FDP-Szenarien in Potsdam: Geplanter Regierungsbruch sorgt für Wirbel

Berichten zufolge plante die FDP im „Haus Erlenkamp“ bereits im September Szenarien für ein vorzeitiges Ende der Ampelkoalition. Mit Begriffen wie „D-Day“ und „Feldschlacht“ soll Parteichef Christian Lindner klargemacht haben, warum ein Verbleib in der Regierung für seine Partei unmöglich sei.
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Was sagt Christian Lindner zu den Novembertagen 2024?Foto: Tobias Schwarz/AFP via Getty Images
Von 17. November 2024

Deutschland spricht wieder über ein Treffen in einer Potsdamer Villa – dieses Mal allerdings geht es nicht um Geheimpläne zur Migration, sondern um Szenarien zu einem Scheiternlassen einer Regierung.

Glaubt man den Ergebnissen von Recherchen der „Zeit“ und der „Süddeutschen“, hat die FDP bereits im September im „Haus Erlenkamp“ Szenarien zum vorzeitigen Ampel-Aus durchgespielt.

Dabei sollen auch Begriffe wie „D-Day“, „Torpedo“ oder „Feldschlacht“ verwendet worden sein. Im Kern soll vor allem Parteichef Christian Lindner gegenüber Parteivorstand und Fraktion die Botschaft platziert haben: Es ist unmöglich, die FDP noch einmal in einen Wahlkampf zu führen, solange sie Teil der Ampelregierung ist.

Christian Lindner wollte kein zweiter Wolfgang Gerhardt werden

Den Berichten zufolge sollen die Spitzen der Liberalen in Anbetracht katastrophaler Ergebnisse bei Umfragen und Wahlen mehrere Szenarien durchgespielt haben.

Eines davon habe als „Wolfgang-Gerhardt-Szenario“ firmiert: Der 2024 verstorbene Politiker, der von 1995 bis 2001 die FDP geführt hatte, stand in fester Nibelungentreue zu Koalitionspartner Helmut Kohl. 1998 verlor die Partei mit diesem zusammen die Bundestagswahl und blieb mehr als zehn Jahre in der Opposition.

Vor allem Christian Lindner soll kategorisch gegen ein Ausharren in der Ampelkoalition bis zum regulären Wahltermin im September 2025 gewesen sein.

Auch deshalb hatte die Parteispitze den Berichten zufolge noch weitere Szenarien verfolgt. Das „Gerhard-Schröder-Szenario“ sollte zum Ziel haben, Kanzler Olaf Scholz dazu zu bringen, die Vertrauensfrage zu stellen. Dieses Szenario war am wenigsten planbar, denn es war komplett von dessen Bereitschaft dazu abhängig.

FDP ging zunehmend auf Konfrontation

Das dritte Szenario wurde mit „D-Day“ umschrieben. Dieses solle darin bestehen, die Koalitionspartner so lange zu reizen, bis der Kanzler von sich aus die FDP-Minister entlässt.

Der erste Schritt dazu sollte sein, mit einem Wirtschaftspapier vorzupreschen, von dem man von vornherein wusste, dass es nicht konsensfähig sei. Ein solches hatte Lindner tatsächlich wenige Tage vor seiner Entlassung am 6. November vorgelegt.

Zur Stufe zwei kam es dadurch gar nicht mehr. Diese hätte vorgesehen, dass ein vertrauliches Papier den Weg an die Presse fände, das vor allem die Grünen als Verursacher der Krise in Deutschland brandmarkte. Dies solle die Bereitschaft der Grünen steigern, die Koalition zu beenden, und mobilisierend auf die eigenen Wähler wirken.

Tatsächlich war die FDP in den Wochen und Monaten vor dem Koalitionsende vor allem zur SPD auf Konfrontation gegangen. So blockierte Lindner das Rentenpaket und betrieb eine Eskalationspolitik beim Bürgergeld. Die Grünen nahmen erstmals systematisch das Wirtschaftspapier vom 1. November ins Visier.

Lindner verweist auf Scholz-Erwägungen zur Vertrauensfrage

Der letzte Schritt sollte erst in den Wochen nach dem ersten Potsdamer Treffen präzisiert werden. Dabei sei es um die Narrative zum Ampel-Aus, um Zeitpläne und eine Strategie gegangen.

Möglicherweise wurde dieser Strategiestrang teilweise schon von der Realität überrollt. Am Tag der Entlassung Lindners warf Kanzler Scholz vor, diese von langer Hand geplant und durch ein inszeniertes Notstandsszenario ausgelöst zu haben.

Auch deshalb warf Lindner in einer ersten Reaktion auf die Berichte die Frage auf, wo die Nachricht daran steht. Er verwies zudem auf eine eigene Aussage des Kanzlers vom Freitag, 15. November, der zufolge Scholz bereits im Sommer über Lindners Entlassung nachgedacht habe. Außerdem habe er bereits im Sommer eine Vertrauensfrage erwogen.

Selbstverständlich hätte die FDP die Koalition verlassen müssen, wäre es zu keiner „Wirtschaftswende“ gekommen. Deshalb hätte er Scholz auch „einen gemeinsamen, geordneten Weg zu Neuwahlen vorgeschlagen“.

Sprecher der FDP wollten sich nicht offiziell zu Inhalten einer internen Sitzung äußern. Man habe jedoch spätestens seit dem Schuldenbremse-Urteil des Bundesverfassungsgerichts im November 2021 „Szenarien erwogen und Stimmungsbilder eingeholt“. Dabei habe „immer wieder und in verschiedenen Runden eine Bewertung der Regierungsbeteiligung“ stattgefunden.

SPD wirft FDP „Schmierentheater auf Kosten des Landes“ vor

Aus den Reihen von SPD und Grünen kam scharfe Kritik an den früheren Koalitionspartnern infolge der Berichte. SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich erklärte gegenüber dem „Spiegel“, er fühle sich „getäuscht“ und sei enttäuscht. Allerdings erschienen Vorkommnisse „im Nachhinein in einem neuen Licht“.

Mützenich äußerte, er habe sich bis zum Schluss bemüht, Kompromisse zwischen den Fraktionen herbeizuführen. Als besonders unpassend bezeichnete es der SPD-Fraktionschef, dass die FDP-Szenarien auf Begriffe wie „D-Day“ oder „Torpedo“ zurückgegriffen habe.

Erinnerungen an die Befreiung vom Faschismus und „tödliche Werkzeuge“ für die politische Inszenierung zu benutzen, zeige, „wie tief Herr Lindner gefallen ist“. Deutschland dürfe „nicht von Leuten regiert werden, die derart verantwortungslos und betrügerisch die Öffentlichkeit an der Nase herumführen“.

SPD-Chefin Saskia Esken sprach von einem „Schaden für die Vertrauenswürdigkeit von Politik“, den die FDP mit ihrem Agieren herbeigeführt habe. Christian Lindner und seine FDP hätten sich „mit diesem Schmierentheater auf Kosten des Landes als politische Kraft disqualifiziert“. In die gleiche Kerbe schlug auch die parlamentarische Grünen-Geschäftsführerin Irene Mihalic.

Sie erklärte, sie habe auch in der FDP Politiker kennengelernt, denen sie ein ehrliches Bemühen um Lösungen zubillige. Insgesamt habe die Partei jedoch nur getan, was vermeintlich ihr und Lindner nütze. Die Führungsspitze habe die FDP dadurch in den Abgrund gerissen:

„Diese Truppe braucht wirklich niemand. Sie schaden unserem Land.“

Altliberaler Baum sieht sich von eigener Partei „düpiert“

In der FDP selbst kritisiert der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum die kolportierten Szenarien. Er fühle sich „auch persönlich düpiert“, er habe noch am 26. Oktober im Fernsehen öffentlich für einen Verbleib der Liberalen in der Ampel plädiert. Man habe ihn über die Erwägungen nie informiert. Die Darstellung Lindners als „Kanzler-Opfer“ sei nun „brüchiger“ geworden, so Baum.

Demgegenüber erklärte Außenpolitiker Ulrich Lechte, er empfinde die Medienberichte als „nicht dramatisch“. Entscheidend sei, dass die FDP nicht mehr Teil der Ampel sei. Dies würden „die Wähler honorieren“.

Beobachter wie „Spiegel“-Journalist Jonas Leppin wiederum zeigen sich überrascht von der Redseligkeit, die Mitglieder der vertraulichen Runde an den Tag legten. Auf X schreibt er:

Andere sehen es als folgerichtig, dass Teile einer dysfunktionalen Koalition einen Ausstieg vorbereitet hätten.



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