GEW: „Lehrerbashing löst kein Problem“

Mit voller Wucht traf die Corona-Welle Kinder, Eltern und vor allem Lehrer. Von heute auf morgen mussten sie den gesamten Unterricht auf Homeschooling umstellen – keine einfache Sache. Dass Medien nun gegen die Lehrer Stimmung machen, stößt auf Unverständnis.
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Eine verzweifelte Lehrerin im Klassenraum.Foto: iStock
Von 15. Juni 2020

„Ich beobachte mit einiger Sorge, dass die Lehrerinnen und Lehrer zu Beginn der Krise stark wertgeschätzt wurden, aber inzwischen von vielen Seiten richtiggehend gebasht werden“, sagte Marlis Tepe, Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in einem „Welt“-Interview.

Offenbar würden einige Eltern den Druck, unter dem sie selber wegen „der objektiv sehr schwierigen Vereinbarkeit“ von Beruf und Familie stehen würden, an die Lehrkräfte weitergeben.

Besser sei hingegen, Druck auf die Schulträger, die Kommunen, die Länder und den Bund zu machen, damit in Zukunft für eine gute öffentliche Bildung gesorgt wird.

„Lehrerbashing löst kein Problem“, betonte Tepe, sondern schaffe neue. Vielleicht würden sich nun noch weniger junge Menschen entscheiden, Lehrer zu werden.

Corona-Krise machte Defizite im Schulwesen deutlich

Die GEW-Vorsitzende hat die Hoffnung, dass sich die Schule durch die Corona-Krise für immer verändert. Jetzt könne die Gesellschaft auf die Defizite im Schulwesen, die nun überdeutlich geworden seien, reagieren. Neben Unterrichtskonzepten gelte es, bei der Digitalisierung nachzujustieren. „Wir müssen an den Schulen mit den Schülerinnen und Schülern die Krise aufarbeiten.“ Auch das Verhalten bei Infektionen müsse geändert werden: nicht krank in die Schule kommen und andere anstecken. „Dieser Präsentismus war immer schon falsch.“

Dass die Lehrer sich mit ihren Berufen identifizieren und sich bestmöglich für die ihr anvertrauten Schüler „oft bis ans eigene Limit“ engagieren, daran hat Tepe keinen Zweifel. „Aber sie müssen Maßnahmen gegen die Pandemie wie wir alle beachten.“

Neben mangelnder digitaler Ausstattung kritisierte die GEW-Vertreterin Lehrermangel, hygienische Missstände, schlechte Gebäudeausstattung, marode Schulen, die Nöte sozial benachteiligter Schüler und Probleme der Gruppengröße. „An vielen Schulen gibt es kein warmes Wasser.“ Die Hygiene an den Schulen sei lange vernachlässigt worden.

In der Corona-Krise habe sich gezeigt, dass die Schüler sich in den aktuell existierenden kleineren Klassen wohler fühlen und konzentrierter arbeiten würden. „Wenn die Gesellschaft will, könnte sie für kleinere Klassen sorgen“, erklärte Tepe. Dann würde sich auch das Betreuungsverhältnis verbessern.

Lehrer als Sündenböcke

Dass Lehrer derzeit zu Sündenböcken gemacht werden, kritisierte auch Bildungsjournalist Andrej Priboschek, Herausgeber von „News4teachers“.

Aktuell würde kommunikativ „gerade viel aus dem Ruder“ laufen. Dabei sei das Internet voll von Beispielen, die zeigen, mit wie viel Engagement Lehrerinnen und Lehrer versucht hätten, ihre Schülerinnen und Schüler in der Krise zu erreichen.

Davon bekomme jedoch kein Außenstehender etwas mit. Stattdessen würden ein paar unleserlich eingescannte Arbeitsblätter die Runde im Netz machen und ein Bild von Lehrern suggerieren, die sich „Corona-Ferien“ gegönnt hätten. Diese Vorstellung habe wenig mit Realität zu tun, würde aber „durch Fernsehsendungen wie ‚Hart aber fair‘ oder Medien wie ‚Bild‘ genährt“.

Priboschek erläutert: „Das funktioniert derzeit so gut, weil Lehrkräfte sich als Sündenböcke bestens eignen.“ Als öffentlich Bedienstete bräuchten sie nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten. Zudem seien sie diejenigen, die durch die Aufgaben im Homeschooling die Eltern gefordert hätten, damit die Kinder etwas lernen.

„Jetzt merken viele, was für eine Schwerstarbeit das sein kann.“ Und bei mehr als zehn Millionen Schülern Deutschlands finde sich immer jemand, „der die Lehrkräfte seines Kindes vor laufender Kamera publikumswirksam anklagt“.

Das Fazit des Experten: „Die Politik lässt die Schulen verkommen“. Der Sanierungsstau in Deutschland betrage aktuell 44 Milliarden Euro. Dabei seien die Kosten für die erforderliche digitale Ausstattung noch gar nicht eingerechnet. Lehrer bekämen keine praktikablen Lösungen an die Hand, schilderte Priboschek.

Schlimmer noch: Freitags würden durch die Politik Anweisungen per Schulmail verschickt, „was mal eben bis Montag umgesetzt zu sein hat, und wenn Eltern und Medien schimpfen, weil etwas nicht klappt, dann taucht sie ab“.



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