Osteuropäer im Berliner Tiergarten: In wilden Camps hausen Menschen in vermüllten Ecken
Wenige hundert Meter Luftlinie vom Regierungsviertel entfernt stoßen Besucher des Berliner Tiergartens auf unerwartetes Elend: In wilden Camps hausen Menschen in vermüllten Ecken – ein Zustand, den Bezirk und Senat nicht länger hinnehmen wollen. Eine Räumung der Lager ist im Gespräch, lässt aber auf sich warten. Da die meisten der Tiergarten-Bewohner Osteuropäer sind, können sie weder ordentlich untergebracht noch ausgewiesen werden.
Ein eigentlich ausreisepflichtiger, vorbestrafter Tschetschene überfiel Mitte September eine Passantin und tötete sie. So rückten die Zustände im Tiergarten in den öffentlichen Fokus, darunter auch die Bewohner der verwahrlosten Zeltlager. „Das Problem ist nicht neu“, sagt Ortrud Wohlwend von der Berliner Stadtmission. Sie schätzt allein den Anteil der Polen in den Notübernachtungsplätzen auf rund die Hälfte.
Zahl der Obdachlosen steigt konstant
Menschen aus Osteuropa tragen wesentlich dazu bei, dass die Zahl der Obdachlosen in Berlin auf 3000 bis 6000 hochschnellte. So lauten die Schätzungen von Hilfsorganisationen wie Caritas und Bahnhofsmission. Seit im Frühjahr 2011 die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt, steigen die Zahlen osteuropäischer Obdachloser in Berlin konstant.
Viele Osteuropäer suchen in Deutschland Arbeit, von denen sich dann einige auf der Straße wiederfinden. Das gilt vor allem für Schlechtqualifizierte und Alkoholkranke, die schon in der Heimat Schwierigkeiten hatten. „Die stranden einfach hier“, sagt Karin Rietz, Pressereferentin von Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).
Auch Rietz räumt ein, dass die Zahl der Obdachlosen in Berlin nicht zuletzt wegen der Osteuropäer „deutlich“ stieg. Das Problem: Anders als den 31.000 wohnungslosen Deutschen und anerkannten Flüchtlingen, die Berlin derzeit anderweitig unterbringt, stehen EU-Ausländern nach Bundesgesetzen keine Hilfen zu.
„Polen und die anderen EU-Herkunftsländer müssten Mittel zur Verfügung stellen und Sozialarbeiter schicken“, fordert deshalb Wohlwend. Gespräche mit den osteuropäischen Botschaften über Hilfen seien bisher aber stets ergebnislos geblieben, sagt Senatssprecherin Rietz.
Kriminalität und Aggression in Notunterkünften
Politiker aus Bund, Land und Bezirken halten Wegsehen nicht für eine Option – und fordern mit Blick auf begrenzte Etats einander zum Handeln auf. Derweil verschärft sich am untersten Rand der Berliner Stadtgesellschaft der Überlebenskampf. Mit den osteuropäischen Obdachlosen hielt eine neue Härte Einzug, weil nicht wenige seit vielen Jahren schwerst alkoholabhängig sind und oft auch im Gefängnis saßen.
„Viele Obdachlose meiden die Notunterkünfte, weil sie Kriminalität und Aggression fürchten“, berichtet ein Sozialarbeiter, der anonym bleiben will. Seine Einrichtung hat für ihre Notübernachtungsplätze inoffiziell eine „Osteuropäerquote“ eingeführt. „Ich weiß, dass andere Einrichtungen und sogar Krankenhäuser das auch so handhaben“, sagt der Sozialarbeiter.
Stadtmission mit polnisch- und russischsprachigen Wachmännern
Am Eingang zur Notübernachtung der Stadtmission nahe dem Hauptbahnhof ordnen inzwischen polnisch- und russischsprachige Wachmänner das Gedränge, um Schwächere zu schützen. Die Gewaltbereitschaft habe nur bedingt etwas mit der Nationalität zu tun, sagt Wohlwend. Allerdings: „Wenn Sie ganze Flaschen Hochprozentiges trinken, macht das natürlich was mit Ihrem Kopf.“
Die Betroffenen müssten dringend herunter von der Straße, bräuchten erst einen Entzug und dann eine Perspektive im Leben. Als EU-Bürger haben die Obdachlosen eigentlich ein Anrecht auf ärztliche Behandlung und nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland sogar auf Arbeitslosengeld II. Dem entgegen stehen Sprachbarrieren, fehlende Dokumente und schlicht fehlendes Wissen.
Werden die Camps im Tiergarten tatsächlich aufgelöst, werden sich die Menschen voraussichtlich anderswo in Berlin ansiedeln. Eine Rückkehr in die Heimat kommt für die wenigsten in Frage. In Berlin ist das Überleben leichter, wenn auch ohne Aussicht auf Besserung. Für die Sozialarbeiter, die sich täglich um die Menschen kümmern, ist das frustrierend. Wohlwend sagt: „Wir können das Leid nur lindern.“ (afp)
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