Kindesmissbrauch in der DDR stärker und länger tabuisiert als im Westen

Wurde sexueller Missbrauch in der DDR mehr tabuisiert als in der Bundesrepublik? Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs stellt Ergebnisse zu dieser These in einer Fallstudie vor.
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Über Missbrauch wurde zu DDR-Zeiten noch weniger gesprochen als in Westdeutschland.Foto: iStock
Epoch Times6. März 2019

Kindesmissbrauch ist in der DDR weitaus stärker und länger tabuisiert worden als im Westen. Sexueller Missbrauch habe nicht in das Bild der „heilen sozialistischen Gesellschaft“ gepasst, heißt es in einer am Mittwoch vorgelegten Fallstudie der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs. Es sei weder privat noch öffentlich über sexuelle Gewalt in Familien oder in staatlichen Einrichtungen gesprochen worden.

Der Analyse liegen 75 vertrauliche Anhörungen und 27 Berichte von Betroffenen zugrunde. Sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen gab es in der DDR demnach in allen Schichten, ähnlich wie in der alten Bundesrepublik. Gleichzeitig spielten das politische Machtsystem und das staatlich-repressive Erziehungssystem in der DDR eine besondere Rolle. So kam es in Institutionen wie Heimen und Jugendwerkhöfen, aber auch in Schulen, Musikschulen oder der Freizeiteinrichtung Pioniereisenbahn zu Missbrauch.

Oft endete die Flucht aus Heimen und Werkhöfen an der Staatsgrenze

Die Heimerziehung galt als geschlossenes System innerhalb des geschlossenen Systems DDR. Wenn Kinder und Jugendliche nach Misshandlungen und sexuellem Missbrauch versuchten, aus Heimen und Werkhöfen zu fliehen, endete diese Flucht spätestens an der Staatsgrenze. Flucht- und Suizidversuche führten in der Folge häufig zur Verlegung in restriktivere Heime bis hin zu den geschlossenen Jugendwerkhöfen.

„Innerhalb der Geschlossenheit der Heime konnte sexueller Missbrauch ausgeübt, verdeckt und normalisiert werden“, heißt es in der Fallstudie. Der ideologisch begründete Erziehungsauftrag der Heime – die Umerziehung – führte demnach zu Willkür auf Seiten der Täter und zu einem „extremen Ausgeliefertsein auf der Opferseite“.

Auch Menschen, die in der Familie missbraucht wurden, berichten demnach von einer „hochgradigen Verschwiegenheitspflicht“, die es ihnen in der Kindheit unmöglich machte, über sexuelle Gewalt zu sprechen. Nach außen habe das Bild „einer glücklichen Musterfamilie der DDR“ gelebt werden müssen.

„Das Schweigen wirkte lange nach und hält bis heute an“, erklärte Christine Bergmann, Kommissionsmitglied und frühere Bundesfamilienministerin.

Noch immer sagen Betroffene, dass sie kaum über ihren Heimaufenthalt in der DDR oder über die erlittene sexualisierte Gewalt sprechen können.“

Betroffene konnten, wenn überhaupt, erst nach dem Ende der DDR über die erlittene sexuelle Gewalt berichten und therapeutische Unterstützung finden. Es fehlt der Kommission zufolge an Hilfen wie Selbsthilfegruppen und Beratungseinrichtungen sowie ausreichenden Therapieangeboten und finanzieller Unterstützung.

Die Kommission hatte im Mai 2016 ihre Arbeit aufgenommen. Sie untersucht sämtliche Formen von sexuellem Kindesmissbrauch in der Bundesrepublik und in der DDR. (afp)



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