Experten warnen: Krawalle wie in Großbritannien „grundsätzlich“ auch in Deutschland möglich

Die Gewaltexzesse in Großbritannien nach dem Amoklauf von Southport haben auch in Deutschland Besorgnis über mögliche Ausschreitungen hervorgerufen. Extremismusforscher halten Zustände wie zu Beginn der 1990er-Jahre in Deutschland für möglich. Andere sehen noch eine intakte „Brandmauer“ gegen Gewalt.
Im Zuge der Krawalle wurden auch Fahrzeuge angezündet.
Im Zuge der Krawalle wurden auch Fahrzeuge angezündet.Foto: Owen Humphreys/PA Wire/dpa
Von 6. August 2024

Nach erneuten Ausschreitungen und Zusammenstößen extremistischer Gruppen in Großbritannien in der Stadt Plymouth hat Premierminister Keir Starmer harte Gegenmaßnahmen angekündigt. An Protagonisten der Krawalle richtete der frühere Oberstaatsanwalt die Ankündigung, diese würden „es bereuen, an diesen Unruhen teilgenommen zu haben“. Am Montag, 5. August, berief er eine Sitzung des nationalen Krisenstabs an seinem Amtssitz in der Londoner Downing Street ein. Die Regierung hat 6.000 Spezialkräfte mobilisiert. Zudem seien mehr als 500 zusätzliche Gefängnisplätze freigeräumt worden, sagte Justizministerin Heidi Alexander.

Auslöser der Krawalle: Amoklauf eines 17-Jährigen

Unterdessen ist in Deutschland eine Debatte entbrannt, ob Gewaltexzesse, wie sie Großbritannien in den vergangenen Tagen erlebt hatte, auch in Deutschland möglich wären.

Auslöser der Krawalle war der Amoklauf eines 17-Jährigen in Southport. Dieser hatte bei einem Angriff auf einen Taylor Swift Tanzkurs drei Mädchen erstochen und mehrere Kinder verletzt.

Bis zur Anklageerhebung durfte die Identität des minderjährigen Tatverdächtigen aus gesetzlichen Gründen noch nicht gelüftet werden. Doch in sozialen Medien wurden Gerüchte gestreut, ein Asylbewerber aus einem muslimischen Land habe die Tat begangen. Der „BBC“ zufolge waren einige dieser Beiträge geprägt von islamfeindlichem und rassistischem Hass. Schon bald kam es zu gewaltbereiten Aufmärschen vor Moscheen und Wohnstätten von Asylsuchenden.

Tatsächlich war der Tatverdächtige in Großbritannien geboren, seine Eltern waren legal aus dem zu 95 Prozent christlichen Ruanda nach Wales eingewandert. Die Familie war auch bis dahin polizeilich nicht auffällig geworden. Hinweise auf ein ideologisches Motiv für die Bluttat in Southport gibt es keine.

Augenzeugen schildern schockierende Szenen.

Augenzeugen schildern schockierende Szenen in Southport. Foto: James Speakman/PA Wire/dpa

Musk: „Bürgerkrieg ist unvermeidlich“

Die Proteste sollen zur Zerstörung einer Mauer vor einer Moschee, von Fensterscheiben und der Verbrennung eines Polizeiwagens geführt haben. Weitere Ausschreitungen soll es anschließend in London und Hartlepool gegeben haben. Im Internet kursieren ebenfalls Fotos und Videos von Plünderungen.

Gewaltbereite Muslime haben die Demonstranten angegriffen. „Servus TV“ zeigt Bilder von Männern mit Migrationshintergrund, die mit Holzlatten und Stangen bewaffnet durch mehrere Städte in Großbritannien ziehen. Sie hätten wahllos auf Briten eingeschlagen und diese teilweise schwer verletzt.

Laut „BBC“ haben viele verschiedene Faktoren zu den Ausschreitungen beigetragen. Allgemeiner Wut über die Einwanderungspolitik bis zu Fragen über die Transparenz von Regierung und Polizei sowie das Timing habe wahrscheinlich eine Rolle gespielt. Betont wird die Rolle von sozialen Medien, allen voran die Verbreitung von einwanderungsfeindlichen und antimuslimischen Ansichten auf der Plattform X. Elon Musk, Eigentümer von X, kommentierte selbst die Ausschreitungen mit den Worten: „Bürgerkrieg ist unvermeidlich“

Elon Musk zu den Ausschreitungen in Großbritannien am 4. August auf X: „Bürgerkrieg ist unvermeitlich“.

Der ehemalige Guardian-Redakteur Alan Rusbridger erklärte in einem Artikel: „Elon Musks Fehlinformationsmaschine hat die Schrecken von Southport noch viel schlimmer gemacht.“

Anscheinend nutze die Regierung die Ausschreitungen, um Internetzensur und Kontrolle zu intensivieren, schreibt der „Off-Guardian“. Premierminister Keir Starmer sagte, er wolle mit einer neuen Polizeieinheit und einem verstärkten Einsatz von Überwachungs- und Gesichtserkennungstechnologie den Akteuren begegnen, um „ihre Bewegungen einzuschränken“. Außerdem erklärte er:

Und lassen Sie mich auch den großen Social-Media-Unternehmen und denjenigen, die sie betreiben, sagen: Gewalttätige Unruhen, die eindeutig online geschürt werden, sind auch ein Verbrechen. Es geschieht auf Ihrem Gelände. Und das Gesetz muss überall beachtet werden.“

Doch klar ist auch, wie die „BBC“ betont: Proteste und Gewalt dieser Art gab es schon lange vor der Existenz des Internets.

Konrad-Adenauer-Stiftung sieht „schon gewisse Vorstufe“ in Deutschland

Gegenüber „Bild“ haben sich einige politische Verantwortungsträger und Experten zu Wort gemeldet. Das Blatt hatte die Frage aufgeworfen, ob eine Eskalation mit Mobs, die in mehreren Städten Moscheen oder Polizeibeamte angreifen, auch in Deutschland möglich wäre. Peter R. Neumann vom King’s College London hält ein solches Szenario „grundsätzlich“ für vorstellbar, vorwiegend in Ostdeutschland.

Allerdings fehle dem gewaltbereiten Teil der extremen Rechten ein „charismatischer Anführer“, als den man den früheren EDL-Führer Tommy Robinson einordnen könne. Zudem gebe es in Deutschland immer noch eine „Brandmauer“ gegen Gewalt.

Hingegen sieht Felix Neumann von der Konrad-Adenauer-Stiftung „schon eine gewisse Vorstufe von dem, was wir in England sehen“. In der rechtsextremen Szene sei ein gewisses Gewaltpotenzial vorhanden. Sogenannte Reichsbürger, Identitäre oder Querdenkende hätten „definitiv eine Mobilisierungsfähigkeit“, so Neumann. Der bekannte Berliner Politologe Hajo Funke sieht eine „zunehmende Gewaltbereitschaft“. Jüngste Angriffe auf Wahlkämpfer seien bereits „kleine Explosionen“.

Messerkriminalität und spektakuläre Straftaten als mögliche Aufhänger

Felix Neumann geht davon aus, dass es nicht zwingend eines gravierenden Ereignisses wie des Amoklaufs von Southport bedürfe, um eine Gewaltwelle in Gang zu setzen. Sogar „etwas Banales“ könne infolge einer Eigendynamik in den sozialen Medien ausreichen, um eine Kettenreaktion auszulösen.

Tatsächlich hatten in Deutschland in den vergangenen Jahren bereits mehrere Ereignisse zu einer Radikalisierung des politischen Diskurses beigetragen. Dazu zählten aufsehenerregende Gewalttaten, die Asylsuchenden zugeordnet werden konnten, wie der Mord an Mia aus Kandel im Dezember 2017 oder die Messerattacke von Brokstedt 2023.

In sozialen Medien spielt zudem das Narrativ eine bedeutende Rolle, dass Einwanderer für eine zuletzt weiter angestiegene Zahl an Straftaten verantwortlich wären, die unter Verwendung eines Messers begangen wurden. Da es laut „BR-Faktenfuchs“ nur unzureichende statistische Erhebungen gibt, lässt sich dieses in belastbarer Weise weder bestätigen noch widerlegen. Allerdings sind Berichte über Straftaten mit Messereinsatz erfahrungsgemäß in besonderem Maße mit Mutmaßungen in sozialen Medien verbunden.

Jahrelange Massenvergewaltigungen

Wiederum belegt ist die Tatsache, dass im nordenglischen Rotherham einer der größten Missbrauchskandale Großbritanniens jahrelang nicht oder nur schleppend aufgeklärt wurde, weil Mitarbeiter in den Behörden Angst hatten, als Rassisten abgestempelt zu werden.

Titelbild „Daily Mirror“ vom 27. August 2014: „Der abscheuliche sexuelle Missbrauch junger Mädchen durch asiatische Banden dauerte 16 Jahre, weil die Verantwortlichen Angst hatten, als rassistisch abgestempelt zu werden, wenn sie dagegen vorgingen …“

Der „Mirror“ schreibt dazu:

Mehrere Mitarbeiter schilderten ihre Nervosität, wenn es darum ging, die ethnische Herkunft der Täter zu benennen, weil sie fürchteten, für rassistisch gehalten zu werden.“

Andere hätten sich an klare Anweisungen ihrer Vorgesetzten erinnert, dies nicht zu tun. 1.400 Kinder und Jugendliche sollen zwischen 1997 und 2013 in der Region sexuell missbraucht worden sein. Laut „Augsburger Allgemeine“ habe es sich dabei um Banden von Männern mit meist pakistanischen Wurzeln gehandelt. Da es sich bei den Opfern vor allem um weiße, minderjährige Britinnen handelte, fragt die Zeitung, „ob die Bemühungen um eine Integration vieler Einwanderer und deren Kinder in das westliche Wertesystem misslungen sind“.

Erste rassistisch motivierte Krawalle unmittelbar nach der Wiedervereinigung

Dass es auch in Deutschland ein in ähnlicher Weise mobilisierbares Gewaltpotenzial geben könnte wie in Großbritannien, deutet auch der Verfassungsschutz an. Der Inlandsgeheimdienst geht davon aus, dass von etwa 40.600 Personen, die er 2023 dem rechtsextremistischen Spektrum zuordnete, rund 14.500 als gewaltorientiert einzustufen seien. Die Zahl der rassistisch motivierten Gewalttaten sei im Vorjahr zudem um 17,2 Prozent gestiegen.

Eine massive rechtsextremistisch motivierte Gewaltwelle mit Angriffen auf Einwanderer und Asylsuchende hatte es in Deutschland bereits Anfang der 1990er-Jahre gegeben. In Städten wie Rostock oder Hoyerswerda kam es dabei auch zu Zusammenrottungen mehrerer hundert Bewohner, die sich zu gewaltbereiten Mobs formierten.

Besonders schwere Gewalttaten gingen bislang in diesem Bereich jedoch bisher von Einzelpersonen oder klandestin operierenden Kleingruppen aus. Dazu zählen die tödlichen Brandanschläge von Mölln und Solingen 1992 und 1993, die NSU-Morde von 2000 bis 2007, der Anschlag von Halle/Saale oder der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (2019).

Bei der Radikalisierung der Täter spielen häufig organisierte Netzwerke sowie Echokammern im Internet eine Rolle. Sicherheitsbehörden und der Verfassungsschutz bemühen sich um eine kontinuierliche Überwachung dieser Strukturen, um Eskalationspotenziale zu identifizieren.

Linksextremes Gewaltpotenzial wächst ebenfalls – Radikalisierung auch unter Hamas-Sympathisanten

Ein weiteres Eskalationsrisiko stellen linksextremistische Gruppen dar, deren Gewaltbereitschaft nach Einschätzung von Verfassungsschutzbehörden ungebrochen hoch ist. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht von einem wachsenden linksextremen Gewaltpotenzial aus. Im Vorjahr sei dieses auf 11.200 angewachsen. Von diesen seien etwa 8.300 der autonomen Szene zuzuordnen.

Im Einwanderermilieu hatten in den 1980er- und 1990er-Jahren im urbanen Milieu Gangs wie die „36 Boys“ oder die „36 Juniors“ teils militante Strukturen gegen rechtsextreme Übergriffe gebildet. Heute besteht jedoch auch die Gefahr einer breiteren Radikalisierung, wie sie zuletzt bei den Protesten gegen den Gazakrieg zu beobachten war. Auch bei den Ausschreitungen in England war die Palästinenserfahne oft zu sehen und die Parole „free Palestine“ zu hören.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, hat im Kontext der Ereignisse von Großbritannien von einer „Warnung“ gesprochen. Er äußerte gegenüber „Bild“, dass „die Migrationspolitik in einigen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wird und zum Erstarken populistischer Bestrebungen beiträgt“. Es dürfe „nicht der Eindruck entstehen, dass der Staat nicht mehr Herr der Lage ist“.



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