geführt werden

Man müsse, so hieß es in dem Antrag, der auch von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock unterstützt wurde, die Prinzipien von „Humanität und Ordnung“ verteidigen. Man müsse, so hieß es in dem Antrag, „ins ernsthafte Handeln kommen, um das Asylrecht zu retten“. Der Migrationsdiskurs sei „aus einer vernünftigen Bahn geraten“, er trage so zum Aufstieg der Rechtsextremen bei. Deshalb wolle man diesen „zurück zur Vernunft“ holen.

In dem Antrag wird unter anderem ein „Expertengremium“ gefordert, das klären solle, „was die Kommunen wirklich brauchen“. Außerdem solle die GEAS-Asylreform der EU umgesetzt werden. Die Grünen wollen zudem „Migrationspartnerschaften mit internationalen Partnern“ stärken. Die Türkei oder Tunesien sollen dabei jedoch „wegen menschenrechtlicher Bedenken“ nicht zu den potenziellen Partnern zählen.

Das Asylrecht insgesamt wolle man als große Errungenschaft und Ausdruck historischer Verantwortung verteidigen. Zudem sollen Arbeitsverbote für Asylbewerber nach dem Willen der Grünen fallen. Wer in Deutschland arbeite, eine Ausbildung mache oder studiere, und sich „nichts zu Schulden kommen“ lasse, solle auch eine Bleibeperspektive erhalten.

Jamaika als Option gestorben?

Eine weitere mögliche Regierungsoption für die Grünen bestünde noch in einem sogenannten Jamaika-Bündnis – vorausgesetzt, der FDP gelingt der Wiedereinzug in den Bundestag. Inwieweit dies für Habeck und seine Partei infrage käme, ist gerade nach den Erfahrungen der Ampel-Ära ungewiss.

Die parlamentarische Grünen-Geschäftsführerin Irene Mihalic hatte der FDP vorgeworfen, diese habe „nur getan, was vermeintlich ihr und Lindner nützt“. In Reaktion auf Enthüllungen über einen möglicherweise von langer Hand geplanten Koalitionsausstieg erklärte sie, die Führungsspitze habe das Land dadurch in den Abgrund gerissen: „Diese Truppe braucht wirklich niemand. Sie schaden unserem Land.“

Auch Fraktionschefin Katharina Dröge warnte vor einem weiteren Bündnis mit den Liberalen. Diese hätten Absprachen nicht eingehalten und seien in ihrem derzeitigen Zustand nicht regierungsfähig:

„Jeder künftige Koalitionspartner müsste sich dreimal überlegen, ob er mit dieser FDP koalieren möchte.“



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