EU-Kommission: Deutsche Grenzkontrollen müssen „absolute Ausnahme bleiben“
Die EU-Kommission hat Deutschland in der Migrationspolitik an die europäischen Grundregeln erinnert. Von Mitgliedsländern angekündigte Grenzkontrollen müssten „notwendig und verhältnismäßig“ sein und den Vorschriften des Schengener Grenzkodex entsprechen, sagte Kommissionssprecherin Anitta Hipper am Dienstag in Brüssel. „Daher sollten derartige Maßnahmen eine absolute Ausnahme bleiben“, betonte sie.
Ob die neuen deutschen Grenzkontrollen diese Grundprinzipien respektieren, wollten weder Hipper noch Chefsprecher Eric Mamer bewerten. Die Bundesregierung habe die Maßnahmen in Brüssel angemeldet und diese würden nun geprüft, betonten beide. Alles Weitere sei „Spekulation“, sagte Hipper.
Die Kommission antwortete damit auf die Frage, ob sie einen Dominoeffekt fürchte, wenn nach Deutschland auch andere europäische Länder die Grenzkontrollen verschärften. Österreich hat bereits angekündigt, von Deutschland zurückgewiesene Geflüchtete nicht aufnehmen zu wollen.
Baerbock warnt vor nationalen Alleingängen in Migrationspolitik
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat sich gegen nationale Alleingänge im Vorgehen gegen die irreguläre Migration ausgesprochen. Die europäischen Länder müssten „die Kraft haben für gesamteuropäische Lösungen“ und dürften „nicht in Alleingänge verfallen“, sagte Baerbock am Dienstag in Berlin. Eine klare Absage erteilte die Ministerin dem Vorschlag der CDU, dass Deutschland eine „nationale Notlage“ gemäß EU-Vertrag ausrufe, um Geflüchtete an den deutschen Grenzen zurückzuweisen.
Solche Notlagen-Forderungen seien „keine Option“ und hätten „bei unseren Nachbarländern Stirnrunzeln hervorgerufen“, sagte Baerbock. Es müsse nun auch darum gehen, die Freizügigkeit im Schengen-Raum „zu verteidigen, anstatt sie zu gefährden“.
Baerbock räumte ein, dass bis zum Inkrafttreten des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS) im Vorgehen gegen die irreguläre Migration „effektive Maßnahmen auch an den Grenzen“ erforderlich seien. „Das tun wir ja bereits, in Einzelfällen auch mit Zurückweisungen“, fügte sie hinzu.
Union drängte vorab auf „eine wirkliche Veränderung“
Vor Beginn des Migrationstreffens sagte der Parlamentsgeschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU): „Wir werden sehen, ob wir die gleiche Sichtweise haben und gemeinsam vorgehen können“. Die Union drängt dabei auf „einen großen Wurf“, dieser müsse „eine wirkliche Veränderung“ bringen.
Frei führte nach eigenen Angaben seit Montag zwei Telefonate mit Faeser, die die Union dazu brachten, in die erneuten Gespräche zu gehen.
Frei fordert die „Zurückweisung derer, die aus anderen EU-Staaten kommen und an der Grenze um Asyl bitten“. Dies wäre eine radikale Abkehr von der bisherigen Praxis: Bislang werden Asylsuchende von der Grenze in Aufnahmelager im Gebiet der Bundesrepublik gebracht; erst dort wird dann geprüft, ob ein anderes EU-Land nach den so genannten Dublin-Regeln für das Asylgesuch zuständig ist.
Frei räumte ein, dass die Rechtslage in der Frage der Zurückweisungen an den Grenzen „nicht völlig klar“ sei. Dies bedeute im Umkehrschluss aber nicht, dass man an den Grenzen von vornherein nicht zurückweisen könne.
Innenministerium hält Zurückweisung von Geflüchteten an Grenze für bedenklich
Das Bundesinnenministerium hält die Zurückweisung von schutzsuchenden Geflüchteten aus Drittstaaten im Rahmen der wiedereingeführten Binnengrenzkontrollen für rechtlich bedenklich. Dies geht aus einem aktuellen Rechtsvermerk des Ministeriums hervor, welcher der Nachrichtenagentur AFP am Dienstag vorlag.
In dem Papier sieht das Innenministerium kaum Chancen zur Umsetzung der CDU-Forderung, in Deutschland einen nationalen Notstand gemäß EU-Recht auszurufen, um Geflüchtete an den Grenzen zurückweisen zu können.
Es handele sich um „eine Ausnahmevorschrift“, auf die sich noch kein EU-Staat erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof berufen habe, heißt es in dem Papier des Ministeriums. Diese Vorschrift setze „das Vorliegen einer tatsächlichen und hinreichend schweren Gefährdung“ voraus. Die Bundesregierung müsste demnach konkret darlegen, dass die Ausnahme „erforderlich sowie verhältnismäßig ist“.
Hierbei komme dem Mitgliedsstaat zwar ein Beurteilungsspielraum zu, die Anforderungen seien aber „eng“. Erforderlich wäre eine „substantielle Darlegung der Ausnahmesituation“.
Die Union hatte sich bei ihrer Forderung auf Artikel 72 AEUV (Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) berufen. Dieser beschreibt die „Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit“. Die Union hatte argumentiert, dass die öffentliche Ordnung und die Sicherheit in Deutschland durch die Migration gefährdet seien.
Das Innenministerium weist in dem Rechtsvermerk zudem darauf hin, dass ein solches Vorgehen auf Grundlage von Artikel 72 AEUV durch den Europäischen Gerichtshof gerichtlich überprüft werden könnte. In Betracht kommt demnach unter anderem die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Deutschland.
Faeser will Asyl-Schnellverfahren in Grenznähe
Kurz vor dem Treffen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mit Vertretern von Ampel-Parteien, Union und Ländern hatte sich angedeutet, mit welchem Vorschlag die Ministerin in das Gespräch gehen wird.
Wie der „Tagesspiegel“ berichtet, wird Faeser die von CDU-Chef Friedrich Merz geforderte nationale Notlage nicht anwenden. Das Innenministerium habe den Vorschlag intensiv geprüft, sei aber zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Notlage keinen Bestand vor dem Europäischen Gerichtshof hätte. Auch aus grünen Regierungskreisen hieß es, die Vorschläge von Merz seien „europarechtskonform eindeutig nicht machbar“.
Stattdessen will Faeser offenbar Asyl-Schnellverfahren in Grenznähe einführen. Dabei sollen Geflüchtete, die an der Grenze Asyl beantragen, grenznah untergebracht werden. Bis zur Prüfung ihres Antrags sollen sie in temporären Unterkünften untergebracht werden.
Bei einer Ablehnung sollen die Geflüchteten von dort aus direkt abgeschoben werden. Diese Regelung sei europarechtskonform, versicherten mehrere Regierungsquellen, so der „Tagesspiegel“.
Offenbar nimmt die Bundesregierung für ihren Vorschlag vor allem die Länder Bayern und Sachsen in den Fokus, weil hier die meisten Geflüchteten einreisen. Beide Länder werden von der Union geführt.
Faesers Ankündigung von Kontrollen an deutschen Landesgrenzen
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Montag Grenzkontrollen an allen deutschen Landgrenzen angekündigt. Sie sollen am 16. September beginnen und zunächst sechs Monate dauern. Faeser begründete dies mit der Notwendigkeit zur „Begrenzung der irregulären Migration“ und „dem Schutz der inneren Sicherheit“.
Das Schengener Abkommen garantiert seit 1995 Reisefreiheit in Europa. Grenzkontrollen sollen eigentlich nur an den Außengrenzen des Schengenraums aus 29 Ländern stattfinden. Mitgliedsländer können in begründeten Fällen aber Kontrollen wieder einführen – wie im Fall Deutschlands zunächst für ein halbes Jahr, mit der Möglichkeit zur Verlängerung.
In der Vergangenheit begründeten Länder wie Frankreich oder Italien dies mit der Flüchtlingskrise und Terrorgefahren. Umstritten waren vor allem die verschärften deutschen Kontrollen wegen Gesundheitsrisiken in der Corona-Pandemie. (afp/red)
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