Grüne holzen in Hessen ab: Märchenwald der Gebrüder Grimm wegen Windkraft bedroht

"Bedeutende Erholungsgebiete und Wälder in Hessen kommen für die Windenergienutzung nicht infrage." (Tarek Al-Wazire, Grüne, 2015)
Titelbild
Alte Bäume im Reinhardswald in Hessen (Symbolbild).Foto: istockphoto/Norbert Golluch
Von 26. Oktober 2018

„Es ist ein märchenhafter Wald voller knorriger, jahrhundertealter Baumriesen, seltener Tiere und sagenhafter Burgen.“ So beginnt ein Beitrag von Güven Purtul in der „Welt“ über die hungrige Windkraftindustrie, Sendbote der grün-roten Energiewende, die nun auch nach Hessens ältestem Naturschutzgebiet, dem Urwald Sababurg im Reinhardswald greift, einem „uralten deutschen Natur- und Kulturschatz“, der Heimat von Grimms Märchen.

Noch erinnern sich manche an die Worte, die Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazire (Grüne) einst 2015 beruhigend aussprach:

Bedeutende Erholungsgebiete und Wälder in Hessen kommen für die Windenergienutzung nicht infrage.“

(Tarek Al-Wazire, Wirtschaftsminister in Hesen, Grüne)

Doch das Regierungspräsidium in Kassel gibt nun sieben Gebiete in den Höhenlagen des Reinhardswaldes für je bis zu 20 Windkraftanlagen frei. Auf Anfrage beteuerte man noch, dass geschützte „Buchenwälder im Hangbereich zur Weser“ und „die Flächen des Eichen-Urwaldes“ von der Windenergienutzung ausgeschlossen seien. Es beträfe auch nur Fichtenschonungen.

Die Rotoren des Todes

Doch nicht nur die Bäume sind in Gefahr. In den alten Buchenwäldern des Reinhardswaldes leben streng geschützte Fledermäuse in einem Refugium. Sie benötigen die sehr alten Bäume mit reichlich Totholzanteil als Heimat.

Auch wenn man es noch nicht wagt, sich direkt an diesen Teilen des Waldes zu vergreifen, grenzen die betroffenen Gebiete doch direkt an die Fauna-Flora-Habitate der Fledermäuse – eine tödliche Gefahr für diese: Ihre Lungen zerplatzen durch den Unterdruck hinter den Rotoren. Für Greifvögel ist die Gefahr eine andere: Allzuleicht werden sie von den Rotorblättern erschlagen.

Nach Schätzungen von Experten sterben bundesweit jährlich Hunderttausende Fledermäuse und Tausende Greifvögel im Bereich der Rotoren. „Vogelschlag am Windrad ist die Haupttodesursache für den Rotmilan“, weiß Torsten Langgemach von der Staatlichen Vogelschutzwarte Brandenburg.

Grüne Realitäten

Nur wenige Kilometer südlich vom Reinhardswald, nahe der Landesgrenze, liegt der Kaufunger Wald mit seinen 18 Windkraftanlagen. Diese stehen mitten in einem Fauna-Flora-Habitat, teilweise auch im Trinkwasserschutzgebiet. Auch die Kraniche haben hier ein Zuggebiet.

Doch mächtig ragen die Türme der Anlagen mit ihren Rotoren mehr als 200 Meter in den Himmel, auf einem klobigen Fundament aus 1.000 Kubikmetern Beton thronend, das bis zu 30 Meter in die Erde reichen kann, um die 3.500 Tonnen Stahlbeton und später alles auch ein echtes Entsorgungsproblem.

Wie der Autor berichtet, brauche man für die Errichtung solcher Anlagen gigantische Kräne, für deren Platzbedarf erst einmal ein Hektar Wald gerodet werden müsse. Hinzu kämen breite Schneisen für Schwertransporte. Auf die wenigen verbliebenen Bäume zwischen den Anlagen haben die Stürme freien Zugriff. Dem Schutz der Gemeinschaft entrissen und umgeknickt stehen sie mahnend zwischen den Türmen.

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Eine windige Lobby

Doch die Industrie will davon nichts wissen. Die hessische ABO-Wind wird die Baugenehmigung für den Reinhardswald beantragen. Sie sieht „keine belastbaren Belege“ für einen negativen Einfluss auf den Bestand des Rotmilan. Der Nachweis ist schwer, denn die für eine Baugenehmigung vorgelegten Gutachten würden von der Industrie beauftragt und bezahlt: „Da gibt es kaum einen, der nicht das schreibt, was dem Auftraggeber genehm wäre“, bedauert Jochen Tamm, von der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie und Naturschutz. Der Biologe habe zahlreiche solcher Gutachten gesehen. Die meisten seien „Gefälligkeitsgutachten“.

Doch laut dem Regierungspräsidium würden diese Gutachten „einer intensiven Prüfung durch die jeweils zuständigen Fachbehörden unterzogen“, hieß es.

Interessant: Das Land Rheinland-Pfalz war unter Eveline Lemke (Grüne), Stellvertretende Ministerpräsidentin und Ministerin für Wirtschaft, Energie, Landesplanung und Klimaschutz, einer der Vorreiter für die Wind-Energie. Nach dem mageren 5,3-Prozent-Wahlergebnis der Grünen in der Landtagswahl 2016 war auch die Ära Lemke beendet. Bereits 2017 saß sie dann im Aufsichtsrat – bei der ABO Wind AG.

Heuchlerische Worte

Hessens Grünen-Umweltministerin Priska Hinz baut Drohkulissen zukünftiger Ereignisse auf: „Wir werden die Wälder nicht erhalten, wenn wir nicht auf erneuerbare Energie und damit auf Klimaschutz setzen“, versucht sie zu überzeugen und verweist darauf, dass die Wälder sonst in 30 Jahren nicht mehr so sein würden, „wie wir sie kennen, und in 50, 100 Jahren erst recht nicht mehr“.

Beschwichtigend erklärte Hinz: „Wir haben im Reinhardswald ja nicht die ganze Fläche verplant, sondern einen kleinen Teil.“ Das hätte ja „nichts mit großflächiger Abholzung zu tun“.

Doch Gabriele Niehaus-Uebel von der Bürgerinitiative Oberweser-Bramwald sieht andere Gründe hinter dem grünen Vorwärtsdrängen:

Es ist das verkrampfte Erzwingenwollen der Windkraft in Hessen, komme, was wolle. Da spielt Naturschutz keine Rolle mehr. Und das von einer grünen Umweltministerin. Das ist schon erstaunlich.“

(Gabriele Niehaus-Uebel, Bürgerinitiative Oberweser-Bramwald)

Der Reinhardswald sei eines der letzten, weitgehend unerschlossenen Waldgebiete, mahnt sie: „Wir haben davon nicht mehr viele.“

Auch der Biologe Jochen Tamm erinnert sich noch an Tarek Al-Wazires „Versprechen“. Ernüchternd sagt der Naturschützer:  „Einen krasseren Gegensatz zwischen Wort und Tat kann es gar nicht geben.“



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