Gräueltaten in Butscha lösen in Deutschland Entsetzen aus – Scholz verlangt Aufklärung
Die Bundesregierung tritt nach den Gräueltaten in einem Vorort der ukrainischen Hauptstadt Kiew für noch härtere Sanktionen gegen Russland ein. Kanzler Olaf Scholz (SPD) verlangte am Sonntag in Berlin: „Diese Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären.“
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sprach sich dafür aus, Kriegsverbrecher vor den Internationalen Strafgerichtshof zu bringen. In Butscha – einer wochenlang umkämpften Vorstadt im Nordwesten von Kiew – waren zuvor zahlreiche Leichen entdeckt worden. Etwa 280 Menschen wurden in einem Massengrab beigesetzt.
„Ich verlange, dass internationale Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Zugang erhalten zu diesen Gebieten, um die Gräueltaten unabhängig zu dokumentieren“, erklärte Scholz, ohne explizit von Kriegsverbrechen zu sprechen. Täter und Auftraggeber müssten zur Rechenschaft gezogen werden. Der Kanzler forderte Russland zum wiederholten Mal auf, in einen Waffenstillstand einzuwilligen und die Kämpfe einzustellen. Der Krieg dauert schon mehr als fünf Wochen.
Baerbock macht Putin verantwortlich
Baerbock bezeichnete die Bilder aus Butscha als „unerträglich“. Auf Twitter machte sie den russischen Präsidenten Wladimir Putin persönlich verantwortlich: „Putins hemmungslose Gewalt löscht unschuldige Familien aus und kennt keine Grenzen.“ Die Grünen-Politikerin fügte hinzu: „Die Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“ Die Ukraine brauche zu ihrer Verteidigung noch mehr Unterstützung. Ins Detail ging Baerbock nicht.
Auch Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verlangte härtere Sanktionen gegen Russland. „Dieses furchtbare Kriegsverbrechen kann nicht unbeantwortet bleiben“, sagte der Vizekanzler der „Bild“-Zeitung. Eine Verschärfung der Sanktionen werde innerhalb der EU vorbereitet. Die Europäer haben seit Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar bereits umfangreiche Strafen verhängt. Finanzminister Christian Lindner (FDP) sprach auf Twitter ebenfalls von unerträglichen Bildern, die einen „verbrecherischen Charakter des Krieges gegen die Ukraine“ belegten.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte in Berlin: „Die von Russland verübten Kriegsverbrechen sind vor den Augen der Welt sichtbar.“ Zugleich versicherte er Deutschlands Solidarität. Zuvor hatte ihm der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, eine höchst bedenkliche politische Nähe zu Russland vorgeworfen: „Für Steinmeier war und bleibt das Verhältnis zu Russland etwas Fundamentales, ja Heiliges, egal was geschieht“, sagte Melnyk dem „Tagesspiegel“.
Grausame Bilder nach russischem Rückzug
Die russische Armee hatte sich zuletzt in der Region um Kiew zurückgezogen. In Butscha wurden danach laut Angaben der ukrainischen Behörden fast 300 Leichen gefunden. Reporter der Nachrichtenagentur AFP berichteten, dass zahlreiche Toten zivile Kleidung getragen hätten. Sie sahen auf einer einzigen Straße in Butscha mindestens 20 Leichen liegen. Mindestens einem der Toten waren die Hände gefesselt.
Viele von ihnen seien von russischen Soldaten erschossen worden, twitterte der ukrainische Präsidentenberater Mychajlo Podoljak. „Sie waren nicht beim Militär, sie hatten keine Waffen, sie stellten keine Bedrohung dar“, schrieb er. „Wie viele derartige Fälle ereignen sich gerade in den besetzten Gebieten?“
Auf einem Foto, das Podoljak in seinem Tweet teilte, waren erschossene Männer zu sehen, bei einem von ihnen waren die Hände auf dem Rücken gefesselt. Die Echtheit des Bildes konnte nicht unabhängig geprüft werden. Auch weitere Berichte ukrainischer Medien über vermeintliche Gräueltaten russischer Soldaten konnten nicht unabhängig überprüft oder bestätigt waren. Unter ein anderes Bild kommentierte Podoljak: „Die Hölle des 21. Jahrhunderts.“
Die Entdeckungen lösten auch international Entsetzen aus. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach am Sonntag von Horrorszenen nach dem Abzug der russischen Truppen aus der Umgebung von Kiew. Auf Twitter verlangte sie eine unabhängige Untersuchung. Zugleich versicherte sie: „Kriegsverbrecher werden zur Verantwortung gezogen.“
Der britische Sender BBC berichtete in einem Film aus Butscha, dass Bewohner von jungen russischen Wehrpflichtigen auf der Flucht um Hilfe angefleht worden seien. „Dies ist ein Friedhof der russischen Hoffnungen, Kiew einzunehmen“, sagte ein BBC-Reporter zu Aufnahmen verkohlter Panzer und anderer Militärfahrzeuge. Er ließ eine Bewohnerin namens Maria zu Wort kommen: „Zum ersten Mal seit 38 Tagen haben wir wieder Brot.“
Klitschko: Völkermord in Butscha
Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sagte der „Bild“-Zeitung: „Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen.“ Für die Kriegsverbrechen sei der russische Präsident Wladimir Putin persönlich verantwortlich.
Klitschko forderte: „Für die ganze Welt und insbesondere Deutschland kann es nur eine Konsequenz geben: Kein Cent darf mehr nach Russland gehen, das ist blutiges Geld, mit dem Menschen abgeschlachtet werden.“ Ein Embargo auf russisches Gas und Öl müsse sofort kommen. Das russische Verteidigungsministerium in Moskau nahm zu den Vorwürfen zunächst nicht Stellung.
EU-Ratspräsident Charles Michel hat Russland für Gräueltaten in der Umgebung von Kiew verantwortlich gemacht. Der belgische Politiker warf den russischen Truppen bei Twitter vor, in der Vorortgemeinde Butscha ein Massaker angerichtet zu haben. Die EU werde beim Sammeln von Beweisen helfen, um die Verantwortlichen vor internationale Gerichte stellen zu können. Zugleich kündigte er weitere EU-Sanktionen gegen Russland und Unterstützung für die Ukraine an. (dpa/afp/red)
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