„Gipfelinflation“: Ampel streitet über richtige Wirtschaftspolitik

Arbeiten die Ampelparteien noch mit- oder doch gegeneinander? Selbst mit Gipfelgesprächen macht man sich in der kommenden Woche Konkurrenz. Hier Stimmen der Beteiligten.
In der Ampel hakt es immer wieder. Finanzminister Lindner kritisiert nun das Auftreten der Koalition in der Wirtschaftspolitik - und geht Kanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck direkt an. (Archivbild)
In der Ampel hakt es immer wieder. Finanzminister Lindner kritisiert nun das Auftreten der Koalition in der Wirtschaftspolitik - und geht Kanzler Olaf Scholz und Vizekanzler Robert Habeck direkt an. (Archivbild)Foto: Michael Kappeler/dpa
Epoch Times25. Oktober 2024

Deutschlands Wirtschaft steckt in der Krise – und der Weg daraus wird zunehmend zu einem Streitthema der Ampelkoalition. Gerungen wird vor allem um die richtigen Maßnahmen, die die lahmende Wirtschaft wieder ankurbeln könnten.

Einen Einblick in die angespannte koalitionsinterne Atmosphäre geben aber auch zwei Veranstaltungen am kommenden Dienstag. Nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zu einem Industriegipfel geladen hatte, organisierte die FDP ein „wirtschaftspolitisches Spitzengespräch“ mit wichtigen Verbandsvertretern.

Kanzler ruft zur Gemeinsamkeit auf

Scholz rief alle Beteiligten dazu auf, an einem Strang zu ziehen. „Es muss um ein großes Miteinander gehen“, sagte er während seines Indien-Besuchs auf die Frage einer Journalistin nach den unterschiedlichen Initiativen in seiner Regierung für Wirtschaftshilfen.

„Wir müssen wegkommen von den Theaterbühnen. Wir müssen wegkommen davon, dass irgendetwas präsentiert und vorgeschlagen wird, was dann gar nicht von allen akzeptiert und angenommen wird.“

Gefragt, warum Lindner nicht zu Scholz‘ Gipfel eingeladen sei, sagte Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann: Es sei nicht so, dass zu jedem Treffen, das der Kanzler oder ein Minister veranstalte, auch andere Minister eingeladen würden. Beim Gipfel des Kanzlers handele es sich „um ein vertrauliches Gespräch im kleinen Kreis“, mit Vertretern von Verbänden, Gewerkschaften und Industrie.

Zum Lindner-Treffen sagte die Vize-Regierungssprecherin weiter: Es sei „immer sinnvoll“, wenn sich in der Bundesregierung oder den Ampelfraktionen um den Industriestandort Deutschland gekümmert werde.

Nicht abgestimmte Konzepte

Bundesfinanzminister Christian Lindner kritisierte im ZDF, dass jüngste wirtschaftspolitische Vorstöße von Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nicht abgestimmt gewesen seien.

Der FDP-Chef forderte eine rasche Richtungsentscheidung. Da werde sich zeigen, „ob wir als Koalition zusammenkommen“, sagte er in der ARD. In diesem Herbst müsse Klarheit geschaffen werden, „in welche Richtung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geht dieses Land“. Sonst nehme die wirtschaftliche Entwicklung weiter Schaden.

„Nein, die Vorschläge von Herrn Scholz waren nicht abgestimmt und die von Herrn Habeck auch nicht“, sagte Lindner im ZDF-„Heute Journal“. „Wir reden miteinander, aber diese Vorschläge kenne ich nicht. Und das ist für sich genommen ein Problem.“

Was Lindner nicht sagte: Auch das FDP-Präsidium produziert permanent Papiere zur Wirtschaftspolitik und anderen Fragen, ohne das vorher mit den Koalitionspartnern zu besprechen.

Lindner kontra Habeck

Habeck hatte zuvor vorgeschlagen, die Wirtschaft mit einem schuldenfinanzierten staatlichen Investitions- und Infrastrukturfonds anzukurbeln. Nach seinen Vorstellungen sollen Unternehmen über einen Deutschlandfonds zehn Prozent aller Investitionen vom Staat erstattet bekommen.

Finanzminister Lindner lehnte dies ab. „Im Einzelnen würde das Konzept nach einer ersten überschlägigen Rechnung pro Jahr 48 Milliarden Euro kosten inklusive aller Mitnahmeeffekte“, sagte er am Rande der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds in Washington.

Der deutsche Schuldenstand würde dann jedes Jahr um einen Prozentpunkt steigen – damit widerspreche das Konzept den europäischen Fiskalregeln. „Deshalb raten wir dazu, dieses Vorhaben nicht weiterzuverfolgen.“

Lindner stellte zudem infrage, ob es sinnvoll sei, dass Deutschland einerseits die weltweit höchste Steuern von seinen Unternehmen verlange und dann mangelnde Standortqualität mit einer pauschalen Investitionsförderung ausgleiche.

Zwei Konferenzen – ein Thema

Kanzler Scholz hatte vergangene Woche im Bundestag eine industriepolitische Offensive angekündigt. Er will sich mit Vertretern von Unternehmen, Gewerkschaften und Verbänden zu einem Industriegipfel im Kanzleramt treffen.

Es sollten Maßnahmen ausgelotet werden, „damit wir gemeinsam nach vorne marschieren“, sagte Scholz in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“. Das Treffen ist für den Dienstagnachmittag angesetzt. Wirtschaftsminister Habeck ist zu dem Gipfel nicht eingeladen, sieht das aber gelassen.

„Ich brauche jetzt keinen Gipfel. Ich bin permanent am Bergsteigen“, sagte er in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi. Er sei mit den Wirtschaftsverbänden täglich im Gespräch.

Am Vormittag wollen der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Dürr und Parteichef Lindner mit Spitzenvertretern von Wirtschaftsverbänden über dasselbe Thema beraten. Erwartet werden die Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und des Bundesverbandes der Freien Berufe, Rainer Dulger, Jörg Dittrich und Stephan Hofmeister.

Teilnehmen werden auch der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben, und das Präsidiumsmitglied des Verbandes der Familienunternehmer, Reinhold von Eben-Worlée.

Die Veranstaltung der FDP sei „eher komplementär“ zum Kanzlertermin, sagte Lindner in Washington. „Denn die deutsche Wirtschaft ist nicht nur Industrie, sie ist auch Mittelstand, Handwerk, freie Berufe.“

Koalitionstreu unter einer Bedingung

In den vergangenen Monaten war wegen der vielen Streitereien in der Ampel immer wieder über ein vorzeitiges Ende der Koalition spekuliert worden. Der Finanzminister trat im ZDF dem Eindruck entgegen, schon nach Opposition zu klingen.

„Wenn sich alle an den Koalitionsvertrag halten wollen und an seinen Geist, dann habe ich jedenfalls keine Vorsätze, eine Regierungskoalition zu beenden.“

Klar sei aber: „Wenn das, was das Land braucht, dringlicher wird, und das, was politisch erreichbar ist, kleiner ist, müssen alle sich die Karten legen.“ In den ARD-„Tagesthemen“ sagte der Finanzminister, man werde nach seiner Rückkehr miteinander sprechen müssen. „Sind unsere Gemeinsamkeiten so groß, dass wir die Probleme des Landes lösen können? Ich hoffe darauf.“

Kritik von der Opposition

Scharfe Kritik am erneuten Ampelstreit kommt aus der Union. „Es wird immer absurder: Gipfelkonkurrenz in der Bundesregierung“, erklärte die CDU-Wirtschaftspolitikerin Julia Klöckner. „Mit der Gipfelinflation wird aber nicht ein Problem gelöst.“

Es fehle nur noch, dass Habeck zu einem dritten Wirtschaftsgipfel am Dienstag einlade. Die Wirtschaft habe für „solche zeitraubenden und nutzlosen Spielchen ohne Umsetzungsergebnisse“ keine Zeit mehr.

Habeck kündigte jedoch in der ARD bereits an, keinen Gipfel zu veranstalten. „Der Gipfel ist meine tägliche Arbeit“, sagte er. Vertreter von Verbänden und Unternehmen sehe er „andauernd“.

Scholz zu Ampelpartnern: Nicht in die Büsche schlagen

Scholz räumte Schwierigkeiten in der Ampel ein, forderte die Partner aber zur Weiterarbeit bis zum Ende der Wahlperiode auf. Wer von den Bürgerinnen und Bürgern ein Mandat zum Regieren bekommen habe, müsse seine Aufgaben erfüllen, sagte er in der ZDF-Sendung „Maybrit Illner“.

Das sei eine Pflicht. „Und da sollte sich keiner einfach in die Büsche schlagen. Mein Stil ist das jedenfalls nicht.“

Vizekanzler Habeck sagte in Neu-Delhi auf die Frage, ob die Ampelpartner angesichts der vielstimmigen wirtschaftspolitischen Vorschläge noch gut zusammenarbeiten: „Absolut. Das tun wir.“ (afp/dpa/red)



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