Gerichtsverfahren: Ballwegs Verteidiger sehen „gravierende Widersprüche“

Im Strafverfahren gegen Querdenken-Gründer Michael Ballweg vor dem Landgericht Stuttgart sehen seine Verteidiger „gravierende Widersprüche und Versäumnisse“ in der Vorgehensweise der Steuerfahndung. Ballweg wird Steuerhinterziehung und versuchter Betrug vorgeworfen. Vor dem Gericht sagten kürzlich sowohl ein Steuerfahnder als auch eine Sachbearbeiterin des Finanzamts Stuttgart aus.
Der 49-Jährige rief die «Querdenken»-Protestbewegung ins Leben.
Der 49-Jährige rief die Querdenken-Protestbewegung ins Leben.Foto: Marijan Murat/dpa
Von 25. November 2024

Der auf 70 Verhandlungstage angesetzte Prozess um den Gründer und Organisator der Querdenken-Bewegung, Michael Ballweg, der Anfang Oktober vor der Wirtschaftskammer des Landgerichts Stuttgart begann, läuft weitestgehend ungeachtet der breiten medialen Öffentlichkeit.

Gegen den früheren Softwareunternehmer wird wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung, versuchter Steuerhinterziehung und versuchten Betrugs der Prozess gemacht. Damit unterstellt die Staatsanwaltschaft Ballweg die Absicht einer persönlichen Bereicherung. Der Tatvorwurf der Geldwäsche wurde fallen gelassen.

Für Ballweg hätte sich während der vergangenen acht Verhandlungstagen bestätigt, dass das Verfahren von der Steuerfahndung „offenbar aus politischen Gründen geführt wird“, so eine Pressemitteilung von Querdenken.

Sachbearbeiterin wurde Fristverlängerung untersagt

Dabei war die Aussage am 6. Verhandlungstag, 14. November, einer ehemaligen Sachbearbeiterin des Finanzamts Stuttgart, die für Ballwegs Einkommenssteuererklärung zuständig war, für seine Verteidiger besonders auffällig, wie aus der Mitteilung hervorgeht. Ballwegs Verteidiger sind Reinhard Löffler, Ralf Ludwig und Gregor Samimi.

Bei einem der Anklagepunkte geht es um den Vorwurf, keine Steuererklärungen abgegeben zu haben, beziehungsweise verspätet.

Die verspätete Abgabe der Steuererklärung ist laut Ballwegs Verteidiger darauf zurückzuführen, dass Ballweg inhaftiert war und seine Steuerunterlagen beschlagnahmt wurden. Ein aus der Haft gestellter Antrag auf Fristverlängerung für die Einreichung der Steuererklärung sei zudem vom Finanzamt abgelehnt worden.

Die zuständige Finanzbeamtin erklärte dazu vor Gericht, dass sie Ballwegs Antrag nur deshalb abgelehnt hat, weil die Steuerfahndung es ihr so angewiesen hatte, so Querdenken.

Steuerfahndung nicht berechtigt, Anweisungen zu geben?

Die Begründung der Beamtin habe dabei gelautet: Es sei bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet worden. Dabei sei die Steuerfahndung gar nicht berechtigt, der Sachbearbeitung eine Anweisung zur Ablehnung der Fristverlängerung zu geben, wenden Ballwegs Verteidiger ein.

Für sie deuten die Aussagen darauf hin, „dass hier gezielt ein Fall aufgebaut wurde“, so Querdenken. Also dass die Behörde durch ihr Handeln die Grundlage für die Straftat selbst geschaffen hätte.

„Ein Dialog mit Herrn Ballweg hätte das Verfahren überflüssig gemacht“, kommentiert Löffler, einer der Verteidiger von Ballweg, das Verhalten, in einer Mitteilung.

Verteidigung: Ballweg machte Verluste

Am 6. Verhandlungstag legte die Verteidigung, um den im Raum stehenden Vorwurf der Bereicherung entgegenzutreten, eine Bescheinigung von Ballwegs Steuerberaterin vor, laut der er in den Jahren 2020 und 2021 mit Querdenken nur Minus gemacht haben soll.

Für das Jahr 2020 weist das Schriftstück, laut „Stuttgarter Zeitung“ (StZ) – der eine Kopie der Bescheinigung vorliegen soll – einen Verlust von 25.708,77 Euro aus.

Für das darauffolgende Jahr wird ein Verlust von 54.668,68 Euro ausgewiesen.

Laut der Aussage der Steuerberaterin seien dabei alle baren und unbaren Zahlungen sowie verdeckte Gewinnausschüttungen berücksichtigt worden. Per Stempel und Unterschrift bestätigte sie mit Ballwegs Einkommenssteuererklärungen für die Jahre 2020 und 2021 beauftragt gewesen zu sein.

Dazu erklärte Ballwegs Verteidigerteam, dass beide Steuererklärungen Anfang Oktober 2023 eingereicht aber bislang nicht bearbeitet worden seien. Deswegen habe man nun Rechtsmittel eingelegt.

Diese späte Einreichung begründen Ballwegs Verteidiger damit, dass seine Steuerberaterin ihn in der Untersuchungshaft nicht erreichen konnte. Der Begründer der Querdenkenbewegung saß von Juni 2022 bis Anfang April 2023 in Untersuchungshaft.

Laut Staatsanwaltschaft soll es im Jahr 2020 im Fall von Ballwegs ursprünglicher Firma um „vollendete Steuerhinterziehung“ von 78.060,84 Euro Umsatzsteuer und um „versuchte Hinterziehung von Körperschaftssteuer“ in Höhe von 52.750 Euro und Gewerbesteuer in Höhe von 51.685 Euro gehen.

Anklageerhebung trotz Erstattung?

Der 8. Verhandlungstag, 24. November, ergab jedoch, dass durch Ballweg am 4. November 2022 eine Umsatzsteuererklärung eingereicht wurde, die zu einer Erstattung führte. „Daraus ergab sich ein Guthaben von 1.402 Euro“, so Querdenken.

Dennoch leitete das Finanzamt Stuttgart das Ermittlungsverfahren wegen „vollendete Steuerhinterziehung“ von 78.060,84 Euro Umsatzsteuer nur sechs Tage nach Ablauf der Abgabefrist für die Steuererklärung 2020 ein – ohne Mahnung und trotz der außergewöhnlichen Umstände, zeigen sich die Verteidiger verwundert.

Bei dem von Ballweg bei der Stadt Stuttgart angemeldeten Gewerbe zur Planung und Durchführung von Demonstrationen und Veranstaltungen, sowie den Handel mit Werbemitteln und Eventmanagement soll es zudem um den Vorwurf der „versuchten Hinterziehung“ von 324.307 Euro Einkommenssteuer und 63.636 Euro Gewerbesteuer gehen, wie die StZ berichtete.

9.000 Schenkungen

Neben den vorgeworfenen Steuerdelikten soll sich Ballweg auch wegen des Vorwurfs des versuchten Betrugs in mehr als 9.000 Fällen verantworten. Dabei geht es um Schenkungen von Menschen, die ihn finanziell unterstützten. Die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, einen Teil des Geldes nicht für „Querdenken“ eingesetzt zu haben.

In diesem Zusammenhang sah Ballwegs Verteidigung am 7. Verhandlungstag zentrale Widersprüche in den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft.

Ein Zeuge des Finanzamts Stuttgart I, zuständig für die Umsatzsteuer-Sonderprüfung, erklärte, dass Bargeldeinzahlungen pauschal als umsatzsteuerpflichtige Umsatzerlöse eingestuft wurden, obwohl die Herkunft der Gelder nicht ermittelt wurde, heißt es weiter.

Diese Vorgehensweise stehe im Widerspruch zu den gesetzlichen Grundsätzen einer sorgfältigen steuerlichen Prüfung, bei der die Beweislast für steuerpflichtige Einnahmen eindeutig bei der Finanzverwaltung liege, laut der Mitteilung von Querdenken.

„Gleichzeitig stuft die Staatsanwaltschaft dieselben Einzahlungen als Schenkungen ein und konstruiert daraus den Vorwurf des Betrugs“, so Querdenken.

Steuerfreie Einnahmen?

Ballwegs Verteidiger haben erhebliche Zweifel an der Konsistenz und Schlüssigkeit der Anklage, da sie widersprüchliche Positionen zwischen dem Finanzamt und der Staatsanwaltschaft erkennen lassen.

„Die widersprüchlichen Annahmen und die pauschale Einstufung von Bargeldeinzahlungen zeigen, dass es der Anklage an Substanz fehlt. Es ist schwer nachvollziehbar, wie solche Vorwürfe aufrechterhalten werden können“, so Ballwegs Verteidiger Ralf Ludwig.

Verteidiger legen Brief aus der Haft vor

Die Verteidigung legte dem Gericht zudem einen Brief vor, den Ballweg aus der Untersuchungshaft an seinen Steuerberater geschrieben haben soll.

Er soll belegen, dass Ballweg auch während seiner Untersuchungshaft willens war, alle steuerlichen Verpflichtungen zu erfüllen und mit seinem Steuerberater zu kooperieren.

„Ich möchte dich bitten, meine steuerlichen Themen während dieser schwierigen Zeit weiter zu bearbeiten. Ich werde selbstverständlich alle offenen Rechnungen für eure Aufwände begleichen. Ausreichend Mittel, auch privat, sind vorhanden. […] Ich gehe auch davon aus, dass diese Zeit hier in der JVA bald vorbei ist und alle Vorwürfe entkräftet werden“, zitiert sein Anwaltsteam aus dem Schreiben vom 28. September 2022.

Für Rechtsanwalt Löffler hätten die Aussagen am 7. Verhandlungstag „erneut die gravierenden Widersprüche in der Anklage offenbart“.

„Widersprüchliche Bewertungen und eine unklare Beweisführung werfen die Frage auf, wie dieses Verfahren in seiner jetzigen Form Bestand haben kann“, so Löffler.

Am Dienstag, 26. November, wird der Gefängnisdirektor vor Gericht dazu aussagen, wie man aus der Untersuchungshaft eine Steuererklärung erstellen kann und warum Ballweg 14 Tage ohne Haftbefehl festgehalten wurde. Die Verteidigung erwartet weitere wichtige Erkenntnisse.



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