Was der Kohleausstieg bis 2038 bedeutet

Nach dem Atomausstieg will Deutschland als eines der ersten großen Industriestaaten auch aus der Kohle aussteigen. Nach langem Gezerre gibt es ein empfohlenes Ausstiegsdatum - und ein ziemlich teures Preisschild. Eine Zusammenfassung von dpa.
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Ein Absetzer am Rande des Braunkohletagebaus Welzow Süd.Foto: Patrick Pleul/dpa
Epoch Times27. Januar 2019

Um Punkt 04.45 Uhr gehen die Hände hoch – irgendwie sind es immer Marathonverhandlungen, wenn es um das Klima geht. Das ist bei Klimagipfeln so. Und so war es nun auch beim Finale der von der Bundesregierung eingesetzten Kohlekommission.

Es ist halt mühsam, Ökonomie und Ökologie in Einklang zu bringen – aber die 21-stündigen Abschlussverhandlungen haben deutlich gezeigt: Auch in Zeiten großer Polarisierung sind noch gemeinsame Kompromisslösungen möglich.

Wann kommt es zum Kohleausstieg?

Von einem historischen Kraftakt spricht einer der vier Vorsitzenden der Kommission, Ex-Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU). „Es ist geschafft“, sagt er müde nach der Einigung mit Klimaschützern, Gewerkschaftern, Unternehmern und Wissenschaftlern – mit 27:1-Stimmen sogar fast einstimmig. „Als Abschlussdatum empfiehlt die Kommission Ende des Jahres 2038“, steht im 336-seitigen Bericht.

Dazu kommt eine Klausel, auf die die Umweltverbände gepocht hatten. Wenn Stromversorgung und die wirtschaftliche Lage es hergeben, kann das Ausstiegsdatum im Einvernehmen mit den Betreibern auf 2035 vorgezogen werden.

2032 soll das überprüft werden. Auch 2023, 2026 und 2029 soll der Ausstiegsplan auf den Prüfstand kommen. Die Grünen und Umweltverbände setzen darauf, dass angesichts der Erderwärmung der gesellschaftliche Druck für einen früheren Kohleausstieg steigt.

Wann werden welche Stein- und Braunkohlekraftwerke abgeschaltet?

Ende 2017 waren Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 42,6 Gigawatt (GW) am Markt, dazu kommt eine Reserve für den Winter, wenn es kaum Solarstrom gibt. Bis 2022 sollen als Einstieg in den Kohleausstieg insgesamt 12,5 GW vom Netz gehen.

Besonderen Wert legen Klimaschützer darauf, dass darunter 3,1 GW Braunkohle mehr als bisher ohnehin schon geplant sind – Braunkohle-Kraftwerke stoßen besonders viele Treibhausgase aus.

Welche Kraftwerke abgeschaltet werden, gibt die Kommission nicht vor. Das soll die Politik nun mit den Betreibern aushandeln. Bis 2030 sollen noch höchstens 17 GW am Markt sein.

Wo stehen die größten Anlagen?

Die größten Braunkohlekraftwerke sind Neurath und Niederaußem im Rheinland sowie Jänschwalde und Boxberg in der brandenburgischen Lausitz. Zum Problem wird die Frage, was mit dem letzten noch im Bau befindlichen, Steinkohlekraftwerk Datteln wird.

Der Energieversorger Uniper (früher Eon) fordert rasche Klarheit – auch mit Blick auf Entschädigungen. Das 1,2 Milliarden Euro teure Kraftwerk am Rande des Ruhrgebiets sollte nach derzeitigen Planungen 2020 ans Netz gehen.

Steigen die Strompreise?

Weniger Kohlestrom kann mehr Strom aus Gaskraftwerken bedeuten – zudem soll das Speichern von überschüssigem Wind- und Solarstrom verstärkt werden. Die Kommission rechnet wegen der schrittweisen Verringerung des im Vergleich günstigen Kohlestroms (wenn man die Klimafolgekosten nicht berücksichtigt) ab 2023 mit Preiseffekten:

Aus heutiger Sicht ist zum Ausgleich dieses Anstiegs ein Zuschuss in Höhe von mindestens zwei Milliarden Euro pro Jahr erforderlich.“

Wie sind die Reaktionen?

„Besser schlechten Klimaschutz als gar keinen Klimaschutz“, meint etwa der Präsident des Deutschen Naturschutzrings, Kai Niebert. SPD und Gewerkschaften loben den Einsatz für die betroffenen Beschäftigten, die Grünen, dass es überhaupt eine Einigung gibt.

Die Bundesregierung muss das nun alles in Gesetze und Verträge gießen, ein Mammutprojekt wie bei dem Atomausstieg 2011, wo auch eine Kommission die Weichen stellte. Unternehmen brauchen nun vor allem Planungssicherheit.

Der Braunkohleverband Debriv rief die Bundesregierung auf,

die jetzt vorliegenden Empfehlungen vor dem Hintergrund einer sicheren Versorgung Deutschlands mit Energie und unter Mitwirkung aller Betroffenen zu prüfen“.

Die Empfehlung der Kommission, bis 2030 etwa die Hälfte der Braunkohlenkraftwerkskapazität stillzulegen und die Verstromung heimischer Braunkohle bis 2038 vollständig zu beenden, entziehe dem Industriestandort Deutschland vorzeitig eine wichtige Basis der Stromversorgung.

Was passiert mit den Beschäftigten?

Für Beschäftigte in den Tagebauen und Kraftwerken ab 58 Jahren, die die Zeit bis zur Rente überbrücken müssen, soll es ein Anpassungsgeld geben – sowie einen Ausgleich von Renten-Einbußen.

Das könnte fünf Milliarden Euro kosten, die Arbeitgeber und Staat gemeinsam schultern könnten. Betriebsbedingte Kündigungen sollen ausgeschlossen werden. Für jüngere Arbeitnehmer soll es Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen geben, Vermittlung in andere Jobs und Finanzhilfen bei Lohneinbußen.

Milliardenklagen wie beim Atomausstieg sollen vermieden werden. „Die Kommission geht davon aus, dass in den Verhandlungen mit den Betreibern von Braunkohlekraftwerken die gesamte Planung bis 2030 einvernehmlich geregelt wird“, heißt es im Abschlussbericht.

RWE hält das Ende der Kohleverstromung im Jahr 2038 „für deutlich zu früh“. Deshalb sei es vernünftig, „dieses Datum im Jahr 2032 noch einmal einer umfassenden Prüfung zu unterziehen“. Dabei sollte dann auch eine energiewirtschaftlich notwendige Verlängerung erwogen werden.

Wie viel Geld bekommen die betroffenen Regionen?

Insgesamt werden bis zu 40 Milliarden Euro an Hilfen veranschlagt – der Kohleausstieg wird für die Steuerzahler teuer. Vor allem die betroffenen Länder Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt sollen über 20 Jahre beim Strukturwandel unterstützt werden, dazu soll die Verkehrsanbindung der Kohleregionen über ein zusätzliches Programm verbessert werden.

Durch die Ansiedlung von Bundesbehörden oder Steueranreizen für die Ansiedlung von Unternehmen und Start-ups könnten neue Arbeitsplätze entstehen. Die Kommission empfiehlt, dass allein der Bund 5000 neue Arbeitsplätze ab 2028 schafft. All das soll in einem Strukturwandelstaatsvertrag mit den Ländern geregelt werden.

Warum sei der Kohleausstieg so wichtig?

Weil Deutschland den eigenen Klimazielen stark hinterherhinkt – so klappt es nicht mit einem 40 Prozent geringeren Treibhausgasausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990. Bis 2030 soll es 55 Prozent weniger werden, bis 2050 mindestens 80 Prozent. Da der Verkehrssektor bisher kaum den Ausstoß mindern konnte, gibt es auch hitzige Debatten um ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen. Dass es auch im Energiesektor trotz hoher Milliardenausgaben für Ökoenergie hapert, hängt auch mit dem bis Ende 2022 geplanten Atomausstieg zusammen.

Die Kernkraftwerke stoßen in der Stromproduktion praktisch kein klimaschädliches Kohlendioxid aus – das Atomforum prägte daher mal den Werbespruch „Deutschlands ungeliebte Klimaschützer“. Zwar stieg kontinuierlich der Anteil erneuerbarer Energien. Aber zur Sicherung der Grundlast-Versorgung auch in wind- und sonnenschwachen Zeiten braucht es weiterhin viel Kohlestrom.

Nach Zahlen des Bundesverbandes der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hatten erneuerbare Energie 2018 einen Anteil von 35 Prozent an der Stromerzeugung (2017: 33 Prozent). Auf ebenfalls 35 Prozent kamen mit Braun- und Steinkohle (2017: 37 Prozent). Knapp 13 Prozent des Stroms stammte aus Gaskraftwerken, Atomkraftwerke steuerten wie im Vorjahr zwölf Prozent bei. Der Rest kam unter anderem aus Pumpspeicher- und Ölkraftwerken.

Was passiert mit dem Hambacher Forst?

„Hambi bleibt“, wurde zum geflügelten Wort der Kohlegegner – Zehntausende demonstrierten für den Erhalt des Waldgebiets im rheinischen Braunkohlerevier, das der Energiekonzern RWE gerne roden und abbaggern würde, um an die darunter liegende Braunkohle zu kommen.

Die Kommission sagt, es sei „wünschenswert“, den Forst zu erhalten. Umweltschützer werten das als klares Signal: Der Wald bleibt stehen. RWE selbst sieht den Wunsch der Kommission kritisch. (dpa)



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