Experten warnten Merkel vor Pkw-Maut – Krischer: Kanzlerin hat CSU-Politiker „vor die Wand fahren lassen“

Bedenken gegen die Pkw-Maut gab es von Anfang an. Experten im Kanzleramt warnten Kanzlerin Merkel immer wieder vor den europarechtlichen Risiken des CSU-Projekts. Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer, beklagt: Die Kanzlerin habe ihre Verkehrsminister Dobrindt und Scheuer "sehenden Auges" vor die Wand fahren lassen.
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Epoch Times5. März 2020

Im Kanzleramt unter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sind jahrelang immer wieder schwere europarechtliche Bedenken gegen die Pkw-Maut-Pläne der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und später Andreas Scheuer (CSU) erhoben worden.

Dies geht aus zahlreichen Unterlagen aus dem für Verkehrspolitik zuständigen Referat des Bundeskanzleramts hervor, über welche die „Welt“ (Donnerstagsausgabe) berichtet. Ein erster Einwand sei schon 2014 erhoben worden, als der damalige Verkehrsminister Dobrindt regierungsintern seinen Plan vorstellte, eine Maut („Infrastrukturabgabe“) zwar sowohl von Ausländern wie Inländern zu erheben, aber deutschen Autofahrern durch Senkungen der Kfz-Steuer jede Zusatzbelastung zu ersparen.

Zu diesem Plan des Bundesverkehrsministeriums (BMVI) habe der Leiter des im Kanzleramt für Verkehrspolitik zuständigen Referats am 27. Juni 2014 folgendes Votum abgegeben: „Keine Zustimmung zur kurzfristigen Veröffentlichung des von BMVI vorgelegten Konzepts.“

„Nicht zulässig dürfte es sein, dass die von Inländern gezahlte Infrastrukturabgabe auf die Steuer angerechnet wird, da auf diese Weise die Pkw-Maut bei Inländern über die Steuer erstattet wird“, heißt es zur Begründung in dem an den damaligen Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) gerichteten Schreiben, über das die „Welt“ berichtet.

Auch das Bundesfinanzministerium äußerte Bedenken

Es bestehe „eine erhebliche Gefahr“, dass die EU-Kommission „und im Fall einer sehr wahrscheinlichen Klage“ auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Regelung „als einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung von EU-Ausländern interpretiert“.

Der Referatsleiter aus dem Kanzleramt stand mit seinen Bedenken nicht allein: Als zwei Monate später das Verkehrsministerium das Konzept zur Ressortabstimmung an die anderen Ministerien verschickt hatte, habe der Referatsleiter am 28. August 2014 in einem direkt an „Frau Bundeskanzlerin“ gerichteten Schreiben darauf verwiesen, dass auch das Bundesfinanzministerium europarechtliche Einwände habe. „Eine eindeutige Verrechnung der Infrastrukturabgabe mit der Kfz-Steuer nur für Inländer, die zu einer Diskriminierung von EU-Ausländern führe, dürfe nicht erfolgen“, habe es in einer Stellungnahme des Finanzministeriums geheißen.

In der Folge habe das Verkehrsministerium sein Konzept überarbeitet und versucht, durch andere Formulierungen sowie geänderte Kfz-Steuersätze den Eindruck zu vermeiden, dass es für Inländer eine Eins-zu-Eins-Kompensation für die Maut geben soll. Diese neuen Pläne kommentierte das Kanzleramtsreferat am 28. Oktober 2014 so: „Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass die Kommission (und im Fall einer Klage auch der EuGH) die vorgesehene Regelung als einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung von EU-Ausländern interpretiert.“

Konflikte waren vorprogrammiert

Als der Plan im Dezember 2014 dennoch vom Kabinett beschlossen werden sollte, hieß es in einem Vermerk des Referats: „Trotzdem dürfte die Vereinbarkeit mit dem Europarecht eine wesentliche Hürde für das Gesetzesvorhaben werden.“ Tatsächlich kam es dann zu Konflikten mit der EU-Kommission, die die Maut-Pläne als europarechtswidrig einschätzte.

Dass Deutschland in diesem Streit obsiegen würde, hielt man in dem Referat für unwahrscheinlich: „Die Hoffnungen von BMVI, vor dem EuGH reüssieren zu können, müssen skeptisch beurteilt werden“, heißt es in einem Schreiben vom 22. April 2016, über das die „Welt“ berichtet. Zwar gelang danach eine Einigung mit der EU-Kommission. Aber im Oktober 2017 klagte Österreich beim EuGH gegen die deutsche Maut.

Als das Gericht im Juni 2019 der Klage stattgab und die deutsche Pkw-Maut für europarechtswidrig erklärte, schrieb der Leiter jenes Referats am 18. Juni 2019 direkt an Merkel: „Ein negatives EuGH-Urteil stand immer zu befürchten.“

„Augen-zu-und-durch“

Der stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Oliver Krischer, sprach von einer „Augen-zu-und-durch“-Mentalität. „Es gab in den verschiedenen Ministerien und im Kanzleramt deutliche Warnungen“, aber diese seien „im Verkehrsministerium und von den CSU-Ministern komplett ignoriert“ worden, sagte Krischer der „Welt“.

Dem Kanzleramt und damit auch Merkel sei früh klar gewesen, dass „das Lieblingsprojekt der CSU voraussichtlich vor dem EuGH keinen Bestand haben“ würde, kritisierte der Grünen-Verkehrsexperte Stephan Kühn, Mitglied im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut. Aber „sehenden Auges“, habe „die Kanzlerin ihre Verkehrsminister Dobrindt und Scheuer vor die Wand fahren“ lassen, so der Grünen-Politiker. (dts/so)



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