Großer Autor und streitbarer Geist: Günter Grass ist tot
„Ein wahrer Gigant“, schrieb der Schriftsteller Salman Rushdie. „Günter Grass war ein Weltliterat. Sein literarisches Vermächtnis wird neben dem von Goethe stehen“, sagte Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU). Grass erlag in einem Krankenhaus den Folgen einer schweren Infektion, wie sein Sekretariat in Lübeck mitteilte. Er starb im Kreise seiner Familie.
„Er war das 20. Jahrhundert, mindestens nach Thomas Mann“, erklärte Juror Per Wastberg von der Schwedischen Akademie. Sie hatte Grass 1999 für die „Blechtrommel“ den Nobelpreis zuerkannt. Das Nobelpreis-Komitee hatte das Werk als die „Wiedergeburt des deutschen Romans im 20. Jahrhundert“ gelobt: „„Die Blechtrommel“ ist ein Meilenstein in der europäischen Literatur.“ Seit 1960 sei Grass „mit seiner großartigen Vorstellungskraft der dominierende europäische Autor“ gewesen. In der „Blechtrommel“ erzählte Grass von den Erlebnissen des aus Danzig stammenden Zwerges Oskar Matzerath, der sich mit drei Jahren weigert, weiter zu wachsen.
Noch am 28. März hatte Grass im Hamburger Thalia Theater die Uraufführung der „Blechtrommel“ miterlebt und die Premierenfeier mit seinen erwachsenen Kindern besucht. Sein letztes literarisches Werk mit dem Titel „Vonne Endlichkait“ wird der Steidl Verlag im Sommer herausbringen. Grass habe bis wenige Tage vor seinem Tod an dem Buch gearbeitet, sagte sein Verleger Gerhard Steidl in Göttingen.
Über den Ort und den Tag der Beisetzung gab es zunächst keine Informationen. Die Stadt Lübeck bereitet eine Trauerfeier vor.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärte: „Mit dem Tod von Günter Grass verliert die Bundesrepublik Deutschland einen Künstler, von dem ich mit tiefem Respekt Abschied nehme.“ Bundespräsident Joachim Gauck Gauck nannte Grass einen großen Autor und streitbaren politischen Geist: „In seinen Romanen, Erzählungen und in seiner Lyrik finden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen.“
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel nannte Grass einen Wegbegleiter, engen Freund und Ratgeber der deutschen Sozialdemokratie. „Mit ihm verlieren wir einen der bedeutendsten Schriftsteller der deutschen Nachkriegsgeschichte und einen engagierten Autor und Kämpfer für Demokratie und Frieden.“ Auch Bundestagpräsident Norbert Lammert sowie die Grünen und die Linke würdigten den Jahrhundertautor, der aus Danzig stammte. Die literarische Bedeutung betonten neben vielen anderen auch die beiden Literaturnobelpreisträger Elfriede Jelinek und Imre Kertész.
Grass hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg früh für die Aussöhnung mit Polen eingesetzt und Anfang der 1970er Jahre die Ostpolitik des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt (SPD) unterstützt. Die Todesnachricht löste auch in Danzig Betroffenheit aus. Bürgermeister Pawel Adamowicz sagte: „Er war unser Landsmann.“ Grass war Ehrenbürger seiner Geburtsstadt.
Kritische Nachrufe gab es dagegen in Israel. Grass hatte die Politik der Regierung und die atomare Bewaffnung des Landes kritisiert, so 2012 in dem Gedicht „Was gesagt werden muss“. Der Verband hebräischsprachiger Schriftsteller hielt Grass eine politische „Delegitimierungskampagne“ gegen Israel vor: „Bis zu seinem Tod hat Günter Grass keine Reue über seine harten anti-israelischen Äußerungen gezeigt.“
Grass war gleich mit seinem ersten Roman, der 1959 erschienenen „Blechtrommel“, der literarische Durchbruch gelungen. Das Erscheinen des Bildungs- und Schelmenromans rief in der Bundesrepublik manche Sittenwächter auf den Plan, die sich an den teils deftigen erotischen Szenen störten. Seit den „Buddenbrooks“ von Thomas Mann habe kein Erstling einen derartigen Aufruhr verursacht, befand später das Nobelpreiskomitee. Volker Schlöndorffs Verfilmung gewann die Goldene Palme von Cannes und den Oscar für den besten ausländischen Film (1980).
Für den Intendanten des Hamburger Thalia Theaters, Joachim Lux, ist der Tod von Grass, nur wenige Monate nach dem von Siegfried Lenz („Deutschstunde“), ein tiefer Einschnitt. „Mit dem Tod von Siegfried Lenz und Günter Grass innerhalb kurzer Zeit geht eine ganze Epoche endgültig zu Ende – literarisch und auch politisch“, sagte Lux.
Der seit mehr als 25 Jahre in Behlendorf bei Lübeck lebende Grass hatte nach dem Krieg eine Steinmetzlehre gemacht und Kunst in Düsseldorf und Berlin studiert; er war Bildhauer und Grafiker. Er zeichnete auch und schrieb sogar von dem Kritiker Marcel Reich-Ranicki hochgelobte Gedichte. „Die Blechtrommel“ bildet zusammen mit der Novelle „Katz und Maus“ (1961) und dem Roman „Hundejahre“ (1963) die Danziger Trilogie. Zudem hat Grass eine Trilogie der Erinnerung geschrieben mit den autobiografischen Bänden „Beim Häuten der Zwiebel“ (2006), „Die Box“ (2008) und „Grimms Wörter“ (2010).
Weitere wichtige Werke sind die Novelle „Aus dem Tagebuch einer Schnecke“, die Romane „Der Butt“ (1977) und „Die Rättin“ (1986), das skandalumrankte Buch „Ein weites Feld“ (1995) sowie die Novelle „Im Krebsgang“ (2002) über das Leid der Deutschen im selbstverschuldeten Zweiten Weltkrieg am Beispiel des Untergangs des Schiffes „Wilhelm Gustloff“ 1945 mit mehr als 10 000 Menschen an Bord – herbeigeführt durch ein U-Boot der russischen Marine.
Mit der Autobiografie „Beim Häuten der Zwiebel“ sorgte Grass 2006 für manchen Aufschrei. Grass wurde vorgeworfen, seine kurze SS-Zugehörigkeit jahrzehntelang verschwiegen zu haben, während er andere immer wieder wegen ihrer NS-Vergangenheit öffentlich kritisiert habe. Manch einer sprach ihm die moralische Integrität ab.
Die deutsche Wiedervereinigung 1990 hielt Grass für übereilt, auch plädierte er erfolglos für eine neue gemeinsame deutsche Verfassung. Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, sagte: „Wenn er die Demokratie in Gefahr sah, ging er keiner notwendigen Auseinandersetzung aus dem Wege.“
Das Gesamtwerk des Literaturnobelpreisträgers ist im Göttinger Steidl Verlag erschienen. Die Berliner Akademie der Künste, der Grass angehörte und deren Präsident er von 1983 bis 1986 war, betreut das literarische Grass-Archiv bis einschließlich „Ein weites Feld“ (1995), die danach entstandenen Werkmanuskripte werden im Grass-Haus in Lübeck betreut.
(dpa)
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