Ex-Verfassungsgerichtspräsident Papier: Krisenmanagement der Bundesregierung muss von Gerichten geprüft werden
Seit Mitte März gelten in Deutschland massive Einschränkungen der Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Bewegungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Glaubensfreiheit und Eigentumsrechte.
Nachdem sich die Pandemie-Lage allmählich entspannt und das Gesundheitssystem nicht wie befürchtet kollabiert ist, gehen die öffentliche und politische Meinungen hinsichtlich des Aufrechterhaltens der Regierungsmaßnahmen durch Bund und Länder auseinander.
Die wöchentlich stattfindende Fridays-For-Future-Demo wurde abgelöst durch Bürger-Proteste zum Schutz des Grundgesetzes. Bürger, die mit dem Grundgesetz auf der Straße in Berlin unter Bewahrung der Abstandsregeln und Kontaktbeschränkung demonstrierten, erhielten Platzverweise und Bußgelder.
Schießen die Maßnahmen über das Ziel hinaus?
Sind die Maßnahmen gerechtfertigt oder schießen sie über das Ziel hinaus? Ex-Verfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier gibt in einem Podcast von Gabor Steingart einen Überblick über den verfassungsrechtlichen Rahmen und fordert die juristische Aufarbeitung der Corona-Beschränkungen.
Die Gesetzeslage müsse für künftige Pandemien weiter angepasst werden, um Staatswillkür vorzubeugen und die Demokratie und Freiheiten zu wahren. Katastrophen dürften nicht zu einem Staatssystem zurückführen, in dem Bürger als politisch unmündige Untertanen betrachtet werden, so der Staatsrechtler.
Papier: „Maßnahmen sind rechtfertigungsbedürftig, nicht die Lockerungen“
Papier hält eine Notstandsregelung in einer Demokratie für äußerst rechtfertigungsbedürftig. Das Regierungshandeln muss in jeder Situation justiziabel sein, sich auf die Verfassung stützen und sämtliche Maßnahmen müssen ständig auf ihre Rechtsmäßigkeit überprüft werden.
„Die Maßnahmen sind rechtfertigungsbedürftig, nicht die Lockerungen oder Aufhebung der Maßnahmen“, sagt Papier zur Rechtslage. Das abzuwägen sei für eine Regierung eine schwere Aufgabe, die nur interdisziplinär unter Hinzuziehung medizinischer und wissenschaftlicher Erkenntnisse beantwortet werden könne.
Normalerweise werden in einer Demokratie alle Entscheidungen hinsichtlich der Grundrechte und Freiheiten von den Parlamenten getroffen. Doch diese seien am Anfang der Krise mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz in ihrer Funktion an den Rand gedrängt worden, so Papier.
Der Staat sei angesichts einer gesundheitlichen Bedrohung gefordert, Schutzmaßnahmen für die Bevölkerung zu treffen, doch rechtfertigten diese nicht per se Eingriffe in die Freiheitsrechte. Und noch weniger dürfte die Entscheidung für Freiheitsbeschränkungen den Virologen und Medizinern überlassen werden, betont der Verfassungsrechtler.
Mangelhaftes Infektionsschutzgesetz
Das Infektionsschutzgesetz ist aus Sicht von Hans-Jürgen Papier sehr allgemein verfasst und wenig aussagekräftig. Ein Shutdown sei darin weder angesprochen noch geregelt.
„Eine solche massive und nicht nur kurzzeitige Einschränkung des gesellschaftlichen und individuellen Lebens sollte nicht auf so eine generelle Klausel gestützt werden dürfen und dem weitgehenden Ermessen von 16 Landesregierungen und ihren nachgeordneten Behörden überantwortet sein.“
Ansprüche von Geschäftsinhabern wie Gastronomen gegenüber dem Staat, denen durch den Shutdown Einnahmen verloren gingen oder deren Existenz zerstört wurde, sind im Infektionsschutzgesetz nicht geregelt. Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen müssten jetzt durch die Gerichte geprüft werden, sagt der Staatsrechtler weiter.
Die Wahrung der Demokratie geht aus Sicht des ehemaligen Verfassungsgerichtspräsidenten allerdings nur, wenn die Bürger die individuellen Freiheiten einer Demokratie schätzen. Wenn man aus Wunsch nach Sicherheit seine Verantwortung an den Staat abgibt, dann könne Demokratie nicht mehr gewährleistet werden. Denn, so Papier, „Demokratie bedeutet eben Freiheiten“. (nh)
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