Ex-Wirtschaftsweiser sieht weitere Belastung für Bürger – klimafreundliche Kernkraft würde helfen

Wirtschaftszweige werden abwandern, der Wohlstand wird sinken. Die Politik hätte Möglichkeiten, das zu verhindern. Der Höhepunkt der Inflation ist in Europa noch nicht erreicht.
Titelbild
Volker Wieland.Foto: Getty Images/Tobias Schwarz/AFP
Von 10. Dezember 2022

Der ehemalige Wirtschaftsweise Volker Wieland mahnt die SPD, gemeinsam mit der FDP alle verfügbaren Energiequellen zu nutzen, um noch schwereren Schaden von der Wirtschaft abzuwenden. Wieland ist geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) und war bis April 2022 Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

In einem Interview mit der „Welt“ sprach er unter anderem davon, dass es eine Illusion sei, dass die Belastung der Bürger insgesamt wirklich reduziert werde.

SPD könnte Deindustrialisierung stoppen

Die deutsche Wirtschaft sei von der Energiekrise stark getroffen, so Wieland. Im Frühjahr lagen die Prognosen für die Steigerung der Wirtschaftsleistung bei drei bis vier Prozent. „Derzeit stehen wir bei minus 0,2 bis minus ein Prozent. Das ist ein großer Rückgang.“

Dass die SPD vor einer Deindustrialisierung warne, nannte er „interessant“. Schließlich stellten die Sozialdemokraten den Kanzler und hätten so Einfluss darauf, den Energiemangel im Land zu beheben. „Wir haben drei Atomkraftwerke, die man reaktivieren könnte, die Laufzeit der drei noch laufenden könnte man noch viele Jahre verlängern, das Fracking im eigenen Land könnte man erlauben, um die großen eigenen Schiefergasvorkommen zu nutzen. Damit wäre viel gewonnen.“

Den Begriff Deindustrialisierung halte er für übertrieben, dennoch warne er vor einer Fortsetzung und Verschärfung des Negativtrends in der Industrie, der bereits seit 2017 andauere.

Mangelnde Offenheit für Technologien

Kritisch werde das kommende Jahr. Wenn das russische Gas durch Flüssigerdgas (LNG) ersetzt werde, werde das „sehr teuer“, weil Deutschland am Weltmarkt mit einer wieder anlaufenden chinesischen Wirtschaft konkurriere.

Mittelfristig gehe er davon aus, dass insbesondere die energieintensive Industrie deutlich weniger in Deutschland investiere und Produktion massiv ins Ausland verlagere. „Aber auch andere Bereiche könnten schwächeln“, glaubt Wieland. Als Gründe nennt er die ausgeprägten Klimaschutzvorgaben, fehlende Offenheit für Technologie und das Aus für den Verbrennungsmotor.

„Die deutsche Wirtschaft verliert in Branchen, in denen wir hohen Mehrwert schaffen, an denen gut bezahlte Arbeitsplätze hängen und die ertragreiche Innovationen hervorbrachten“, erläutert der Ex-Wirtschaftsweise. Diese Wirtschaftszweige könnten nun woanders entstehen. Und das gehe auf Kosten des hiesigen Wohlstands.

Zertifikatehandel für Emissionen ausweiten

Möglichkeiten, dies zu verhindern, hätte die Politik, sagt Wieland und nennt als Beispiel den Klimaschutz. „Die Politik operiert mit jährlichen Zielvorgaben zu den CO₂-Emissionen in Einzelbereichen, die dann mit Ordnungspolitik nachjustiert werden. Stattdessen wäre es sinnvoll, den europäischen Emissionszertifikatehandel für Energie und Industrie auf Verkehr und Gebäude auszuweiten, um Emissionen EU-weit zu deckeln und dort einzusparen, wo es kostengünstig ist“, führt er aus. Aktuell müsste Deutschland außerdem die Kohleverstromung ausweiten. „Da würde es helfen, die klimafreundliche Kernkraft zu nutzen.“

Selbst Gaskraftwerke, die zukünftig mit selbst gefördertem Gas betrieben werden könnten, seien klimafreundlicher. Das würde bei der Überbrückung der nächsten 20 Jahre helfen. „Die SPD sollte zusammen mit der FDP darauf drängen“, so Wieland weiter.

Pragmatismus bei den Grünen

Bei den Grünen habe er zwar einen gewissen Pragmatismus festgestellt, „nur leider nicht mit Blick auf die Kernkraft“. Zwar sei das Ende der Kernkraft „die DNA der Partei“. Doch falle es schon auf, dass die parteiinterne Anti-Akw-Bewegung stärker sei als die für den Klimaschutz.

Immerhin seien die Grünen aber dafür offen, Kohlekraftwerke wieder anzufahren. „Das war auch dringend nötig, weil uns sonst die Energie fehlt, wenn kein Wind weht und die Sonne nicht scheint.“

Rufe nach höheren Steuern

Auf die Bürger sieht Wieland enorme Belastungen zukommen. „Es ist ja erst einmal eine Illusion, dass die Belastung der Bürger insgesamt wirklich reduziert wird“, sagte er. Schließlich verteile die Regierung hauptsächlich zulasten des Steuerzahlers um.

Die Inflation beschere dem Staat schon jetzt höhere Steuereinnahmen und senke die Realeinkommen dort, wo es keine ausgleichenden Lohnerhöhungen gibt. Erste Vorschläge, den Abbau der kalten Progression aufzuschieben, machten bereits die Runde. Außerdem stehe ein Energie-Soli im Raum.

Des Weiteren steigen die Staatsschulden. „Die Regierung sagt zu Recht, sie wolle die Schuldenbremse und die europäischen Schuldenregeln zukünftig wieder einhalten. Das könnte sie zwar erreichen, indem sie die Ausgaben besser kontrolliert, aber es werden schon wieder Rufe nach höheren Steuern laut“, zitiert die „Welt“ den Fachmann.

Die Rettungspakete hätte man nach Wielands Ansicht kleiner halten müssen. Viele Haushalte und Unternehmen bekämen Unterstützung, obwohl sie keine benötigten.

EZB soll Zinsen weiter erhöhen

Der Höhepunkt der Inflation sei in Europa noch nicht erreicht. Der Beitrag der Energiepreise zur Teuerung werde sich nach Wielands Ansicht zwar abschwächen: „Dann fällt die Inflation vielleicht auf fünf Prozent, also die Kernrate ohne Energie. Aber es bleibt ein weiter Weg zur Preisstabilität. Die Zinsen müssten perspektivisch 2023 wieder deutlich über der Inflation liegen. Das erfordert weitere Zinserhöhungen“, erläutert er.

Wieland hatte der Europäischen Zentralbank (EZB) im Kampf gegen die Inflation weitere Zinsschritte empfohlen. Die EZB sei auch weiterhin unabhängig und könne die Zinsen weiter erhöhen. „Und die Staaten können die Schulden auch tragen, wenn sie wollen. Aber deren Druck ist hoch, denn sie haben natürlich lieber niedrige Finanzierungskosten.“

„Macron und Meloni haben bereits öffentlichen Druck auf die EZB aufgebaut, mit den Zinserhöhungen aufzuhören.“ Es sei wichtig, dass man da dagegenhält. Die höher verschuldeten Staaten hätten bereits umfangreiche Transfers über das Aufbaupaket erhalten, das das Bundesverfassungsgericht kürzlich abgesegnet habe.

Fehleinschätzungen zur Inflation kein Ruhmesblatt

Dass in den vergangenen Jahren Akteure aus der Politik zur EZB wechselten, ist aus Wielands Perspektive „für sich genommen kein Fehler“. Natürlich sei Fachwissen über Geldpolitik wünschenswert. Vor allem aber sei es wichtig, dass die EZB unabhängig agiere.

„Alle Ratsmitglieder müssen ihre Unabhängigkeit nutzen, um das Mandat der EZB zu erfüllen. Wenn sie das nicht tun, wird das im Rückblick der Geschichte wie ein Versagen aussehen und Glaubwürdigkeit kosten. Die Fehleinschätzungen zur Inflation waren schon mal kein Ruhmesblatt“, analysierte er.

Keine Eile bei Vergabe der Staatsbürgerschaft

Keine Eile sieht Wieland bei der Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft, um Fachkräfte anzulocken. „Ich habe lange in den USA gelebt. Dort geht es zuerst um Chancen, um Bildung und Arbeit, nicht um die Staatsbürgerschaft.“

Weil das Sozialsystem nicht so großzügig sei, begännen Einwanderer schneller zu arbeiten. „Wir brauchen Fachkräfte aus dem Ausland. Dazu müssen wir aber gezielter vorgehen als bisher“, meint er. Mit Blick auf das Bürgergeld sagte der Ex-Wirtschaftsweise, dass es auch lohnen müsse, zu arbeiten. „Wenn wir die Arbeitslosigkeit und das Sozialsystem so gestalten, dass sich Arbeit nicht lohnt, haben wir ein Problem.“



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion