Gas-Mehrwertsteuersenkung „spielt keine Rolle“ – Kritik von Verbänden und Unternehmen
Die Bundesregierung kündigte am Donnerstag an, die Gas-Mehrwertsteuer von 19 auf sieben Prozent zu senken. Verschiedene Verbände und Unternehmen haben diesen Schritt als falsches Signal bezeichnet. Sie forderten zugleich zielgenaue Entlastungen für Firmen.
Auch die Mehrbelastung für Privathaushalte wird scharf kritisiert. Denn neben der Gasumlage sollen Gaskunden ab Oktober noch weitere Zusatzkosten mittragen. So werden die Verbraucher ab Oktober auch bei den Kosten für die Gas-Regelenergie und der Speicherbefüllung zur Kasse gebeten.
Nachteile für Unternehmen
Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des BDI, vertritt auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur einen klaren Standpunkt. „Gas zu sparen, bleibt wichtig. Die Entlastung durch die angekündigte niedrigere Mehrwertsteuer geht an den Unternehmen vorbei, denn Unternehmen zahlen keine Mehrwertsteuer.“ Die Unternehmen kämpften mit ausufernden Energiekosten, so Lösch. „Die Politik muss jetzt konsequent die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie erhalten und schutzbedürftige Unternehmen entlasten.“
Laut Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) wird die auf rund 2,4 Cent festgesetzte Gasumlage Industrieunternehmen in Deutschland rund 5,7 Milliarden Euro kosten. Besonders betroffen sind energieintensive Grundstoffindustrien wie die Chemie- und Metallindustrie sowie Hersteller und Verarbeiter von Glas, Keramik, Steinen und Erden, wie das arbeitgebernahe IW erklärte. Allein diese drei Branchen trügen mehr als die Hälfte der Mehrkosten.
Schwächung des Wirtschaftsstandorts
Die Familienunternehmer forderten eine Härtefallklausel für besonders betroffene Unternehmen durch eine vollständige Befreiung von der Umlage. Zudem müssten weitere Hilfen entwickelt werden. „Die aktuelle Regierung darf bei Ihren Entlastungsplänen die Unternehmen nicht aus dem Blick verlieren“, erklärte Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée. Mit einer Senkung lediglich der Mehrwertsteuer für Gas sei der Wirtschaft überhaupt nicht geholfen. „Diese Steuer spielt für vorsteuerberechtigte Firmen als letztlich durchlaufender Posten keine Rolle.“ Die Gasumlage aber verursache eine erhebliche Schwächung des Wirtschaftsstandorts.
Der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, kritisierte: „Gas ist momentan ein knappes Gut, daher ist der Preis hoch.“ Um gut durch die nächsten Winter zu kommen, müsse Gas eingespart werden. „Warum in dieser Situation der Preis über die Mehrwertsteuer gesenkt wird, erschließt sich aus ökonomischer Sicht nicht“, sagte Hüther der dpa. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) setze damit keinen Anreiz zum Sparen, im Gegenteil. „Gleichzeitig lässt die Zielgenauigkeit dieses Instruments zu wünschen übrig. Statt der Bazooka brauchen wir gezielte Unterstützung, etwa bei Geringverdienern, die unter der Inflation am meisten leiden.“
Die Bundesregierung will für einen befristeten Zeitraum die Mehrwertsteuer auf Erdgas senken, wie Scholz am Donnerstag sagte. Der ermäßigte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent soll so lange gelten, wie die staatliche Gasumlage erhoben wird, also bis Ende März 2024. Mit der Gasumlage können Importeure ab Oktober wegen des Ukraine-Kriegs erhöhte Beschaffungskosten an die Verbraucher weitergeben.
„Enorme Mehrbelastung für alle Verbraucher“
Der Energiekonzern E.ON nannte die Entscheidung der Bundesregierung einen richtigen und überfälligen Schritt. Denn er führe zu einer spürbaren Entlastung der Gaskunden. „Er bleibt jedoch halbherzig, weil auch beim Strompreis die Notwendigkeit zu Entlastungen besteht und hier noch mehr Steuerlast auf den Endverbrauchern liegt. Daher sollte die Stromsteuer auf das europäische Mindestmaß gesenkt und ebenfalls ein reduzierter Mehrwertsteuersatz angewandt werden.“
Das IW bezifferte am Montag die Mehrkosten für die privaten Haushalte auf 203 Euro für einen Singlehaushalt mit einer Wohnfläche von 60 Quadratmetern. 542 Euro seien es für eine Familie mit einem Einfamilienhaus mit 140 Quadratmetern. Die am Donnerstag beschlossene Gas-Mehrwertsteuersenkung und die hinzugekommenen Umlagen gleichen sich dabei in etwa aus. Das sei eine „enorme Mehrbelastung für alle Verbraucher“. Rund jeder vierte Haushalt in Deutschland gibt laut IW mehr als zehn Prozent seines Einkommens für Energie aus und gilt daher als „energiearm“. Das Problem dürfte sich in den kommenden Monaten weiter verschärfen.
Die hohen Energiepreise seien angesichts der drohenden Gasmangellage aber auch ein wichtiges Preissignal, erklärte das IW weiter. „Alle müssen mit anpacken“, betonte IW-Ökonom Thilo Schaefer. Gerade die sozial Schwächeren dürften aber von der Politik nicht mit den „immensen Mehrkosten“ allein gelassen werden.
Mehr Belastung als Entlastung?
Der Bund der Steuerzahler bewertete es als positiv, dass die Mehrbelastung für Gasverbraucher „etwas abgemildert“ werden solle. „Dennoch darf nicht vergessen werden: Insgesamt steigt durch die neue Gasumlage die Belastung der Verbraucher“, stellte Verbandspräsident Reiner Holznagel fest. Kanzler Scholz hatte hingegen davon gesprochen, die Gaskunden würden „mit diesem Schritt“ insgesamt deutlich stärker entlastet, als die Mehrbelastung durch die Umlagen betrage.
Lösch forderte, die Bundesregierung sollte die Höhe der Umlage senken und die Dauer der Erhebung zeitlich strecken. Der BDI verlange außerdem, die Stromsteuer auf das europäische Minimum zu senken. Zudem sollte der Bund Netzentgelte für alle Verbraucher staatlich mitfinanzieren. Als richtigen Schritt sieht es der BDI auch, wenn die Regierung bisherige Energiesteuerentlastungen wie den Spitzenausgleich weiterführt.
Der Paritätische Gesamtverband wies darauf hin, dass die Mehrwertsteuersenkung alle entlaste, „also auch diejenigen, die es überhaupt nicht nötig haben“. Der Spitzenverband der Wohlfahrtspflege plädierte für gezielte Hilfen an Menschen, „die ihre Gasrechnung nicht mehr bezahlen können“, hieß es in einer Stellungnahme, die die „Rheinische Post“ (Freitag) veröffentlichte.
Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland, sagte: „Viele Menschen befinden sich bereits seit Wochen, teilweise sogar seit Monaten, in einer wirklich ernsten Lage. Sie brauchen jetzt schnell und unmittelbar Hilfe und können nicht warten, bis irgendwann einmal die Debatten über mögliche Entlastungsmaßnahmen abgeschlossen sind.“
(Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und afp)
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