FDP-Gesundheitsexperte Schinnenburg: „Das Verhalten der Bundesregierung ist eine Schande“
Die Maßnahmen zur Eindämmung der Coronakrise haben zu einer Einschränkung der Grundrechte geführt. In der Geschichte der Bundesrepublik ist dies ein einmaliger Vorgang. Denn Freiheitsrechte sind Grundrechte, die im Grundgesetz einen hohen Stellenwert haben. Einschränkungen sind vor diesem Hintergrund nur dann gerechtfertigt, wenn diese unbedingt notwendig sind und einen nachweislichen Nutzen haben.
Die FDP wollte es genauer wissen. Nachdem die Bundesregierung auf eine Anfrage der Liberalen im Januar zur Wirkung der einzelnen getroffenen Schutzmaßnahmen keine konkreten Daten nennen konnte, wandte sich die Partei Ende Juni nochmals mit einer Kleinen Anfrage an die Regierung.
„Für welche der seit Beginn der Corona-Pandemie umgesetzten Schutzmaßnahmen liegen wissenschaftliche Erkenntnisse über die Wirksamkeit vor, und welche Erkenntnisse sind dies?“, lautete eine der elf Fragen. Oder: „Was unternimmt die Bundesregierung, um die Wirksamkeit der einzelnen Schutzmaßnahmen zu evaluieren und zu untersuchen?“ Angesichts des sehr einseitigen wissenschaftlichen Diskurses Licht ins Dunkel bringen sollte diese Frage: „Hat sich die Bundesregierung mit kritischen Stimmen zu den Corona-Schutzmaßnahmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur auseinandergesetzt, und wenn ja, wie, und mit welchem Ergebnis?“
Nebulöse Antworten
„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen, den Vorhang zu und alle Fragen offen“, würde wohl Bertolt Brecht die acht Seiten umfassende Antwort der Bundesregierung zusammenfassen. Zur Frage bezüglich der wissenschaftlichen Erkenntnisse etwa heißt es diffus und langatmig: „Die genaue Auswirkung einzelner Maßnahmen auf das Infektionsgeschehen ist immer abhängig von vielen Faktoren, wie z. B. der Bevölkerungsstruktur, dem politischen System, den sozialen, ökonomischen und auch kulturellen Aspekten, die miteinander sowie mit anderen Faktoren wie der Saisonalität und der möglichen Entwicklung des Erregers interagieren. Durch dieses kontextspezifische Zusammenspiel einer sehr großen Anzahl an Variablen ist es nicht möglich, die Auswirkung einer einzelnen Maßnahme auf einen Indikator (z. B. Inzidenz) belastbar und generalisierbar zu quantifizieren und zwischen Ländern zu vergleichen.“ Mit wissenschaftlicher Evidenz hat diese Aussage wenig zu tun.
Um der Antwort zumindest einen akademischen Anschein zu verleihen, heißt es lediglich: „Die Evidenz zeigt klar, dass es immer die Umsetzung mehrerer gleichzeitiger Maßnahmen ist, die den Pandemieverlauf beeinträchtigen, also die Summe der Schutzmaßnahmen, die einen Rückgang von Infektionen herbeiführen.“ Einzeln aufgeschlüsselt wurden die Komponenten indes nicht.
Auskünfte ohne Neuigkeitswert
Ob sich die Regierung mit kritischen Stimmen zu den Corona-Schutzmaßnahmen in der rechtswissenschaftlichen Literatur auseinandergesetzt hat, bleibt angesichts dieser Antwort ebenfalls im Ungefähren. „Die Bundesregierung verfolgt kontinuierlich die (rechts)wissenschaftliche Diskussion der Coronavirus-Schutzmaßnahmen und lässt die daraus gewonnenen Erkenntnisse in ihre Abwägungsprozesse einfließen.“
Nicht weniger erhellend ist die Einlassung, dass „der Ausschuss für Gesundheit zu Gesetzesvorhaben der Bundesregierung in der Regel gemäß § 70 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages öffentliche Anhörungen oder öffentliche Fachgespräche mit externen Sachverständigen durchführt, die auch der Bundesregierung zur Meinungsbildung dienen“. Angehört würden fachspezifische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Fachdisziplinen, zu denen auch die Rechtswissenschaft gehöre.
In dieses Schema passt, dass „eine genaue Abschätzung der gesamtwirtschaftlichen Kosten, die mit der COVID-19-Pandemie verbunden sind, grundsätzlich schwer möglich ist.“ Konkret verweist die Antwort nur auf den Rückgang des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 um preisbereinigt insgesamt 4,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr 2019. Auch das Minus des BIP in den ersten drei Monaten dieses Jahres von 1,8 Prozent findet Erwähnung. Beides sind weithin bekannte Daten, die keiner besonderen Recherche bedürfen.
„Das Verhalten der Bundesregierung ist eine Schande!“
„Nichts Genaues weiß man nicht“, lässt sich die Antwort in Anlehnung an Karl Valentin auf den Punkt bringen. Oder, um es mit Shakespeare zu nehmen: „Viel Lärm um nichts.“ Sicher scheint nur: Ein „weiter so“ darf es auf dieser Grundlage nicht geben.
„Die Bundesregierung weiß es nicht genau“, titelte die „Welt“. Die Anfrage der FDP zeige, dass die Wirksamkeit im Einzelnen wissenschaftlich nicht belegt werden könne. „Die Bundesregierung kann für keine der ergriffenen Maßnahmen angeben, ob diese wirksam sind“, wetterte FDP-Gesundheitsexperte Wieland Schinnenburg auf Facebook. „Das ist ein ‚teurer Blindflug‘ zulasten der Freiheitsrechte und der Wirtschaft. Warum hat sie sich rechtlich nicht beraten lassen oder geprüft, ob Maßnahmen aus anderen Ländern hätten übernommen werden können?“
Gegenüber dem Portal „SNA News“ sprach Schinnenburg von „teuren Maßnahmen, die die Freiheit der Bürger stark einschränken und viele wirtschaftliche Existenzen gefährden, ohne dass diese auf ihre Wirksamkeit und Verfassungsmäßigkeit geprüft wurden.“ Dazu passe, dass Bundesminister Spahn ohne ausreichende Begründung vor einer Überlastung des Gesundheitswesens warnte. „Das Verhalten der Bundesregierung ist eine Schande!“
Dieser Artikel erschient in der Wochenzeitung Ausgabe KW31.
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