Finanzämter am Limit: Mehr als drei Millionen Einsprüche gegen Grundsteuer

Steuergewerkschaftschef Köbler: Einsprüche sind sinnlos, Bürger sollen davon absehen. Juristin widerspricht: Wer jetzt nicht Einspruch einlegt, kann in zwei Jahren nichts mehr ausrichten.
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Deutschlands Finanzämter sind aufgrund von Millionen von Einsprüchen gegen die Grundsteuererhöhung überlastet.Foto: iStock
Von 16. August 2023

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Deutschlands Finanzämter ächzen derzeit unter dem Protest gegen die Grundsteuererhöhung. Weil die Behörden mittlerweile rund drei Millionen Einsprüche bearbeiten müssen, bleiben anderen Arbeiten unerledigt, klagt Florian Köbler, Vorsitzender der Steuergewerkschaft, und bittet die Bürger in einem Interview mit dem „Mitteldeutschen Rundfunk“: „Hört auf, diese Einsprüche einzulegen. Sie sind vollkommen sinnlos. Sie bringen nichts, und sie halten im Grunde genommen die Steuerverwaltung von dem ab, wofür sie da ist: für Steuer, Gerechtigkeit und für einen guten und ehrlichen Steuervollzug zu sorgen.“

Es mangelt den Finanzbehörden an Fachkräften

Fakt sei nämlich, dass kein Verfassungsgericht die Grundsteuer für von Anfang an nichtig erklären würde. „Ansonsten wären die Städte und Kommunen pleite“, betont Köbler gegenüber dem Sender.

Der Gewerkschaftschef, der in diesem Zusammenhang schon mehrfach von einem „Einspruchs-Tsunami“ gesprochen hatte, machte aber noch weitere Probleme aus, die die Finanzämter in allen Bundesländern betreffen: So mangele es an Fachkräften, dadurch sei die ohnehin dünne Personaldecke bereits belastet: „Wir haben einige Bundesländer, in denen es nicht mehr gelingt, die Leute, die in Pension gehen, zu ersetzen“, schildert Köbler die Situation.

Auch müssten sie die nun während der Corona-Pandemie gewährte Fristverlängerungen abarbeiten – und die Millionen Einsprüche. Das binde Personal, das an anderen Stellen fehle, so der Vorsitzende weiter. Auf den Lohnsteuerbescheid müssten Bürger daher derzeit je nach Bundesland bis zu drei Monate warten – doppelt so lange wie üblich.

Es könnten noch 30 Millionen Einsprüche folgen

Köbler möchte mit seinem Aufruf die Bürger davon abhalten, gegen die massive Erhöhung der Grundsteuer zu protestieren. Viele Menschen befürchten, dass sie die Abgabe nicht mehr leisten können und ihr Eigentum verlieren. Doch ist es tatsächlich so, dass die Einsprüche das Papier nicht wert sind, auf dem sie stehen? Dass der Protest nur sinnlose Arbeit macht und die Finanzbehörden darin hindert, ihren eigentlichen Aufgaben nachzukommen?

Die Finanzjuristin Patricia Lederer von der Steuerrechtskanzlei TaxPro in Frankfurt am Main hat sich näher mit dem Thema beschäftigt und ist unter anderem zu dem Schluss gekommen, dass ein Protest sehr wohl angebracht ist.

Es sei schon „starker Tobak“, wenn Köbler behaupte, dass über drei Millionen Einsprüche sinnlos seien sollten. Vielmehr kündigt sie dem Finanzamt noch mehr Arbeit an.

So könnten noch 30 Millionen weitere Einsprüche folgen, denn „so viele Menschen sind in Deutschland Eigentümer. Ihnen gehört eine Wohnung oder ein Haus. Und sie legen Einspruch ein, denn sie wissen nicht, was die neue Grundsteuer letztlich in Euro in zwei Jahren ausmachen wird, wenn dann der Bescheid von der Gemeinde kommt. Deswegen fechten sie die Grundsteuer jetzt an.“

Regierung versprach eine Reform ohne Mehrkosten

Und ganz so einfach, wie Köbler die Dinge darstellt, sind sie nicht. In dem knapp 15-minütigen und bereits mehr als 100.000 Mal gesehenen Video auf YouTube nimmt sich Patricia Lederer die Aussage des Gewerkschaftschefs vor und erläutert den tatsächlichen Sachverhalt. So habe die Regierung versprochen, dass die Grundsteuer aufkommensneutral sei.

„Das bedeutet einfach, sie hat vorher so und so viel gekostet und wird nach der Reform nicht mehr kosten“, erläutert die Fachfrau. Somit hätten Eigentümer und Eigentümerinnen auf keinen Fall höhere Abgaben zu erwarten.

Fakt sei aber, sagt Patricia Lederer, dass viele Städte und Gemeinden bereits jetzt die Grundsteuer erhöhten, obwohl die neue Regelung erst in zwei Jahren in Kraft tritt. Zahlreiche Eigentümer hätten sich bei ihr gemeldet und von Grundsteuerbescheiden berichtet, die „um ein Vielfaches höher“ ausgefallen seien als bisher.

„Das bedeutet, jetzt wird’s teurer, und 2025 dann auch nochmal. Es sei denn, es gibt ein Urteil von den Gerichten und von ganz oben.“ Wenn Gewerkschaftschef Köbler allerdings sage, dass kein Gericht die neue Grundsteuer kippen würde, weil sonst die Kommunen pleite wären, stelle sich die Frage, ob er bereits „mehr weiß“.

Ist die Abgabe rechtmäßig oder rechtswidrig?

Steuerrechtlich gehe es allerdings gar nicht um die Höhe der Abgabe. In sämtlichen Musterklagen, wie etwa von Haus und Grund oder dem Bund der Steuerzahler, stehe die Frage im Mittelpunkt, ob die Grundsteuer rechtmäßig oder rechtswidrig ist.

Auf Köblers Appell an die Bürger, keine Einsprüche einzulegen, weil das „vollkommen sinnlos“ sei und nur die Steuerverwaltung davon abhalte, „für einen guten und ehrlichen Steuervollzug“ zu sorgen, entgegnet die Juristin: „Der wahre Grund ist doch im System, im Steuerrecht, da liegt der Teufel im Detail versteckt.“

Wer jetzt keinen Einspruch gegen den Grundsteuerbescheid des Finanzamtes einlege, könne dann gegen den Bescheid, der in zwei Jahren von den Kommunen komme, nichts mehr ausrichten. Man könne zwar auch dann noch Widerspruch einlegen, komme aber nicht weit, wenn nicht schon der Bescheid des Finanzamtes angefochten wurde.

Finanzämter sollen Verfahren bis zu Urteilen ruhen lassen

„Das ist einfach ein Detail im deutschen Steuerrecht: Ein Grundlagenbescheid vom Finanzamt, der muss offen sein und offenhalten tun Sie ihn eben nur mit einem Einspruch. Sonst können Sie in zwei Jahren nichts mehr dagegen ausrichten.“ Daher sei es zwingend notwendig, jetzt Einspruch einzulegen. Wer das jetzt versäumt, hat verloren, betont Patricia Lederer.

Den laut Gewerkschaftschef Köbler überlasteten Finanzämtern rät die Juristin, die Einspruchsverfahren bei der Grundsteuer ruhen zu lassen. Und zwar so lange, bis die Musterklagen durch die letzte Instanz gegangen sind und das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, ob die neue Grundsteuer rechtmäßig oder rechtswidrig ist.



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