Finanzielle Notlage der Krankenkassen: Droht die Insolvenz?

Die gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland steht vor einer finanziellen Zerreißprobe: Die Zusatzbeiträge sind gestiegen, weil viele Kassen tiefrote Zahlen schreiben. Experten warnen vor einem drohenden Domino-Effekt, der das gesamte System ins Wanken bringen könnte. Ohne politische Reformen und neue Finanzierungsmodelle drohen weitere Beitragserhöhungen – oder gar Insolvenzen einzelner Krankenkassen.
Für die allermeisten Versicherten steigen 2025 die Krankenkassenbeiträge. (Archivbild)
Die Kassen haben im vergangenen Jahr Verluste von sechs Milliarden gemacht.Foto: Jens Kalaene/dpa
Von 28. Februar 2025

Rund 90 Prozent der Deutschen sind gesetzlich krankenversichert – und für diese Gruppe wurde es zu Jahresbeginn teurer. Grund dafür ist der Anstieg der Zusatzbeiträge.

Zusatzbeiträge sind von den gesetzlichen Krankenkassen individuell festgelegte prozentuale Aufschläge auf den allgemeinen Beitragssatz von 14,6 Prozent, der vom Bundesgesundheitsministerium vorgegeben wird. Sie dienen dazu, den zusätzlichen Finanzbedarf der Kassen zu decken, der über die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds hinausgeht. Die Höhe des Zusatzbeitrags variiert je nach Krankenkasse und wird einkommensabhängig berechnet. Seit dem 1. Januar 2019 werden diese Beiträge paritätisch finanziert, was bedeutet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer sie zu gleichen Teilen tragen.

Für das Jahr 2025 hat das Bundesministerium für Gesundheit den durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz auf 2,5 Prozent festgelegt. Im vergangenen Jahr lag dieser noch bei 1,7 Prozent.

Einige Krankenkassen erheben jedoch einen höheren oder niedrigeren Satz, abhängig von ihrer finanziellen Situation. So erhebt die Knappschaft den deutschlandweit höchsten Zusatzbeitrag von 4,4 Prozent, während die EY BKK mit einem Satz von 1,04 Prozent den niedrigsten Zusatzbeitrag erhebt.

Insgesamt haben 82 von 94 gesetzlichen Krankenkassen zum Jahreswechsel die Beiträge erhöht. Das geht aus der täglich aktualisierten Krankenkassenliste des GKV-Spitzenverbandes hervor. Demnach hoben 82 der 94 Krankenkassen den Zusatzbeitrag um durchschnittlich einen Prozentpunkt an.

System in Gefahr – fast keinen Spielraum mehr

Grund für den Anstieg ist die angespannte finanzielle Situation der Krankenkassen. Diese haben im vergangenen Jahr ein Defizit von sechs Milliarden Euro eingefahren, wie der MDR berichtet. Der Sender beruft sich dabei auf vorläufige Zahlen der größten Kassenverbände. Demnach wäre die Finanzierungslücke größer als ursprünglich erwartet. Noch Ende Dezember ging der GKV-Spitzenverband von einem Minus von 5,5 Milliarden Euro aus.

Die Lage der Krankenkassen ist katastrophal. Andreas Storm, der Chef der DAK-Gesundheit, warnte kürzlich im „ÄrzteTag“-Podcast der „Ärzte-Zeitung“ vor einem „Domino-Effekt“ aufgrund von Zahlungsunfähigkeit bei Krankenkassen. Wenn „ein halbes Dutzend Krankenkassen mit deutlich über einer Million Versicherten“ in die Zahlungsunfähigkeit geraten, könnte das gesamte System gefährdet sein, erklärte Storm. „Es gibt fast keinen Spielraum mehr. Wenn sich die Lage weiter verschlechtert, ist ein Teil der Kassenlandschaft am Rande der Insolvenz“, so die düstere Prognose des DAK-Chefs.

„Aktuell reichen die Reserven nur noch aus, um die Ausgaben für etwa 2,5 Tage zu decken“, so Storm weiter. Ein Domino-Effekt stelle ein „realistisches Gefährdungspotenzial“ dar, erklärte der Chef von Deutschlands drittgrößten Krankenkasse. Er erwartet, dass die Krankenkassen noch in diesem Jahr ihre Zusatzbeiträge weiter anheben müssen, um eine Zahlungsunfähigkeit zu verhindern. Die neue Bundesregierung sei daher gefordert, mit einem „Sofortprogramm“ die Kassenlandschaft zu stabilisieren.

Krankenhauskosten größter Ausgabeposten

Angesichts dieser Aussichten stellt sich die Frage: Haushalten die Kassen so schlecht oder sind die Deutschen so krank? Schaut man sich das aktuellste Finanzergebnis der GKV des Gesundheitsministeriums an, das die Kosten der Jahre 2022 und 2023 vergleicht, deutet vieles darauf hin, dass Krankheit in Deutschland zunimmt.

Der größte Posten im Budget der Krankenkassen entfällt auf Krankenhausbehandlungen. Im Durchschnitt geben die Kassen hier 979 Euro pro Jahr und Versicherten aus, was insgesamt fast elf Milliarden Euro ausmacht. Dieses Budget umfasst alle stationären Behandlungen, wie zum Beispiel Operationen, die Betreuung auf der Intensivstation sowie in der Geriatrie. In der Geriatrie werden ältere Menschen behandelt, die zu schwach sind, um alleine zu leben, aber keine spezifische Krankheit haben. Oft stellt die Geriatrie eine Zwischenstation auf dem Weg in ein Pflegeheim dar.

Der zweitgrößte Posten, der für die Krankenkassen anfällt, sind die ärztlichen Behandlungen. Dazu gehören Besuche beim Hausarzt, Psychotherapien und Behandlungen bei Fachärzten. Durchschnittlich wenden die Krankenkassen jährlich 630 Euro pro Versicherten dafür auf, was insgesamt etwa sieben Milliarden Euro ausmacht.

In ähnlicher Größenordnung (rund 6,6 Milliarden Euro) liegen die Ausgaben der Krankenkassen für Medikamente und Arzneimittel. Diese Kosten belaufen sich auf durchschnittlich 587 Euro pro Versicherten im Jahr.

An vierter Stelle, jedoch im Vergleich zu den anderen Posten nur ein Bruchteil, steht das Krankengeld. Die Krankenkassen wenden dafür jährlich rund 2,3 Milliarden Euro auf, was pro Versicherten durchschnittlich 233 Euro entspricht.

Auch Zahnarztbehandlungen stellen für die Krankenkassen eine erhebliche finanzielle Belastung dar. Die durchschnittlichen Kosten pro Person betragen etwa 190 Euro, insgesamt belaufen sich die Ausgaben auf rund 2,1 Milliarden Euro. Der Zahnersatz wird separat berechnet und summiert sich jährlich auf etwas mehr als 500 Millionen Euro, wodurch er auf Platz 14 der teuersten Ausgabenpositionen landet.

Verwaltungskosten vergleichsweise gering

Im Vergleich zu 2022 haben die Krankenkassen im Jahr 2023 ihre Ausgaben für medizinische Leistungen um fünf Prozent erhöht. Besonders stark fiel der Anstieg bei den Schutzimpfungen aus, deren Kosten um 22,5 Prozent gestiegen sind. Auch die Ausgaben für Behandlungspflege nahmen deutlich zu, mit einem Anstieg von 12,9 Prozent. Allein diese beiden Bereiche verursachten Mehrkosten von mehr als 200 Millionen Euro im Vergleich zum Vorjahr.

An dritter und vierter Stelle der größten Kostensteigerungen stehen Maßnahmen zur Früherkennung sowie Heilmittel. Unter Heilmitteln versteht man insbesondere nicht-medikamentöse Therapien wie Physiotherapie, Ergotherapie sowie Stimm-, Sprech-, Sprach- und Schlucktherapie. Für diese Bereiche mussten die Krankenkassen zusätzlich 175 Millionen Euro aufbringen. Die Ausgaben für Früherkennungsmaßnahmen stiegen im Vergleich zu 2022 um etwa 56 Millionen Euro.

Die Ausgaben für die Verwaltung im Krankenhaussystem sind jedoch vergleichsweise gering. Der Betrieb der Krankenkassen in Deutschland kostet rund 1,4 Milliarden Euro. Damit stellt dieser Posten den siebtgrößten Ausgabeposten im Budget dar.

An der Kostenschraube lässt sich kaum drehen

Schaut man auf die Ausgaben, dann haben die Krankenkassen hier nur einen begrenzten Spielraum, Kosten zu sparen. Ein Großteil der Ausgaben wird ihnen durch das fünfte Sozialgesetzbuch vorgegeben. Demnach haben Versicherte Anspruch auf eine angemessene und bedarfsgerechte medizinische Versorgung, die dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht. Gleichzeitig müssen die Leistungen wirtschaftlich sein und dürfen nicht über das Notwendige hinausgehen.

Bei bestimmten Zusatzleistungen, wie etwa zahnärztlichen Behandlungen oder Rehabilitationsmaßnahmen, haben die Krankenkassen jedoch Entscheidungsfreiheit. Über die Einführung neuer Therapien und Diagnoseverfahren entscheidet der Gemeinsame Bundesausschuss der Krankenkassen, weshalb es oft mehrere Jahre dauert, bis sie in den Leistungskatalog aufgenommen werden.

Strukturausgaben aus Steuermitteln bezahlen

In den letzten Jahren sei politisch wenig geschehen, um die Kosten, vor allem in den drei großen Ausgabenbereichen, zu begrenzen, sagt Gesundheitsökonom Stefan Greß von der Hochschule Fulda gegenüber dem MDR.

Eine Reihe von Strukturreformen seien in die Wege geleitet, darunter die Digitalisierung und die Krankenhausreform. „Das ist alles notwendig, kostet aber auch erst einmal Geld. Den Mechanismus, den wir sehen in den letzten Jahren, das zahlen immer die Beitragszahler – auch die Kosten für die Transformation der Krankenhäuser, für den Umbau, das wird auch überwiegend den Beitragszahlern aufgelastet, obwohl es eigentlich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe des Bundes wäre“, so Greß.

Greß schlägt weiter vor, dass diese Ausgaben aus Steuermitteln finanziert werden. Er hält höhere Steuerzuschüsse für eine Möglichkeit, um den Anstieg der Kassenbeiträge abzufedern. Zudem gäbe es die Option, die Beitragsbemessungsgrenze anzuheben.

Die Beitragsbemessungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) legt fest, bis zu welchem Bruttoeinkommen Beiträge berechnet werden. Einkommen, das darüber hinausgeht, bleibt beitragsfrei. In diesem Jahr liegt die Beitragsbemessungsgrenze bei 5.512,50 Euro monatlich, was 66.150 Euro pro Jahr entspricht.

„Kostendämpfungsrunde“ unausweichlich

Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem von der Universität Duisburg-Essen hält eine sogenannte „Kostendämpfungsrunde“ nach der Bundestagswahl für unausweichlich.

„Das heißt, die Arzthonorare, die Arzneimittelpreise, die Anstiege der Gebühr im Krankenhaus müssen begrenzt werden für ein, zwei Jahre. Und ich denke, wir benötigen, auch wenn sich das unpopulär anhört, eine Erhöhung der Selbstbeteiligung der Versicherten“, so Wasem gegenüber dem MDR.

Seit 20 Jahren sei diese unverändert geblieben. Wasem betont zudem, dass langfristig auch über Leistungskürzungen nachgedacht werden müsse, da die Kosten angesichts der alternden Gesellschaft nicht sinken würden.



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