Experten zu 49-Euro-Ticket: Für Klimaschutz weitestgehend nutzlos und teuer

In den letzten Tagen wurde viel über die geplante Einführung des „Deutschlandtickets“ diskutiert. Vor allem die Finanzierung ist dabei ein großer Punkt. Zwei Professoren bezweifeln nun aber auch den klimapolitischen Nutzen eines solchen Tickets und fordern grundlegende Strukturreformen.
Fahrgäste steigen auf dem Hauptbahnhof aus einem Regionalzug.
Fahrgäste steigen auf dem Hauptbahnhof aus einem Regionalzug.Foto: Jens Büttner/dpa
Von 16. Februar 2023

Ab Mai soll das „Deutschlandticket“ kommen, das Nachfolgemodell des 9-Euro-Tickets. Für 49 Euro im Monat können Reisende dann die Busse und Bahnen im öffentlichen Nah- und Regionalverkehr nutzen.

Forderung nach belastbarer Finanzierung des Tickets

Ende März soll das entsprechende Gesetz für die Einführung des Tickets den Bundesrat passieren. Bundesländer und die Verkehrsbetriebe müssen bis dahin noch viele Details der Umsetzung klären. Die größte Hürde stellt hierbei die deutschlandweite Verteilung der Einnahmen aus dem Ticket-Verkauf dar. Bund und Länder sollen die entstehenden Kosten je zur Hälfte übernehmen. Diese sollen nach Schätzungen bei mindestens drei Milliarden Euro liegen. Gerade erst hat der Normenkontrollrat, ein seit dem Jahr 2006 existierendes Beratungsgremium der Bundesregierung, den Gesetzentwurf zur Finanzierung des 49-Euro-Tickets unter die Lupe genommen. Darüber berichtete am vergangenen Mittwoch unter anderem die „Rheinische Post“. Für den zuständigen Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ist das Ergebnis eine kräftige Watsche.

Folgekosten werden nicht berücksichtigt

In der Stellungnahme des Expertengremiums heißt es, „in wesentlichen Teilen“ seien die Folgen der Regelungen zur Änderung des Regionalisierungsgesetzes nicht nachvollziehbar aufgeführt. Vor allem beanstandet der Kontrollrat, „dass die zu erwartenden erheblichen Folgekosten, [welche den] Ländern sowie Verkehrsbetrieben bei der Verteilung der Mittel in Zusammenhang mit der Umsetzung des 49- Euro-Tickets entstehen werden, nicht dargestellt wurden“. Auch fehlten Angaben zu den Bürokratiekosten, die auf die Verkehrsunternehmen zukämen, um entstandene Mindereinnahmen nachzuweisen und dann die Erstattung zu beantragen.

Das „Handelsblatt“ berichtete auch unlängst darüber, dass das Ticket mangelhaft ausfinanziert sein könnte. Die Bundesländer rechnen offenbar damit, dass der Ticketpreis schon im kommenden Jahr angehoben werden muss. Dem Verkehrsausschuss des Bundesrates liegt ein Änderungsantrag der Länder zum Gesetzentwurf vor. Die Bundesländer wollen demnach den folgenden Passus im Gesetz verankern: „Der Preis wird in Abstimmung von Bund und Ländern jährlich festgeschrieben.“ Im Änderungsantrag schreiben die Bundesländer, wie das Handelsblatt schreibt, dass die Abstimmung auch die „Möglichkeit oder auch die Notwendigkeit, den Preis anzupassen“ beinhalten müsse.

Wenn die Nachfrage nach dem Deutschlandticket sinken sollte oder wenn weder Bund noch Länder bereit sind, mehr als die vereinbarten 1,5 Milliarden Euro als Subvention zu zahlen, sollen die Verluste über Preiserhöhungen ausgeglichen werden.

9-Euro-Ticket brachte schon keinen Verlagerungseffekt

Für die Regierungsparteien ist das Projekt „49-Euro-Ticket“ ein Beitrag zur Verkehrswende und damit zum Klimaschutz. Schon kurz vor dem Auslaufen des „9-Euro-Tickets“ im vergangenen Jahr hatten vor allem die Grünen eine Anschlusslösung ins Spiel gebracht. In einem entsprechenden Konzeptpapier von Parteichefin Ricarda Lang, Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge und dem nordrhein-westfälischen Verkehrsminister Oliver Krischer wurde ein Regionalticket für 29 Euro und ein bundesweit gültiges Ticket für 49 Euro vorgeschlagen. „Der lang ersehnte Fortschritt für Klimaschutz und nachhaltige Mobilität, den das 9-Euro-Ticket in den vergangenen Monaten erreicht hat, darf jetzt nicht leichtfertig verschenkt werden. Deshalb braucht es dringend eine dauerhafte Nachfolgeregelung, die gleichzeitig einfach und günstig ist“, hieß es damals. Der Vorschlag der Grünen sollte die Menschen langfristig finanziell entlasten und dem Klima helfen. Gerade Letzteres wird nun aber von zwei Professoren infrage gestellt.

Die beiden Wirtschaftswissenschaftler Frank Fichert und Rüdiger Sterzenbach stellen in einem Beitrag im Blog der „Ludwig Erhard Stiftung“ den klimapolitischen Nutzen des Tickets infrage. Das 49-Euro-Ticket koste Bund und Länder viele Milliarden, ist aber für den Klimaschutz weitgehend wirkungslos. So lässt sich der Beitrag zusammenfassen.

Zuerst schauen beide Professoren auf das „9-Euro-Ticket“ und hinterfragen den tatsächlichen Nutzen. Im Beitrag schreiben die Wissenschaftler:

 

Zwar wird mitunter bereits die Zahl von über 50 Millionen verkauften 9-Euro-Tickets als Erfolg gepriesen. Dies erinnert jedoch eher an einen Kneipenwirt, der sich über die vielen verkauften Cocktails während der „Happy Hour“ freut, dabei aber übersieht, dass die Kunden danach zu einer anderen Bar weitergezogen sind.“

Das Ticket sei erst einmal der Bestandteil eines Pakets der Bundesregierung gewesen, um die unter der Inflation und den hohen Energiepreisen leidenden Bürger zu entlasten. „Da für einen begrenzten Zeitraum die Energiesteuer auf Benzin und Diesel abgesenkt wurde („Tankrabatt“), wollte sich die Regierung wohl nicht dem Vorwurf aussetzen, den weniger umweltbelastenden Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) zu benachteiligen“, vermuten die Professoren.

Die im Nachgang in der öffentlichen Diskussion immer wieder genannten Kosten von rund 2,5 Milliarden Euro seien „fast komplett“ Einnahmeausfälle, die den Verkehrsanbietern entstanden sind. Regelmäßige Nutzer der Verkehrsmittel brauchten sich damals keine Monatskarte zu kaufen. Gelegenheitsnutzer wären, durch den Niedrigpreis, auf die öffentlichen Verkehrsmittel umgestiegen, da der reguläre Fahrpreis deutlich über neun Euro gelegen hätte.

Insgesamt müsse aber gelten, dass Umwelt und Klima nur dann von einer ansteigenden Anzahl von Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel profitieren, wenn der Autoverkehr gleichzeitig zurückgeht. Dieser Verlagerungseffekt sei sowohl während der drei Sommermonate als auch insbesondere danach weitestgehend ausgeblieben.

Im ländlichen Raum ein „Ladenhüter“

Für die Verfehlung der klimapolitischen Ziele gibt es aus Sicht der Autoren eine Erklärung. „Insbesondere bei regelmäßig zurückgelegten Wegen, also etwa zur Arbeitsstätte, ist nicht vornehmlich der Preis, sondern die Angebotsqualität für die Verkehrsmittelwahl entscheidend. Konkret geht es um die Gesamtreisezeit – in Verbindung mit Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, dem Beförderungskomfort und nicht zuletzt auch der subjektiv empfundenen Sicherheit in Verkehrsmitteln und Stationen“, schreiben die Professoren. Um Menschen langfristig für einen Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel zu gewinnen, brauche es eine „Angebotsausweitung“ und „oftmals auch ein besseres Netzmanagement“. Im ländlichen Raum wäre das 9-Euro-Ticket, aufgrund des Netzes, ein „Ladenhüter“ gewesen.

Keine Anreize auf Ausrichtung nach Kundennutzen

Ein weiteres Problem sehen Fichert und Sterzenbach darin, dass der ÖPNV in Deutschland überwiegend eine „staatliche Veranstaltung“ sei, die meistens von kommunalen Betrieben erbracht werde. Diese würden oftmals, selbst mit Landes- und Bundeszuschüssen, defizitär arbeiten. Diese Finanzierungslücke würde dann durch Überschüsse zum Beispiel der Energie- oder Wasserversorgung „quersubventioniert“ oder aus dem Kommunalhaushalt ausgeglichen. „Es ist unmittelbar erkennbar, dass durch dieses Defizitausgleichssystem nur geringe Anreize zur effizienten Leistungserstellung und zur Kundenorientierung bestehen“, schlussfolgern die Verkehrsexperten. Zwar sei es aus Sicht der Verkehrsbetriebe wichtig, die Entscheider in den kommunalen Gremien von der Wichtigkeit des Angebots zu überzeugen, da sonst Zuschüsse ausblieben – aber ein echter Marktanreiz zur besseren Ausrichtung des Angebots auf die Wünsche der Kunden entstehe nicht.

In anderen Bereichen, insbesondere im Schienenpersonennahverkehr (SPNV) und in einigen Regionen auch im Busverkehr, finde zumindest ein regelmäßiger Ausschreibungswettbewerb statt. Allerdings werden die Angebotsmerkmale umfassend und teilweise bis hin zu den kleinsten Details von den öffentlichen „Aufgabenträgern“ oder von ihnen beauftragten Dienstleistern, etwa Verkehrsverbünden, festgelegt. Im Wettbewerb gehe es dann nur noch darum, die vorgegebene Leistung zu den geringsten Kosten zu erbringen. Die Innovationsfunktion des Wettbewerbs bliebe daher weitestgehend ungenutzt. Hinzu komme, dass die Aufgabenträger und Verkehrsverbünde immer mehr Ressourcen für diese Planungs- und Koordinationsaufgaben beanspruchen, sodass in vielen Regionen die „Wachstumsrate der Zahl der öffentlich finanzierten ÖPNV-Planer deutlich über der Wachstumsrate der Zahl der ÖPNV-Nutzer“ liege.

Nicht neues Geld einfach in das bestehende System pumpen

Kritisiert wird weiter der „Konkurrenzsozialismus“. Im Schienenverkehr würden oftmals keine privaten Unternehmen um Aufträge konkurrieren, sondern beispielsweise die bundeseigene DB mit landeseigenen Bahn- oder sogar Busgesellschaften. Egal wer die Ausschreibung gewinne, das Risiko unternehmerischer Fehlplanungen müsse auf jeden Fall der Steuerzahler tragen.

Beide Verkehrsexperten warnen bei dieser Struktur davor, einfach nur Geld in „dieses System zu pumpen“. Das würde erst einmal das Angebot ausbauen, die Fehlanreize blieben aber bestehen und die Verlagerung auf Busse und Bahnen bliebe nur gering. Das Deutschlandticket könnte, je nachdem wie die Mittel zugewiesen werden, die Kundenorientierung der öffentlichen Anbieter und Behörden sogar eher weiter schwächen. Wolle man die Verkehrswende erreichen, komme man an Strukturreformen nicht vorbei.

Eine Strukturreform ist aber im Moment nicht im Blick. Schaut man gerade wieder auf die Diskussionen der letzten Tage rund um das Deutschlandticket, so stehen lediglich Finanzierungsaspekte im Vordergrund.



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