Ex-Wehrbeauftragter forderte Paradigmenwechsel: „Bürokratisierung schränkt die operative Flexibilität immer weiter ein“

„Ohne Veränderung wird es nicht gehen“, schrieb der ehemalige Bundeswehrbeauftragte Dr. Hans-Peter Bartels in seinem Jahresbericht 2019. Denn die Belastung der Bundeswehr wachse weiter.
Titelbild
Die Bundeswehr.Foto: Jens Schlueter/Getty Images
Von 17. Juni 2020

An Kritik an den Zuständen in der Bundeswehr mangelt es im Bericht des damals zuständigen Bundeswehrbeauftragten nicht: Personallücken, materielle Mangelwirtschaft und bürokratische Überorganisation bleiben vielerorts prägend für den Alltag. Alte Strukturen und Prozesse passten längst nicht mehr, wodurch viele Anstrengungen ins Leere laufen.

„Die zunehmende Bürokratisierung in allen Bereichen schränkt die operative Flexibilität immer weiter ein. Der strikte Prozessvollzug ist wichtiger geworden als das operative Ziel, ausgebildete Besatzungen mit einsatzbereiten Luftfahrzeugen rechtzeitig für den Einsatz bereitzustellen.“ Das habe auch das Marinefliegerkommando in seinen vorbereitenden Unterlagen für einen Truppenbesuch des Wehrbeauftragten vermerkt. – „Das klingt nicht gut. Aber es ist ehrlich“, kommentierte Bartels.

Über 20.000 Dienstposten „oberhalb der Mannschaftsebene“ seien unbesetzt. Aufgrund mangelnden Personals müssten immer wieder die gleichen Spezialisten die Lücken füllen, das gehe eindeutig zu Lasten der Vereinbarkeit von Dienst und Familienleben. So richete eine Erzieherin im Namen eines fünfjährigen Kita-Kindes am 18. Dezember 2019 folgende Zeilen an das Amt des Wehrbeauftragten:

Mein Papa arbeitet für die Bundeswehr in Afghanistan in Mazar-e Sharif. Erst war mein Papa von Sommer bis fast zu Nikolaus dort. Ich habe ihn sehr vermisst. Jetzt ist er zu Hause und muss in zehn-mal-schlafen wieder dorthin.“

Zwar sei das nicht der Regelfall, aber eine derartige Situation komme zu oft vor.

Fehlende Ausrüstung

Auch das „schleppende Beschaffungswesen“ wurde von Bartels kritisiert. Dabei liege es „gewiss nicht“ am Engagement des Bundeswehrpersonals, sondern an „offensichtlich dysfunktional gewordenen Strukturen auf der Amtsseite“ – und nicht selten am Know-how und Personaldefiziten auf Seiten der Industrie.

„Vertrauen ging verloren“, sagte Bartels. Die Strategie absoluter „Risiko“-Minimierung im Management großer Rüstungsprojekte könne zur Maximierung des Risikos für die Truppe führen, die dann mit veralteter oder eben keiner Ausrüstung kämpfen müsse. Im Berichtsjahr habe das Verteidigungsministerium nun endlich konkrete Reformen des Rüstungsbereichs angekündigt – „kleinere zunächst“, heißt es weiter in dem Bericht.

Ein „mutiger Paradigmenwechsel“ sei wünschenswert. Laut dem früheren Wehrbeauftragten müsse das meiste, was die Streitkräfte an Ausrüstung brauchen, vom Rucksack bis zum leichten Verbindungshubschrauber, nicht immer wieder erst in umständlichen „funktionalen Fähigkeits-Forderungen“ abstrakt definiert, dann europaweit ausgeschrieben, neu erfunden, vergeben, getestet, zertifiziert und schließlich in kleinen Tranchen über 15 Jahre hinweg in die Bundeswehr „eingeführt“ werden.

Man könne es auch einfach kaufen. Insoweit müsse man wegkommen von dem Grundsatz, dass für deutsches Militär immer alles „Design“ sein muss, weil es sonst nichts taugen würde. Er forderte: „Hin zum ‚IKEA-Prinzip‘: aussuchen, bezahlen und mitnehmen!“

Bei neuen Kampfpanzern bis hin zur Raketenabwehr könne hingegen die Designer-Lösung mit modernster Technik gelten. Ein derartiger dualer Beschaffungsweg könne Zeit, Geld und Personal sparen, die Vollausstattung beschleunigen und vor allem die Nerven der Soldatinnen und Soldaten schonen, die noch immer unter dem „dynamischen Verfügbarkeitsmanagement“ leiden.

Lösungsansätze werden nicht umgesetzt

„Die radikale Zentralisierung aus der Ära des Schrumpfens ist kontraproduktiv geworden in Zeiten, die eine volle Einsatzbereitschaft der ganzen Bundeswehr erfordern.“ Aus dem Programm „Innere Führung – heute“, das 2017 erarbeitet wurde, gebe es Vorschläge zu einer inneren Reform, die umgesetzt werden sollte. „Dezentrale, ganzheitliche Verantwortungswahrnehmung in Bataillonen, Brigaden und Geschwadern lautet das Gebot der Stunde.“

Mit Strukturen und Prozessen aus der Schrumpfungsphase der Bundeswehr seien die Trendwenden allerdings nicht zu schaffen. Zusätzliche finanzielle Mittel seien nötig.

Die „Trendwende Material“ habe bis heute noch nicht zu spürbaren Verbesserungen geführt. Das, was da sei, sei häufig nicht einsatzbereit: Es gebe zu wenig oder keine Ersatzteile, oder Instandsetzungskapazitäten fehlten.

Bei der Mangelverwaltung wird es auf absehbare Zeit bleiben, länger als geplant.“

Das hat das Verteidigungsministerium dem Verteidigungsausschuss zum Ende des Berichtsjahres mitgeteilt. Nicht zu verstehen sei für den Wehrbeauftragten, dass es bisher nicht einmal gelungen sei, das Bundeswehrpersonal komplett mit neuer persönlicher Ausrüstung auszustatten, etwa mit Schutzwesten.

Schutzwesten-Beschaffung auf Druck

Erst auf Bartels Drängen wurde der Beschaffungsumfang der MOBAST-Schutzwesten von 5.000 auf 10.000 verdoppelt – „ein kleiner Schritt“. Bekleidung, Gefechtshelme, Rucksäcke, Nachtsichtgeräte; alles komme zu langsam und in zu geringen Stückzahlen.

Zu Recht habe bereits Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei seinem Besuch auf einem Bundeswehrstützpunkt festgestellt: Der Einsatz, „den die Soldatinnen und Soldaten für die Sicherheit der Deutschen leisten, der verdient nicht nur Respekt und Anerkennung, sondern die Soldatinnen und Soldaten dürfen auch erwarten, dass sie dafür die bestmögliche Ausrüstung erhalten.“

Im September 2019 habe die Verteidigungsministerin eine Reform des Managements beim Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Gang gesetzt. Nun komme es auf die Umsetzung der Maßnahmen an, deren Wirkung in einem neuen Controlling-System laufend bewertet werden solle.

Kommunikationsprobleme zur Bewerbung

Immer wieder berichten Bewerber und Soldatinnen und Soldaten von falscher Beratung im Karrierecenter und Fehlern im Bewerbungsverfahren, betonte Bartels und nannte folgendes Beispiel:

Ein Soldat hatte sich vor Ablauf seiner Dienstzeit beim zuständigen Karrierecenter für eine Wiedereinstellung in eine höhere Laufbahn beworben. Nachdem eine Antwort auf seine Bewerbung längere Zeit ausblieb, erhielt er auf seine Nachfrage die Auskunft, als aktiver Soldat könne er sich nicht als Wiedereinsteller, sondern lediglich für einen Laufbahnwechsel bewerben. Die Bewerbungsbearbeitung sei deshalb eingestellt worden. Abgesehen davon, dass man ihn darüber hätte aktiv informieren müssen, war die Auskunft falsch. Eine Wiedereinstellung kann rechtlich und tatsächlich erst nach dem Ausscheiden eines Soldaten aus dem aktiven Dienst erfolgen. Das Bewerbungs- und Auswahlverfahren für eine Wiedereinstellung ist jedoch bereits während der aktiven Dienstzeit möglich. Das Ministerium nahm den Fall zum Anlass, die Karrierecenter entsprechend zu belehren.

Kritik gebe es auch an den von Karrierecentern durchgeführten Eignungsfeststellungsverfahren:

Ein Bewerber um Wiedereinstellung in die Laufbahn der Feldwebel hatte bereits bei einer früheren Bewerbung in die Laufbahn der Offiziere erfolgreich an einem Eignungsfeststellungsverfahren teilgenommen, dessen Ergebnis noch gültig war. Dennoch forderte das Karrierecenter eine komplett neue Bewerbung mit vollständigen Unterlagen an.

Die Bewerbung sei zum Anlass genommen worden, um Verfahrenswege und Abläufe auf Optimierungsbedarf zu überprüfen.

Probleme im Karriercenter

Bartels schilderte darüber hinaus:

In einem weiteren Fall lud ein Karrierecenter eine Petentin mehrmals für die Eignungsfeststellung ein und dann kurzfristig wieder aus. Grund waren Personalausfälle im Ärztlichen Dienst sowie Bürofehler. Sie zog daraufhin ihre Bewerbung zurück. Die Bundeswehr schloss die Bearbeitung der Bewerbung ab, statt sich nochmals an die enttäuschte Bewerberin zu wenden und gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.

Auch beim Einsatz in sicherheitsrelevanten Bereichen und damit verbundenen Prüfungsverfahren gibt es Probleme. Besonders ärgerlich seien die Verzögerungen, die hätten  vermieden werden könnten. Ein Beispiel:

Bei einem Stabsunteroffizier erforderten die von ihm angegebenen Kontakte zu Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken Befragungen. Die Sicherheitsüberprüfung dauerte mehr als drei Jahre. Die Bearbeitungsdauer verlängerte sich allein dadurch um elf Monate, dass der Vorgang zwischenzeitlich an eine unzuständige Stelle des Abschirmdienstes gegangen war.

Es gab noch einen Fall:

Ein Oberfeldwebel, dessen Geburtsort in der Russischen Föderation lag, eingesetzt bei der Transportstaffel der Flugbereitschaft, wartet seit über vier Jahren auf seine Sicherheitsüberprüfung. Deswegen darf er sich seither weder alleine im Flugsicherheitsbereich bewegen noch an Flugzeugen arbeiten, die auf ein neues Abwehrsystem umgerüstet werden.

„Solche Fehler müssen, wenn sie denn passieren, durch effizientere Verfahrensabläufe schneller erkannt werden“, kritisierte Bartels.

Finanzielle Ausstattung

„Licht und Schatten kennzeichnen die Trendwende Finanzen“, heißt es im Bericht weiter. Seit 2014 sei der Etat beständig gestiegen:

2014 – 32,4 Milliarden Euro
2015 – 33 Milliarden Euro
2016 – 34,3 Milliarden Euro

2017 – 37 Milliarden Euro
2018 – 38,5 Milliarden Euro
2019 – 43,2 Milliarden Euro

Für das Jahr 2020 hat der Deutsche Bundestag Verteidigungsausgaben von 45,1 Milliarden Euro beschlossen.

Mietkosten: 2,6 Milliarden Euro

Seit 2011 zahlt die Bundeswehr Miete für die von ihr genutzten Bauten und Flächen. Jährlich bezahlt die Bundeswehr 2,6 Milliarden Euro an die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImA), an die die Immobilien übertragen wurden.

Dieses Geld diene nicht „im engeren Sinne“ der Auftragserfüllung der Streitkräfte. Das politische Motiv für die Einführung der BImA-Mieten etwa dürfe in Zeiten, in welchen nicht Schrumpfung, sondern moderates Wachstum erforderlich ist, entfallen sein. Die Bundeswehr brauche heute zusätzlichen Kasernenraum und „kein haushalterisches Anreizsystem (linke Tasche/rechte Tasche) für Kasernenschließungen“, bekräftigte Bartels.

Der rüstungsinvestive Anteil des Bundeswehretats stieg 2019 gegenüber 2018 um 2,2 Milliarden Euro. Von diesem Zuwachs konnte aber im Berichtsjahr nur die Hälfte tatsächlich ausgegeben werden.

Das Soll für militärische Beschaffungen sowie für Forschung, Entwicklung und Erprobung war mit 8,3 Milliarden veranschlagt, das Ausgabe-Ist liegt bei 7,2 Milliarden Euro. Angesichts der vielen bisher nicht erfüllbaren Ausrüstungsbedarfe für die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr sei ein nicht genutzter „Rest“ von 1,1 Milliarden Euro schmerzlich.

Immerhin konnte ein Teil dieses Geldes im Haushaltsjahr umgeschichtet werden, etwa für Kapitalaufstockungen bei bundeseigenen Gesellschaften. 500 Millionen Euro aus 2019 fließen in die neue „Rücklage zur Gewährleistung überjähriger Planungs- und Finanzierungssicherheit für Rüstungsinvestitionen“, um damit voraussichtlich den Etat 2021 zu stärken.

Bartels Amtszeit nicht verlängert

Bartels war von der SPD-Fraktionsführung nicht für eine zweite Amtszeit nominiert worden, obwohl er wiederholt Interesse an einer weiteren Amtszeit signalisiert hatte. Er war seit fünf Jahren im Amt. Für die Wahl des Amtes im Mai 2020 trat die SPD-Politikerin Eva Högl gegen den AfD-Politiker Gerold Otten an, Högl wurde gewählt.

Der Bericht des Wehrbeauftragten wird am Freitag, dem 19. Juni 2020, um 9:00 Uhr vor dem Bundestag präsentiert. Hier geht es zum Jahresbericht des Wehrbeauftragten 2019.



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