Ethikrat warnt vor Benachteiligung junger Menschen
Kinder und Jugendliche hatten es während der Pandemie und während der Lockdowns nicht einfach. Sie sahen ihre Klassenkameraden nur mit Masken, hatten kein Fußballtraining, erlebten die Job-Ängste der Eltern hautnah oder mussten sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass Oma stirbt, wenn man sie besucht.
Solche Szenarien aus den vergangenen zwei Jahren kommen einem bei der Lektüre der neuesten Ad-hoc-Empfehlung, die der Deutsche Ethikrat am Montag (28.11.) vorstellte, in den Sinn.
Der Tenor des 8-seitigen Schriftstücks mit dem Titel „Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in gesellschaftlichen Krisen nicht allein lassen“, das sich auf die Pandemiezeit bezieht, ist: Die Belastungen bei den jüngsten 20 Prozent der Deutschen habe zu psychischen Problemen geführt, mit denen diese noch immer zu kämpfen haben.
Daher forderte die Vorsitzende des Ethikrates, Alena Buyx, am Montag in Zukunft „umso mehr darauf zu achten, dass Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene nicht noch einmal derart einseitig in ihrer Lebensentfaltung beschränkt werden“.
Ethikrat: „Das war zu wenig“
Ethikrat-Mitglied Stephan Rixen betonte mit Hinsicht auf die Maßnahmen während der Pandemie, dass es „mit guten Gründen Entscheidungen geben“ kann, „die trotzdem, wie wir jetzt sehen, eben keine guten Folgen haben“.
Bei der Bewältigung der Pandemie habe der Fokus zunächst fast ausschließlich auf Gesundheit im Sinne körperlicher Unversehrtheit gelegen. „Andere Dimensionen eines umfassenden Gesundheitsverständnisses, insbesondere die psychische Integrität“ seien zu lange unberücksichtigt geblieben.
Dafür müsse die Gesellschaft und auch der Deutsche Ethikrat Verantwortung übernehmen. Dieser habe zwar seine Stimme erhoben, „aber das war zu wenig“, so Buyx.
Der Deutsche Ethikrat habe bereits in seiner Stellungnahme „Vulnerabilität und Resilienz in der Krise – Ethische Kriterien für Entscheidungen in einer Pandemie“ (4.4.2022) auf die Belastungen hingewiesen – „nach rückblickender Einschätzung allerdings zu spät“. Man hätte mehr auf ein konkretes gesellschaftliches und politisches Handeln dringen müssen.
Stabiler familiärer Kontext hilfreich
„Wie es Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen in unterschiedlichen Altersphasen gelungen ist, sich an die hereinbrechenden Veränderungen der Alltagsabläufe anzupassen und diese zu gestalten, ist angesichts ständig neuer Belastungen und sich ändernder Rahmenbedingungen beeindruckend.“
Jugendliche hätten die Verlagerung des Lernens in den digitalen Raum, den Wegfall vieler Angebote der Freizeitgestaltung, die Trennung von Freundinnen und Freunden sowie Familienmitgliedern mit Fantasie, digitaler Vernetzung und der Ausbildung neuer Fähigkeiten „überraschend gut bewältigt.“
Andererseits gehörten zum Alltag in der Pandemie auch Konflikte in der Familie bis hin zu Gewalterfahrungen, die junge Menschen besonders in den Zeiten massiver Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen oft in ausweglose Situationen brachten. Die jüngere Generation erlebte Erwachsene und Ältere zum Teil als „ängstlich, gestresst und überfordert oder gar selbstbezogen.“ Die Reaktion sei allerdings „Vereinsamung, Isolation und Angst, übermäßiger Medienkonsum“ gewesen.
Ein „stabiler familiärer Kontext“ habe jedoch die persönliche Verarbeitung der Krise erleichtern können. Um künftigen Belastungen vorzubeugen, soll die psychosoziale Resilienz bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen verstärkt werden. Diese werde auch durch eine „systematische Stärkung der Lebensbedingungen von Familien gefördert.“
6 bis 17 Prozent psychische Erkrankungen
Während der COVID-19-Pandemie sei nicht hinreichend gewürdigt worden, „welchen psychischen Belastungen sie durch die Pandemie selbst sowie durch die zu ihrer Bekämpfung ergriffenen Maßnahmen ausgesetzt waren“, sagt Buyx.
Sie hätten „erhebliche Freiheitseinschränkungen“ hingenommen und sich gleichwohl „in hohem Maße solidarisch gezeigt“ gegenüber alten, kranken und gefährdeten Menschen. Viele von ihnen habe dies an die „Grenze des Erträglichen“ gebracht, auch, „weil sie nicht gefragt wurden und ihre Stimme nicht gehört wurde.“ Sie hätten dann aber gemerkt, dass „eine gesamtgesellschaftliche solidarische Antwort auf ihre eigene Notlage ausblieb.“
Daher schulde die Gesellschaft der jüngsten Bevölkerungsgruppe „für diese Solidaritätsleistung großen Dank und Respekt“. Der Deutsche Ethikrat empfiehlt, dieser Anerkennung „von politischer Seite Ausdruck zu verleihen und entsprechend zu handeln“. Belastungen müssten gemeinschaftlich kompensiert werden, wenn sie „infolge von Maßnahmen eingetreten sind, über die politisch entschieden wurde“.
Aus aktuellen Forschungsergebnissen ergebe sich darüber hinaus eine Dringlichkeit: „Bei den handfest manifesten psychischen Erkrankungen gibt es Zahlen zwischen sechs und 17 Prozent, wobei die Dunkelziffer offensichtlich als relativ hoch eingeschätzt wird, weil die Zugänge etwa zur Diagnostik so lange dauern“, erklärte Ratsmitglied Petra Bahr. Nach der Einschätzung von Experten sei ein Trend auszumachen, der ein schnelles Handeln erforderlich macht.
Versorgungsdefizite
Als Maßnahmen forderte der Rat unter anderem „niedrigschwellige und flächendeckende schulpsychologische Angebote sowie psychosoziale Unterstützungsangebote“. Einrichtungen, die Diagnostik, Beratungsangebote, Heilbehandlungen und Hilfen zur Teilhabe für Kinder und Jugendliche, aber auch Hilfen für Eltern und Familien bereitstellen, müssten auf eine „verlässliche Finanzierung“ bauen können, so das Gremium.
Es sollten „zeitnah konkrete Pläne vorgelegt werden“, wie bestehende Versorgungsdefizite in der ärztlichen und nichtärztlichen Diagnostik und Behandlung für Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen behoben werden könnten. Forschung über die Folgen von Maßnahmen zur Bewältigung gesellschaftlicher Krisen müssten gefördert werden.
Jedoch habe es schon vor der Pandemie erhebliche Versorgungsdefizite gegeben. Aufgrund des Anstiegs an therapeutischem Hilfebedarf seien diese Defizite aber „erheblich größer“ geworden.
Zu ihrer Ad-hoc-Empfehlung zog der Ethikrat Studien, Experteneinschätzungen und die Meinungen von rund 350 Schülern heran. Diese waren vom Rat zu einer Herbsttagung eingeladen, um sich über ihre Erfahrungen in der COVID-19-Pandemie auszutauschen. „Das durften wir noch nie irgendwo erzählen“, hätten Kinder dem Ethikrat erzählt. Buyx: „Das scheint mir eine große Herausforderung dieser Gesellschaft insgesamt zu sein. Also Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene auch selbst zu Wort kommen lassen.“
Ob die Empfehlungen auf fruchtbaren Boden fallen, kann sich zeigen, wenn aufgrund der hohen Energiekosten Schwimmbäder und Turnhallen kalt bleiben sollten. Unis haben bereits ihre Winterferien verlängert, damit die Hörsäle nicht geheizt werden müssen.
Mit Material von dts.
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